Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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sag­te doch, mein Herr hat mehr Ein­fluss, als Sie den­ken.‹

      Der leicht ver­är­ger­te Hol­län­der woll­te et­was er­wi­dern, aber Shi­ge­na­ga schnitt ihm das Wort ab.

      ›Sie müss­ten doch mitt­ler­wei­le ge­merkt ha­ben, dass alle Aus­län­der schär­fer be­ob­ach­tet wer­den. Mein Fürst hat sehr gute Kon­tak­te, er er­fährt man­ches so­gar eher als der Sho­gun.‹

      Er wur­de im­mer lei­ser, als er sag­te:

      ›Date Ma­sa­mu­ne war län­ge­re Zeit nicht im Lan­de und be­kommt jetzt nach und nach alle wich­ti­gen In­for­ma­tio­nen. Er bit­tet Sie, die Au­di­enz noch ein we­nig hi­n­aus­zu­zö­gern oder, wenn sie schon in den nächs­ten Ta­gen statt­fin­den soll­te, wirk­lich nur den An­stands­be­such bei To­ku­ga­wa Ie­mit­su zu ma­chen.‹

      Wie­der schau­te sich Shi­ge­na­ga ver­stoh­len um und fuhr fast flüs­ternd fort:

      ›Mein Herr ist jetzt bei To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da, dem al­ten Sho­gun, und wird vor­sich­tig auch Ihre Sor­gen zur Spra­che brin­gen. Sie wis­sen si­cher, dass To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da ein nicht ganz so stren­ges Vor­ge­hen wünscht, doch auch er ist ver­är­gert we­gen der il­le­ga­len Aus­fuhr be­stimm­ter Wa­ren.‹

      ›Was soll denn das hei­ßen? Wol­len Sie uns des Dieb­stahls be­zich­ti­gen?‹, warf van Neyen­ro­de mit ge­spiel­ter Ent­rüs­tung ein.

      ›Wie könn­te ich‹, schnaub­te Shi­ge­na­ga be­lus­tigt. ›Wir wis­sen doch bei­de, dass ver­schie­de­ne Dai­myos Ge­schäf­te mit Ih­nen ma­chen, die nicht beim Han­dels­mi­nis­te­ri­um an­ge­zeigt wer­den. Und ge­nau das ver­är­gert To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da und To­ku­ga­wa Ie­mit­su. Doch viel­leicht ...‹

      Ich ver­lor das In­ter­es­se an die­sem Dis­put, hier ging es um In­tri­gen, die mich nicht be­tra­fen und in die ich auch nicht ver­strickt wer­den woll­te. Da ich vor­läu­fig kei­ne Ge­le­gen­heit sah, mit dem Hol­län­der wie­der ins Ge­spräch zu kom­men, ging ich ei­ni­ge Schrit­te zur Sei­te und schau­te mir das Ha­fen­ge­tüm­mel an. Ein klei­ne­res Schiff hat­te, aus der Fluss­mün­dung kom­mend, den Ha­fen an­ge­steu­ert und wur­de ent­la­den. Ha­fen­ar­bei­ter schlepp­ten mit Reis ge­füll­te Kör­be in ein La­ger­haus, und ein Be­am­ter prüf­te, ob sie auch bis zum Rand ge­füllt wa­ren. Auf ei­ner Lis­te wur­de je­der Korb re­gis­triert, und zwei Sa­mu­rai, die die Ar­bei­ten mit über­wach­ten, trie­ben die Trä­ger im­mer wie­der an. Von der Stadt her nä­her­te sich ein of­fen­sicht­lich hoch­ran­gi­ger Sa­mu­rai. Er war gut ge­klei­det, und vor ihm scheuch­ten zwei we­ni­ger gut aus­ge­stat­te­te Krie­ger die ein­fa­chen Leu­te zur Sei­te.

      Ge­bannt be­ob­ach­te­te ich die­sen Auf­zug und mus­ter­te da­bei den Sa­mu­rai ge­nau. Er hat­te hoch­mü­ti­ge Ge­sichts­zü­ge, eine klei­ne Nase, aber einen kräf­ti­gen Schnauz­bart. Ein wei­ßes Stirn­band mit ei­ner Art Wap­pen zeig­te an­schei­nend sei­nen Rang an. Sei­ne Ober­be­klei­dung be­stand aus ei­nem wei­ßen Ki­mo­no mit wei­ten, am un­te­ren Rand schwarz ge­mus­ter­ten Är­meln. Der Ki­mo­no war vorn of­fen, und man konn­te einen bunt ge­mus­ter­ten Brust- und Bauch­pan­zer se­hen. Im Obi, dem tra­di­tio­nel­len Gür­tel der Sa­mu­rai, steck­ten ein klei­nes und ein großes Schwert, so wie ich es schon von mei­nen neu­en Freun­den kann­te. In der rech­ten Hand hielt er einen ge­schlos­se­nen Fä­cher, und aus sei­nem schwar­zen Ho­sen­rock schau­ten die nack­ten Füße, die in Reiss­troh­san­da­len steck­ten. Zwei of­fen­sicht­lich nie­der­ran­gi­ge Sa­mu­rai folg­ten ihm und die ein­fa­chen Men­schen am Weges­rand ver­such­ten ent­we­der Ab­stand zu ge­win­nen, oder sie neig­ten ehr­er­bie­tig das Haupt.

      Die­ser Zug kam di­rekt an uns vor­bei, und ich konn­te den Blick nicht ab­wen­den. Plötz­lich, ohne dass ich wuss­te, wie mir ge­schah, stürmt ei­ner der vor­aus­lau­fen­den Sa­mu­rai auf mich zu. Ein wü­ten­der Wort­schwall er­goss sich über mich, und er schwang sein Schwert, das noch in der Schei­de steck­te, wie einen Knüp­pel. Re­flexar­tig hob ich die Arme, um die dro­hen­den Schlä­ge ab­zu­weh­ren, doch das war nicht nö­tig. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga war durch die Schimpf­ti­ra­de auf­merk­sam ge­wor­den und stand blitz­ar­tig zum Schutz vor mir. Al­les ging sehr schnell, und durch das, was mir Shi­ge­na­ga zu­rief, ging mir lang­sam ein Licht auf.

      ›Schnell, beu­ge dein Knie, und nei­ge das Haupt!‹

      Auch er hat­te das Haupt ge­neigt, doch sein Schwert hielt er plötz­lich, mit der lin­ken Hand an der Schei­de, waa­ger­recht in Brust­hö­he. Die rech­te konn­te je­der­zeit das Schwert zie­hen, und sein gan­zes Auf­tre­ten mach­te nicht den Ein­druck, dass er von der Stel­le wei­chen wür­de. Aus dem Au­gen­win­kel sah ich, dass Cor­ne­lis van Neyen­ro­de mit ge­neig­tem Kopf auf das lin­ke Knie ge­sun­ken war, und ich folg­te sei­nem Bei­spiel. Ich hat­te of­fen­sicht­lich einen schwe­ren Feh­ler be­gan­gen, als ich die­sen an­schei­nend be­deu­ten­den Mann so un­ver­hoh­len an­starr­te.

      Mein Be­schüt­zer lie­fer­te sich mit dem An­grei­fer ein hit­zi­ges Wort­ge­fecht, von dem ich lei­der nur ein­zel­ne Wor­te ver­stand. Ich schärf­te mei­ne Sin­ne und ver­such­te sei­ne Ge­dan­ken auf­zu­neh­men, und mir stock­te der Atem. Bil­der nah­men Ge­stalt an, die mehr als be­droh­lich wa­ren. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga be­schäf­tig­te sich schon mit dem Ge­dan­ken, dass Schwert ge­gen die­se Män­ner zu zie­hen. Das konn­te ich nicht zu­las­sen und woll­te mich er­he­ben, als sich eine Hand auf mein Knie leg­te. Es war Cor­ne­lis, der an mei­ne Sei­te ge­rutscht war. Er hat­te mich aus dem Au­gen­win­kel be­ob­ach­tet und raun­te mir lei­se zu:

      ›Um Got­tes wil­len, blei­ben Sie un­ten! Un­ter­neh­men Sie auf kei­nen Fall et­was! Ihr Be­glei­ter schützt Sie mit sei­nem Le­ben und sei­ner Ehre. Wenn Sie sich jetzt ein­mi­schen, es­ka­liert die Si­tua­ti­on, und es kommt un­wei­ger­lich zum Kampf.‹

      In der Zwi­schen­zeit war der hoch­ran­gi­ge Sa­mu­rai he­r­an­ge­tre­ten und fuhr Shi­ge­na­ga in bar­schem Ton­fall an. Aber auch wenn mein Be­schüt­zer ihm of­fen­sicht­lich ehr­er­bie­tig ge­gen­über­stand, schi­en er nicht be­reit, sei­nen Platz zu räu­men.

      ›Was ha­ben Sie nur ge­tan?‹, flüs­ter­te van Neyen­ro­de. ›Das ist der Po­li­zei­prä­fekt von Edo, und je­der, der nicht min­des­tens sei­nen Rang in­ne­hat, muss vor ihm das Haupt nei­gen. Sie ha­ben ihn be­gafft wie einen Bett­ler und wur­den zu­dem noch als Aus­län­der er­kannt. Das ist für die­sen Mann eine der schlimms­ten Be­lei­di­gun­gen, und wie Ihr Freund die Si­tua­ti­on ret­ten will, ist mir schlei­er­haft.‹

      Ich zuck­te bei die­sen Wor­ten wie­der ein Stück nach oben, doch die Hand des Hol­län­ders drück­te wei­ter­hin auf mein Knie.

      ›Wenn Sie uns nicht alle zum Tode ver­ur­tei­len wol­len, un­ter­neh­men Sie um Him­mels wil­len nichts. Ich habe es nicht er­war­tet, aber Ihr Freund hat of­fen­sicht­lich ein paar Trümp­fe in der Hand, die nicht zu ver­ach­ten sind.‹

      Die Ag­gres­si­vi­tät des Wort­wech­sels ließ lang­sam nach, und kur­ze Zeit spä­ter dreh­te sich der Prä­fekt um und setz­te sei­nen Weg fort. Nach­dem er sich ei­ni­ge Schrit­te ent­fernt hat­te, hol­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga tief Luft und wand­te sich uns zu. Cor­ne­lis er­hob sich, und ich folg­te sei­nem Bei­spiel. Da­bei schau­te ich in das Ge­sicht mei­nes Be­schüt­zers und er­war­te­te, Wut oder min­des­tens Ver­är­ge­rung zu