Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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      Date Ma­sa­mu­ne saß in der Nähe des Heck­mas­tes un­ter ei­nem Son­nen­schirm und hat­te sich bis zu die­sem Zeit­punkt mit dem Ka­pi­tän un­ter­hal­ten. Sich von die­sem ab­wen­dend, rief er Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga et­was zu. Die­ser ver­beug­te sich leicht vor dem Dai­myo und for­der­te mich dann auf, mit zum Fürs­ten zu kom­men. Als wir vor ihm stan­den und ich ihn un­schlüs­sig an­blick­te, sprach der Dai­myo in bar­schem Ton­fall mit Shi­ge­na­ga. Er­staunt sah ich von ei­nem zum an­de­ren. Es war al­les sehr wi­der­sprüch­lich und un­ge­wohnt für mich. Zum einen sah ich im Ge­sicht des Fürs­ten ein hin­ter­grün­di­ges Lä­cheln, und zum an­de­ren war der Ton­fall wie eine stren­ge Rüge. Mein Dol­met­scher mach­te eine un­ter­wür­fi­ge Ges­te, ant­wor­te­te knapp und wen­de­te sich mir zu.

      ›Date Ma­sa­mu­ne hat mich so­eben ge­rügt, weil ich dir noch nichts von un­se­ren Sit­ten und Ge­bräu­chen bei­ge­bracht habe. Auch wenn der Fürst in den Mo­men­ten, wenn wir un­ter uns sind, mit dir oder mir einen ver­trau­li­chen Um­gang pflegt, darf er das nach au­ßen nicht zei­gen. Er muss das Ge­sicht wah­ren, und wir müs­sen ihm den ge­büh­ren­den Re­spekt zol­len. Es ist von der Sa­che her nur ge­spielt, aber wich­tig für den Er­halt sei­ner Stel­lung. Das heißt, wenn du in Ge­gen­wart an­de­rer zum Fürs­ten ge­ru­fen wirst, nä­herst du dich ihm lang­sam und mit ge­senk­tem Blick bis auf fünf Schrit­te.‹

      Ich schau­te nach un­ten und trat zwei Schrit­te zu­rück, denn ich war schon bis auf drei he­r­an­ge­tre­ten.

      Ein kaum wahr­nehm­ba­res Lä­cheln husch­te über die Ge­sich­ter der bei­den, und Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga sprach wei­ter:

      ›Dann beugst du vor ihm das Knie. Das lin­ke Knie und die lin­ke Faust auf dem Bo­den. Die rech­te Hand, da du kei­ne Schwer­ter be­sitzt, auf den rech­ten Ober­schen­kel ge­stützt. Wärst du ein Sa­mu­rai, müss­te dei­ne rech­te Hand hin­ter dem Rücken die Schei­de dei­nes Schwer­tes um­fas­sen, um da­mit zu zei­gen, dass du den Fürs­ten nicht an­grei­fen willst.‹

      Die gan­ze Ze­re­mo­nie er­schi­en mir nach un­se­rem bis­he­ri­gen zwang­lo­sen Um­gang ein we­nig selt­sam, doch ich war im Be­griff, ein frem­des Land mit mir noch un­be­kann­ten Sit­ten zu be­tre­ten, und emp­fand es als un­pas­send, ihre Ge­bräu­che in Fra­ge zu stel­len. Ich beug­te also das Knie und be­folg­te die wei­te­ren An­wei­sun­gen mei­nes Dol­met­schers.

      Mit ei­nem leich­ten Nei­gen des Kop­fes quit­tier­te der Dai­myo mei­ne Hand­lungs­wei­se, und Shi­ge­na­ga fuhr in sei­nen Er­läu­te­run­gen fort:

      ›Dein Blick ist da­bei auf den Bo­den ge­rich­tet, und erst wenn dich der Fürst dazu auf­for­dert, schaust du ihn an.‹

      Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga hat­te sich ähn­lich ver­hal­ten, nur mit dem Un­ter­schied, dass er sich ein we­nig vor mir, dem Dai­myo die rech­te Sei­te zu­wen­dend, be­fand.

      In har­schem Ton­fall, von ei­ner auf­for­dern­den Ges­te be­glei­tet, die ich aus den Au­gen­win­keln sah, sprach Date Ma­sa­mu­ne uns an. Ich ent­nahm der Ges­te, dass ich auf­bli­cken konn­te, und sah dem Fürs­ten ins Auge. Ein klein we­nig Schalk lag in sei­nem Blick, doch das währ­te nur kurz, und ein Au­ßen­ste­hen­der hät­te es si­cher­lich nicht be­merkt.

      ›Gut, du hast die Auf­for­de­rung teil­wei­se schon ver­stan­den‹, Shi­ge­na­ga nick­te mir an­er­ken­nend zu. ›Der Fürst hat dir er­laubt, sich ihm bis auf drei Schrit­te – das ist der üb­li­che Ab­stand – zu nä­hern und ihm ge­gen­über Platz zu neh­men.‹

      Um­ge­hend folg­te ich der An­wei­sung.

      ›Halt, nicht so schnell und mit ge­senk­tem Kopf.‹

      Ich stock­te und neig­te den Kopf.

      ›Gut, und nun knie nie­der und set­ze dich auf dei­ne Un­ter­schen­kel.‹

      Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga wen­de­te sich dem Dai­myo zu, ver­beug­te sich leicht und rich­te­te ei­ni­ge Wor­te an ihn. Nach des­sen Ant­wort dreh­te er sich wie­der zu mir um und sag­te:

      ›Der Fürst wünscht, dass ich dir die­ses Ver­hal­ten er­klä­re.‹

      Ich wen­de­te mich wie­der Shi­ge­na­ga zu und wur­de so­fort kor­ri­giert:

      ›Nein, schau nicht mich an, denn ich bin nur der Dol­met­scher, dein ei­gent­li­cher Ge­sprächs­part­ner ist Date Ma­sa­mu­ne.‹

      Als ich sei­ner An­wei­sung folg­te, konn­te ich noch ein leich­tes Kopf­nei­gen von ihm se­hen, dann fuhr er fort:

      ›Du er­weist dem Dai­myo da­mit den nö­ti­gen Re­spekt‹, er hol­te tief Luft. ›Mein Herr hat mich vor­hin zu Recht ge­rügt, denn ich habe sehr un­be­dacht ge­han­delt. Auf die­ser Rei­se nach Chi­na war es nicht not­wen­dig, sol­che Ze­re­mo­ni­en auf­recht­zu­er­hal­ten, doch jetzt, vor al­lem in Edo, ist es un­um­gäng­lich, um Date Ma­sa­mu­ne nicht zu scha­den. Auch dir könn­te bei ei­nem Fehl­ver­hal­ten Scha­den ent­ste­hen, und das möch­te der Fürst, da du ja auf sei­nen Wunsch hin mit­ge­kom­men bist, ver­hin­dern. Du musst in nächs­ter Zeit sehr vor­sich­tig sein und ge­nau auf mich ach­ten, da­mit ich dir al­les Not­wen­di­ge ver­mit­teln kann.‹

      Ich nick­te zur Be­stä­ti­gung, ohne den Blick vom Fürs­ten ab­zu­wen­den.

      ›Gut, nun zum ei­gent­li­chen Zweck die­ses Ge­sprä­ches.‹

      Die An­span­nung der letz­ten Mi­nu­ten schi­en ein klein we­nig von Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ab­zu­fal­len.

      ›Der Fürst muss, so­bald wir in Edo sind, beim Sho­gun um eine Au­di­enz bit­ten und ihm Be­richt er­stat­ten. Zu die­ser Au­di­enz darf ihn kei­ner be­glei­ten, schon gar nicht du mit dei­nem of­fen­kun­dig aus­län­di­schen Aus­se­hen.‹

      Ich hol­te Luft, um einen Ein­wurf zu ma­chen, doch er un­ter­brach mich so­fort.

      ›Ich er­klä­re das spä­ter in Ruhe!‹

      Ich at­me­te aus und neig­te leicht den Kopf.

      ›Gut, Date Ma­sa­mu­ne hät­te gern einen Rat von dir. In ei­nem Ge­spräch nach dem Kampf hat­test du ge­sagt, du wür­dest dem Sho­gun die Rei­se nach Shao­lin als not­wen­dig und er­folg­reich schil­dern. Der Fürst möch­te wis­sen, wie er das ma­chen soll.‹

      ›Nun, dazu wäre es sinn­voll, wenn ich wüss­te, was der ei­gent­li­che Zweck des Be­suchs am chi­ne­si­schen Kai­ser­hof war.‹

      Da Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga nicht gleich mit der Über­set­zung be­gann, mach­te ich eine auf­for­dern­de Hand­be­we­gung, denn ich woll­te, ein­ge­denk sei­ner Wor­te, den Blick nicht vom Dai­myo ab­wen­den.

      Zö­gernd über­setz­te er mei­ne Fra­ge und ern­te­te nur zwei Wor­te und ein Kopf­schüt­teln.

      ›Der Fürst kann und darf dir den Grund die­ser Rei­se nicht mit­tei­len!‹

      ›Hm, ich hat­te et­was in der Art er­war­tet. Nun gut, ich muss also ein we­nig ra­ten und gehe des­halb da­von aus, dass es mit den im­mer wie­der auf­tre­ten­den Feind­se­lig­kei­ten zwi­schen Chi­na und Ja­pan zu­sam­men­hängt.‹

      Shi­ge­na­ga über­setz­te flie­ßend mei­ne Wor­te, und Date Ma­sa­mu­ne hob am Ende leicht die Schul­tern. Da­bei mach­te er eine Ges­te, die ich als »viel­leicht« deu­te­te.