Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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Fürs­ten in die Mit­te ge­nom­men, so dass mich die Bli­cke der Neu­gie­ri­gen kaum er­reich­ten.

      Zwei Trä­ger mit ei­ner Sänf­te und eine Es­kor­te eil­ten her­bei. In dem Mo­ment ver­stand ich erst, warum es so lan­ge ge­dau­ert hat­te, bis wir von Bord ge­gan­gen wa­ren. Der Fürst muss­te sich stan­des­ge­mäß zu sei­ner Re­si­denz in Edo be­ge­ben, wes­halb er die An­kunft der Sänf­te ab­war­te­te.

      Nach­dem Date Ma­sa­mu­ne in der Sänf­te Platz ge­nom­men hat­te, setz­te sich un­ser Zug in Be­we­gung. Durch mei­ne Po­si­ti­on in die­ser Pro­zes­si­on konn­te ich fast nichts von der Um­ge­bung wahr­neh­men, und nach ei­ner Wei­le gab ich es auf, die Dä­cher der meist ein­stö­cki­gen Ge­bäu­de an­zu­star­ren.

      Eine hal­be Stun­de moch­te der Marsch durch die en­gen Stra­ßen und Gas­sen ge­dau­ert ha­ben, als wir das nahe bei der Burg des Sho­gun er­bau­te fürst­li­che An­we­sen er­reich­ten. Wir folg­ten eine Wei­le dem Ka­nal, der die Burg­mau­er um­floss, und bo­gen schließ­lich in das An­we­sen des Dai­myo ein. Ma­sa­mu­ne ver­ließ die Sänf­te, wur­de von sei­nem Hof­staat emp­fan­gen, und der Zug lös­te sich auf. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga kam zu mir und for­der­te mich auf, ihm zu fol­gen. Wir gin­gen auf ein nicht weit ent­fern­tes klei­ne­res Ge­bäu­de zu, und Shi­ge­na­ga er­klär­te mir, dass es sein Haus sei. Mit Stolz wies er dar­auf hin, dass er auf Grund sei­ner her­vor­ra­gen­den Stel­lung, die er bei sei­nem Herrn in­ne­hat­te, im An­we­sen des Dai­myo woh­nen durf­te, wenn er sich in Edo auf­hielt. Wir be­tra­ten das Ge­bäu­de durch einen mit vie­len Schnit­ze­rei­en ver­zier­ten Ein­gang, und ich wur­de in das Gäs­te­zim­mer ge­lei­tet. Dort ver­ließ er mich, um sei­ne An­ge­hö­ri­gen zu be­grü­ßen.

      Ver­un­si­chert ließ ich mich in der Mit­te des Rau­mes in Me­di­ta­ti­ons­hal­tung nie­der, um zur Ruhe zu kom­men. Doch es dau­er­te nicht lan­ge, als eine jun­ge Frau die Tür öff­ne­te und mich durch Zei­chen bat ihr zu fol­gen. Wir be­ga­ben uns zu einen klei­ne­ren Ge­bäu­de, das als Ba­de­haus ge­nutzt wur­de. Dort be­fand sich ein großer Zu­ber mit war­mem Was­ser, und fri­sche Klei­dung lag für mich be­reit. Nach­dem mir mei­ne Be­glei­te­rin dies be­greif­lich ge­macht hat­te, ver­ließ sie mich, und ich be­gann mich aus­gie­big zu rei­ni­gen. Ein we­nig un­schlüs­sig stand ich vor der Klei­dung, doch ein­ge­denk der Er­fah­run­gen, die ich bei mei­ner An­kunft in Shao­lin ge­macht hat­te, leg­te ich sie an. Es war un­ge­wohnt, und ich hat­te ei­ni­ge Pro­ble­me da­mit. Un­schlüs­sig, was nun zu tun war, öff­ne­te ich die Tür, und so­fort er­hob sich die jun­ge Frau, die auf der klei­nen Ter­ras­se ge­war­tet hat­te. Mit ei­ner freund­li­chen Ges­te for­der­te sie mich auf, ihr zu fol­gen. Be­vor wir Shi­ge­na­gas Haus durch den Gäs­te­ein­gang wie­der be­tra­ten, zog sie ihre Reiss­troh­san­da­len aus. Ich folg­te ih­rem Bei­spiel, was sie mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln quit­tier­te. Mei­ne Be­glei­te­rin ging am Gäs­te­zim­mer vor­bei und ge­lei­te­te mich zum Emp­fangs­raum. Dort blieb ich, mei­ne Um­ge­bung mus­ternd, ste­hen. Mir ge­gen­über, am an­de­ren Ende des Rau­mes, saß mein Dol­met­scher auf ei­nem klei­nen Hocker, rechts ne­ben ihm ein jun­ger Sa­mu­rai und auf der an­de­ren Sei­te eine Frau mitt­le­ren Al­ters. Mit ihr hat­te er sich ge­ra­de un­ter­hal­ten, als er zu mir auf­blick­te.

      Kurz auf­la­chend wink­te er mich zu sich he­r­an.

      ›Oje, ich muss dir wirk­lich noch viel bei­brin­gen und er­klä­ren.‹

      Er deu­te­te auf einen Platz vor sich und for­der­te mich zum Sit­zen auf. Der jun­ge Mann ne­ben ihm mach­te ein er­staun­tes Ge­sicht, und sei­ne Hand zuck­te schon in Rich­tung sei­ner Schwer­ter. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga be­merk­te es und wies ihn barsch zu­recht. Nach ei­nem kur­zen Wort­wech­sel wur­de ich ein we­nig freund­li­cher, doch for­schend ge­mus­tert. Der Herr des Hau­ses wand­te sich wie­der mir zu und sag­te:

      ›Du musst das Ver­hal­ten mei­nes Soh­nes ent­schul­di­gen, die­ser form­lo­se Um­gang mit ei­nem an­schei­nend dem nied­rigs­ten Stand An­ge­hö­ri­gen ist für ihn un­ge­wohnt. Ich habe ihm ge­ra­de er­klärt, dass du kei­nes­wegs das bist, was er ver­mu­tet. Nach mei­nen Er­klä­run­gen hält er dich jetzt für einen So­hei. So wer­den bei uns die Krie­ger­mön­che ge­nannt. Das kommt dem, was du bist, ja auch am nächs­ten, und vom Stand her ste­hen die­se Män­ner nur we­nig un­ter den Bus­hi. Ich habe ihm er­klärt, dass du Date Ma­sa­mu­nes und mein Le­bens­ret­ter bist. Aber ich glau­be, am meis­ten hat ihn be­ein­druckt, dass ich sag­te, dass du ein weit bes­se­rer Krie­ger bist als die meis­ten Sa­mu­rai, die er kennt.‹

      Ich hol­te Luft und setz­te zu ei­ner Er­wi­de­rung an, doch er un­ter­brach mich.

      ›Ich weiß, dass du das nicht magst‹, fuhr er lä­chelnd fort. ›Aber du musst be­den­ken, dass bei uns an­de­re Wer­te gel­ten, und ich habe auf kei­nen Fall ge­lo­gen.‹

      Da­mit war für ihn das The­ma ab­ge­schlos­sen, und er deu­te­te auf den jun­gen Mann.

      ›Also, das ist mein Sohn Yos­hi­mo­to‹, ich neig­te das Haupt vor ihm, und er grüß­te zö­gernd zu­rück.

      Shi­ge­na­ga wand­te sich nach der an­de­ren Sei­te und deu­te­te auf die Frau.

      ›Und das ist sei­ne Mut­ter, mei­ne Kon­ku­bi­ne.‹

      Auch sie be­grüß­te ich auf die glei­che Wei­se, und lä­chelnd neig­te sie den Kopf.

      ›Eine mei­ner Töch­ter hast du ja auch schon ken­nen ge­lernt‹, er deu­te­te zum Ein­gang und zeig­te auf die jun­ge Frau, die sich dort nie­der­ge­las­sen hat­te.

      Ich wand­te mich um und ern­te­te eine höf­li­che Ver­beu­gung.

      ›Nun, in mei­nem Haus und wenn kei­ne an­de­ren Per­so­nen an­we­send sind, ist es nicht not­wen­dig, einen förm­li­chen Un­gang zu pfle­gen. Wir kön­nen so zwang­los wie auf dem Schiff mit­ein­an­der um­ge­hen, doch nun muss ich dich in ei­ni­gen Re­geln und Ri­tua­len un­ter­wei­sen.‹

      Er sprach kurz mit sei­nen Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen, und nach­dem sei­ne Toch­ter uns Tee ge­reicht hat­te, ver­lie­ßen sie uns.

      Als wir al­lein wa­ren, er­klär­te er mir, dass die­se drei die ein­zi­gen en­gen Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen sei­en, die sich in Edo auf­hiel­ten. Alle an­de­ren, dar­un­ter auch sei­ne Frau, be­fan­den sich in Sen­dai.

      Nach die­ser kur­zen Ein­lei­tung be­gann er mich dar­über auf­zu­klä­ren, wie ich mich im An­we­sen des Dai­myo zu ver­hal­ten hät­te. Bei die­ser Ge­le­gen­heit setz­ten wir auch mei­nen Sprach­un­ter­richt fort. Das Er­ler­nen der ja­pa­ni­schen Spra­che ge­stal­te­te sich et­was leich­ter als der ers­te Sprach­un­ter­richt, den ich in mei­nem neu­en Le­ben be­kom­men hat­te. Zum einen lag es dar­an, dass mein Leh­rer dies­mal das Chi­ne­si­sche, in dem wir uns gut ver­stän­di­gen konn­ten, zur Er­klä­rung nutz­te. Zum an­de­ren fiel es mir sehr viel leich­ter, weil ich gleich­zei­tig sei­ne Ge­dan­ken­bil­der wahr­nahm. Das Wort hat­te also ein Bild oder bes­ser ge­sagt, eine Ge­stalt, wo­durch es sich mir bes­ser ein­präg­te.«

      Fehl­ver­hal­ten mit Fol­gen

      »Der ers­te Tag, den ich in Ja­pan zu­ge­bracht hat­te, war re­la­tiv er­eig­nis­los ver­gan­gen. Am nächs­ten Vor­mit­tag war ich noch