Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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      ›Nein, du ver­stehst im­mer noch nicht. Die­ser Kampf kann in we­ni­gen Au­gen­bli­cken vor­bei sein, denn dein Geg­ner baut wie du auf Schnel­lig­keit und die si­che­re Füh­rung sei­nes Ta­chi. Oft ste­hen sich die Kämp­fer lan­ge ge­gen­über, be­ob­ach­ten und um­krei­sen ein­an­der. Sie su­chen nach ei­ner Schwach­stel­le in der Ver­tei­di­gung oder sind dar­auf aus, sich ge­gen­sei­tig ein­zu­schüch­tern. In man­chen Du­el­len wird nur ein ein­zi­ger schnel­ler Hieb aus­ge­führt, der al­les ent­schei­det. Des­halb ist eine gute Rüs­tung so wich­tig, sie ret­tet dir un­ter Um­stän­den das Le­ben.‹

      Bei die­sen Er­läu­te­run­gen wur­de ich un­si­cher. Ich hat­te eine ganz an­de­re Vor­stel­lung von so ei­nem Schwert­kampf ge­habt. In mei­nen Er­in­ne­run­gen, die vor al­lem auf Fil­men ba­sier­ten, hat­ten sich die Sa­mu­rai aus­dau­ern­de Schwert­kämp­fe ge­lie­fert. Ähn­lich wie bei ei­nem Fecht­kampf in Eu­ro­pa hat­ten sich ihre Klin­gen oft ge­kreuzt. Doch nun wur­de ich von Shi­ge­na­ga ei­nes Bes­se­ren be­lehrt, und ich muss­te um­den­ken.

      ›Ohh, gut, dann muss ich eine an­de­re Tak­tik an­wen­den. Aber trotz­dem wer­de ich es erst ein­mal ohne Rüs­tung ver­su­chen.‹

      Bei­de schüt­tel­ten den Kopf und woll­ten wie­der auf mich ein­re­den, aber ich bat sie um eine Pro­be. Na­tür­lich soll­te da­bei das Schwert in der Schei­de blei­ben, denn so si­cher wie vor­her war ich mir nicht mehr.

      Wi­der­wil­lig stell­te sich mein Dol­met­scher in Po­si­ti­on. Mein Schwert wur­de eben­falls mit ei­nem Schutz ver­se­hen, und wir stan­den uns fi­xie­rend ge­gen­über. Lang­sam be­gann Shi­ge­na­ga mich zu um­krei­sen und wech­sel­te da­bei im­mer wie­der die Po­si­ti­on sei­nes Ta­chi. Ein­mal hat­te er es hoch er­ho­ben, so dass er mit ei­nem star­ken zweihän­di­gen Hieb von oben be­gin­nen konn­te. Dann wie­der hielt er es mehr seit­lich, mal rechts, mal links, und er fi­xier­te mich da­bei ge­nau. Der An­griff er­folg­te so plötz­lich, dass ich kaum noch aus­wei­chen konn­te. Das Ende der Schwert­schei­de streif­te noch mei­nen Hals, und ohne den Schutz hät­te ich be­stimmt eine kräf­ti­ge Schnitt­wun­de da­von­ge­tra­gen. Ich war nicht we­nig er­schro­cken, doch ich ließ mir nichts an­mer­ken. Das jah­re­lan­ge Trai­ning hat­te mich ge­lehrt, mit sol­chen Si­tua­tio­nen um­zu­ge­hen. Aber ich merk­te auch, dass der Trai­nings­aus­fall, den ich durch un­se­re Rei­se ge­habt hat­te, nicht leicht zu kom­pen­sie­ren war.

      Der Fürst und Shi­ge­na­ga ver­such­ten noch ein­mal, mich zum An­le­gen der Rüs­tung zu über­re­den, doch ich bat sie um eine klei­ne Pau­se. Kopf­schüt­telnd be­ob­ach­te­ten sie, wie ich mich in Me­di­ta­ti­on ver­senk­te. Nun ließ ich mich voll­kom­men fal­len und überg­ab al­les an mein Chi. Es soll­te mich füh­ren und alle mei­ne Re­ak­tio­nen über­neh­men. Des wei­te­ren ge­dach­te ich, zum ers­ten Mal auch mei­ne an­de­ren Fä­hig­kei­ten mit ein­zu­be­zie­hen, was ich in Chi­na im­mer ver­mie­den hat­te.

      Nach kur­zer Zeit stand ich wie­der auf, und Shi­ge­na­ga be­gann mich er­neut zu um­krei­sen. Ich hat­te die Au­gen auf mei­nen Geg­ner ge­rich­tet und nahm die Bil­der doch nicht di­rekt war. Mein Chi ver­ar­bei­te­te all die­se In­for­ma­tio­nen. Alle un­wich­ti­gen Ge­dan­ken wa­ren aus­ge­blen­det, und mein Geist kon­zen­trier­te sich auf das, was in Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­gas Kopf vor­ging. Wie­der er­folg­te nach kur­zer Zeit ein ra­scher An­griff. Dies­mal ziel­te der Schlag von oben auf mei­ne rech­te Schul­ter, doch ich nahm die Be­we­gung wahr, be­vor sie aus­führt wur­de. Mit ei­ner schnel­len Dre­hung wich ich im glei­chen Mo­ment zur Sei­te aus und ließ den Schlag ins Lee­re lau­fen. Da­mit hat­te mein Trai­nings­part­ner nicht ge­rech­net, so dass er von dem Schwung des Hie­bes nach vorn ge­ris­sen wur­de. Ich ver­zich­te­te auf eine Ge­gen­wehr, da ich erst noch ei­ni­ges he­r­aus­fin­den woll­te. Ver­blüfft schau­ten mich die bei­den an, aber ich woll­te kei­ne Pau­se ent­ste­hen las­sen und bat Shi­ge­na­ga, gleich wei­ter­zu­ma­chen.

      Wir trai­nier­ten die hal­be Nacht, und am Ende hat­ten bei­de kei­ne Ein­wän­de mehr ge­gen das Du­ell.

      Der Fürst woll­te am nächs­ten Mor­gen alle not­wen­di­gen Schrit­te ein­lei­ten, da­mit der Kampf nach un­se­ren Wün­schen statt­fin­den konn­te. Mein Schwert soll­te noch ein­mal ge­schlif­fen wer­den, um eine mög­lichst hohe Schär­fe der Schwert­spit­ze zu er­rei­chen, denn das war der Schlüs­sel zu mei­nem Plan. Wir trenn­ten uns, und ich fiel in mei­nem Quar­tier in einen ru­hi­gen kur­zen Schlaf.

      Den nächs­ten Mor­gen be­gann ich mit Tai-Chi-Übun­gen. Gleich zu Be­ginn stell­ten sich Shi­ge­na­ga und, wie ich spä­ter er­fuhr, auch Mit­glie­der der Date Fa­mi­lie ein, von de­nen kei­ner es wag­te, mich zu stö­ren. Sie stan­den oder sa­ßen still am Ran­de des gut ge­pfleg­ten Zier­gar­tens und be­ob­ach­te­ten ge­nau, was ich tat. Zwei jun­ge Frau­en, die nicht un­ter­schied­li­cher sein konn­ten, fie­len mir be­son­ders auf. Die zwei Schrit­te vor­an­ge­hen­de Frau trug einen hell­gel­ben eng an­lie­gen­den, mit schö­nen Mus­tern ver­se­he­nen und von ei­nem Stoff­gür­tel zu­sam­men­ge­hal­te­nen Ki­mo­no. Er war so straff bis in Brust­hö­he ge­wi­ckelt, dass man von ih­ren Kör­per­for­men kaum et­was wahr­neh­men konn­te. Im Rücken war ein Pols­ter mit ei­ner großen Schlei­fe be­fes­tigt. An den nack­ten Fü­ßen trug sie Holz­san­da­len, und durch den en­gen Ki­mo­no konn­te sie nur sehr klei­ne Schrit­te ma­chen. Die rech­te Hand hielt einen bun­ten Son­nen­schirm, und in der lin­ken hat­te sie einen ge­öff­ne­ten Fä­cher. Ihr tief­schwar­zes hoch­ge­steck­tes Haar wur­de von ei­ner bun­ten Span­ge zu­sam­men­ge­hal­ten. Zwei Blu­men­blü­ten­ar­ran­ge­ments ver­voll­stän­dig­ten ihre Fri­sur. Doch am auf­fäl­ligs­ten war ihr stark ge­schmink­tes Ge­sicht. Von der nor­ma­len Haut­far­be konn­te man nur am Hals ein Stück se­hen.

      Die zwei­te Frau, die seit­lich hin­ter der ers­ten lief, war das gan­ze Ge­gen­teil. Ihr Äu­ße­res war we­ni­ger he­r­aus­ge­putzt. Auch sie trug einen Ki­mo­no, der aber weit ge­schnit­ten war, da­mit die Bei­ne mehr Be­we­gungs­frei­heit hat­ten. Ob­wohl we­ni­ger auf­fäl­lig ge­mus­tert, wirk­te er den­noch edel. Ein schma­ler, nicht ganz so eng ge­wi­ckel­ter Stoff­gür­tel hielt ihn zu­sam­men. Das Rücken­pols­ter fehl­te ganz, und statt des Son­nen­schir­mes trug sie in der rech­ten Hand einen Stab, auf den sie sich beim Ge­hen stütz­te. Ihr Haar war ähn­lich ar­ran­giert, aber nur we­ni­ge Blü­ten und eine klei­ne Span­ge zier­ten die Pracht. In dem de­zent ge­schmink­ten Ge­sicht war die hell­brau­ne Haut gut zu er­ken­nen. Am auf­fäl­ligs­ten war aber ihr wie­gen­der Gang. Es sah so aus, als müss­te sie ein Bein im­mer mit et­was Schwung nach vorn set­zen und sich dann wie­gend nach oben drücken. Um das zu ge­währ­leis­ten, steck­ten ihre Füße in fest ge­schnür­ten Reiss­troh­san­da­len und nicht in zier­li­chen Holz­san­da­len.

      Was mich aber bei mei­nen Übun­gen fast ein we­nig aus dem Gleich­ge­wicht brach­te, war ihre Aus­strah­lung. Ob­wohl die ers­te Frau ohne Ma­kel und äu­ßer­lich schö­ner zu sein schi­en, hat­te die hin­ter ihr ge­hen­de eine in­ne­re Schön­heit, die viel­leicht nur ei­nem un­vor­ein­ge­nom­me­nen Be­ob­ach­ter auf­fiel. Das Ge­sicht war nicht ganz so voll wie bei der an­de­ren Frau, und ein schma­ler Mund wur­de von zwei schalk­haf­ten Grüb­chen be­grenzt. Die nicht zu klei­ne Nase gab dem Ge­sicht eine an­ge­neh­me Form und mach­te es wett, dass die Au­gen in all­zu fla­chen Au­gen­höh­len la­gen. Aber die­se Au­gen hat­ten es in sich. Sie wa­ren leb­haft, und ein zu­frie­de­ner Glanz ging von