Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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nur so et­was sa­gen! Für mich ge­hörst du zu uns, und der Abt von Wu­dang sieht dich auch als einen zu uns Ge­hö­ri­gen.‹

      ›Ja, so­lan­ge ich der Schü­ler war, war das in Ord­nung. Doch der bin ich nicht mehr, und wel­ches Recht soll­te ich ha­ben, mich jetzt noch für län­ge­re Zeit in eu­ren Klös­tern auf­zu­hal­ten. Ich bin kein bud­dhis­ti­scher und auch kein taois­ti­scher Mönch und habe we­der Rech­te noch Auf­ga­ben in eu­ren Klös­tern. Lei Cheng hat mir das bei un­se­rem Ab­schieds­ge­spräch be­wusst ge­macht. Ich muss und will mir also eine Auf­ga­be su­chen, mit der ich mei­nen Le­bens­un­ter­halt ver­die­nen kann und die mir das Recht gibt, mich an ei­nem Ort auf­zu­hal­ten. Bei euch kann ich das nicht, da ich we­der den einen noch den an­de­ren Glau­ben an­neh­men will oder kann. Aber der Fürst hat mir ein An­ge­bot ge­macht, mit dem ich mei­ne An­we­sen­heit viel­leicht recht­fer­ti­gen kann. Zu­min­dest für eine ge­wis­se Zeit, und dann sehe ich wei­ter.‹

      ›Aber eine Auf­ga­be kannst du doch auch bei uns fin­den. Du bist jetzt ein Meis­ter und kannst un­ter­rich­ten oder ...‹

      ›Nein, Wang Lee, ich bin kein Mönch. Ich war hier ge­stran­det, und Han Li­ang Tian hat­te, aus wel­chem Grund auch im­mer, mich er­war­tet und sah es als sei­ne Auf­ga­be an, mich in al­lem zu un­ter­rich­ten, was er wuss­te. Er sag­te im­mer, dass er die­se Auf­ga­be von Bud­dha oder ei­nem an­de­ren er­hal­ten habe, und das diente ihm und mir als Rech­fer­ti­gung mei­nes Auf­ent­halts. Doch er lebt nicht mehr, und sei­ne Auf­ga­be ist er­füllt. Ich brau­che ein neu­es Ziel, und ich hof­fe, dass ich das viel­leicht bei Date Ma­sa­mu­ne fin­den kann.‹

      ›Aber, aber ich ...‹

      Chen Shi Mal leg­te ihm die Hand auf die Schul­ter.

      ›Gib auf, Wang Lee! Er hat sich ent­schie­den, und viel­leicht ist es der rich­ti­ge Weg für ihn. Wir soll­ten ihn nicht von et­was zu über­zeu­gen ver­su­chen, was er nicht will.‹

      Bei­de hol­ten tief Luft und sa­hen mich mit trau­ri­gen Au­gen an. Wang Lee schi­en es be­son­ders hart zu tref­fen, denn sei­ne Au­gen be­ka­men einen feuch­ten Schim­mer. Er war mir in der Zeit, die ich in Chi­na zu­ge­bracht hat­te, im­mer ein treu­er Freund ge­we­sen. Nie hat­te er mich im Stich ge­las­sen, auch nicht, als wir in Wu­dang wa­ren und er sei­ne ge­wohn­te Um­ge­bung für mich ver­las­sen hat­te. Es fiel mir nicht leicht, vor mir selbst mei­ne Ent­schei­dung zu recht­fer­ti­gen, denn einen treue­ren und bes­se­ren Weg­be­glei­ter als ihn kann man sich nicht wün­schen. Doch auf der an­de­ren Sei­te stan­den die Kon­flik­te, die mei­ne An­we­sen­heit in Shao­lin her­vor­rief und un­ter de­ren Fol­gen die, die mir na­he­stan­den, mit­lei­den muss­ten. Das war der ein­zi­ge Grund, mit dem ich mei­ne Ent­schei­dung vor mir selbst recht­fer­ti­gen konn­te.

      Als ich mit mei­nen Ge­dan­ken so weit ge­kom­men war, gab ich mir einen Ruck und ver­ab­schie­de­te mich von mei­nen chi­ne­si­schen Freun­den. Kei­ner konn­te sei­ne Emo­tio­nen ver­ber­gen, und re­spekt­voll wen­de­ten sich der Dai­myo und Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ab. Ich wuss­te zu die­ser Zeit noch nicht, dass die­se Hand­lungs­wei­se für einen Sa­mu­rai kei­nes­wegs ty­pisch war und dass ich wie­der einen Weg mit sehr un­ge­wöhn­li­chen Cha­rak­te­ren be­schrei­ten wür­de. Doch ge­ra­de des­halb soll­te ich wie­der sehr gute Freun­de fin­den.

      Die chi­ne­si­sche Küs­te war schon lan­ge mei­nen Bli­cken ent­schwun­den, und da ich kei­ne Auf­ga­be hat­te, ver­brach­te ich die Tag- und Nacht­stun­den zu ei­nem großen Teil in Me­di­ta­ti­on. Am Mor­gen des drit­ten Ta­ges tauch­te vor uns eine im Dunst lie­gen­de Küs­ten­li­nie auf. Mei­nen Ge­dan­ken nach­hän­gend, lehn­te ich an der Re­ling und schau­te er­war­tungs­voll in die­se Rich­tung. Wir hat­ten bis­her sehr gu­tes Se­gel­wet­ter ge­habt, so dass das Schiff re­la­tiv ru­hig da­hing­litt. Die gut ein­ge­ar­bei­te­te Mann­schaft be­weg­te sich fast laut­los und ge­mäch­lich auf dem Deck, wäh­rend ich mich in die­sem Mo­ment ein we­nig ein­sam fühl­te. Schon ka­men Zwei­fel in mir auf, ob es rich­tig war, die­sen Weg ein­zu­schla­gen, doch in dem Mo­ment ge­sell­te sich Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga zu mir.

      ›Darf ich Ih­nen ein we­nig Ge­sell­schaft leis­ten?‹

      ›Aber ja‹, sag­te ich er­freut. ›Ist das dort vorn schon die ja­pa­ni­sche Küs­te?‹, setz­te ich hin­zu.

      ›Nein‹, sag­te er lei­se auf­la­chend. ›Bis wir die zu se­hen be­kom­men, dau­ert es noch, und un­ser ei­gent­li­ches Ziel ist noch viel wei­ter ent­fernt.‹ Er schau­te sich kurz um und über­leg­te. ›Es müss­te eine der klei­ne­ren oder grö­ße­ren In­seln sein, die Ko­rea vor­ge­la­gert sind, doch ge­nau weiß ich es nicht. Der Schiffs­füh­rer kann es uns aber be­stimmt sa­gen.‹

      Er dreh­te sich um und rief dem Ka­pi­tän et­was auf Ja­pa­nisch zu. Bei des­sen Ant­wort nick­te er be­frie­digt und sag­te dann zu mir:

      ›Ja, es ist, wie ich ver­mu­tet habe, eine der grö­ße­ren In­seln vor Ko­rea. Sie heißt Che­ju oder so ähn­lich. Wir las­sen sie rechts lie­gen und steu­ern ge­nau auf die Mee­ren­ge zwi­schen Kyus­hu und Hons­hu zu. Ha­ben wir die­se hin­ter uns, se­geln wir mehr oder we­ni­ger an Kyus­hus Küs­te ent­lang. Links se­hen wir dann die große In­sel Shi­ko­ku, de­ren Küs­ten­ver­lauf wir fol­gen, bis wir wie­der auf Hons­hu tref­fen. Wei­ter geht es Rich­tung Nord­os­ten bis zur Halb­in­sel Izu. Wenn wir sie um­schifft ha­ben, sind wir schon fast am Ziel, denn dann ist Edo nicht mehr weit.‹

      ›Oh, ich dach­te nicht, dass wir eine so lan­ge Fahrt vor uns ha­ben. Für mich war Ja­pan im­mer nur einen Kat­zen­sprung von Chi­na oder Ko­rea ent­fernt.‹

      ›Einen Kat­zen­sprung?‹, er lach­te kurz auf. ›Das hab ich ja noch nie ge­hört. Si­cher ist die Fahrt re­la­tiv kurz, wenn man an­de­re große See­rei­sen da­mit ver­gleicht, aber ein Kat­zen­sprung ...‹ Er ver­such­te ein wei­te­res Auf­la­chen zu un­ter­drücken. ›Nein, ein Kat­zen­sprung ist es be­stimmt nicht.‹

      Mir in die Au­gen bli­ckend, füg­te er nach­denk­lich hin­zu, ›Du weißt an­schei­nend noch nicht all­zu viel über un­ser Land, und ich den­ke, es wird das Bes­te sein, wenn ich die wei­te­re Rei­se nut­ze und dir ei­ni­ges er­klä­re.‹

      Er nahm eine be­que­me­re Hal­tung ein und fuhr fort:

      ›Ich darf doch du sa­gen, oder?‹

      Ich nick­te be­stä­ti­gend. Er­freut und we­sent­lich ent­spann­ter sag­te er:

      ›Wir wer­den ver­mut­lich, da du noch kein Ja­pa­nisch kannst, in nächs­ter Zeit viel mit­ein­an­der zu tun ha­ben, und ich fin­de es ein­fach we­sent­lich ent­spann­ter, wenn wir nicht so förm­lich mit­ein­an­der um­ge­hen.‹

      Er nick­te wie zur Selbst­be­stä­ti­gung und hol­te tief Luft.

      ›Also, die See­rei­se bis zu der Küs­te, die Ko­rea oder Chi­na am nächs­ten liegt, ist nicht gar so lang und führt übers of­fe­ne Meer. Doch dann müs­sen wir zwi­schen den großen ja­pa­ni­schen In­seln hin­durch­se­geln, um auf die an­de­re Sei­te Ja­pans zu ge­lan­gen, denn Edo liegt in ei­ner großen Bucht an der ge­gen­über­lie­gen­den Küs­te Ja­pans. Wenn wir die Re­si­denz des Sho­gun er­rei­chen, ha­ben wir mehr als die Hälf­te un­se­res Lan­des um­se­gelt. Das Lang­wie­rigs­te und viel­leicht auch Ge­fähr­lichs­te die­ser Rei­se ist die Fahrt zwi­schen den In­seln und an der an­de­ren Küs­te. Dort we­hen um die­se Jah­res­zeit oft un­s­te­te star­ke