Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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Din­gen von die­sen Män­nern un­ter­rich­tet, und da­bei habe ich ihre Spra­che er­lernt.‹

      Er mach­te eine klei­ne Pau­se, und sein Ge­sicht nahm einen leicht ver­trä­um­ten Aus­druck an. Es schie­nen schö­ne Er­in­ne­run­gen an jene Zeit zu sein, die ihm ge­ra­de in den Sinn ka­men. Doch das dau­er­te nur kurz. Er blick­te wie­der hoch und fuhr fort:

      ›Ja, und die See­rei­se in Ja­pans Ge­wäs­sern kann ich so gut be­schrei­ben, weil ich im Auf­trag des Dai­myo schon mehr­fach zur In­sel Shi­ko­ku und auch dar­über hi­n­aus ge­fah­ren bin. Date Hi­demu­ne, der äl­tes­te Sohn mei­nes Herrn, hat vom Sho­gun das Le­hen Uwa­ji­ma auf der In­sel Shi­ko­ku er­hal­ten, und ich habe ihn öf­ter dort auf­su­chen müs­sen.‹

      ›Ist es bei euch nicht üb­lich, dass der äl­tes­te Sohn die Nach­fol­ge sei­nes Va­ters an­tritt?‹

      ›Das schon, doch Date Hi­demu­ne ist kein Sohn von Meg­o­hi­me, der Frau mei­nes Herrn. Er ist der Sohn ei­ner Kon­ku­bi­ne und kann des­halb das Erbe sei­nes Va­ters nicht an­tre­ten. Er darf zwar den Na­men sei­nes Va­ters füh­ren, aber in der Rang­fol­ge kommt im­mer erst der erst­ge­bo­re­ne Sohn aus der ehe­li­chen Ver­bin­dung.‹

      ›O je, ist das kom­pli­ziert. Kommt es da nicht zu Kon­flik­ten und Rei­be­rei­en?‹

      ›Eher sel­ten, es ist al­les klar ge­re­gelt, und al­les un­ter­liegt ei­ner stren­gen Rang­ord­nung. Frü­her kam es öf­ter vor, dass in Fa­mi­li­en der eine oder an­de­re aus die­ser Ord­nung aus­bre­chen woll­te, doch un­ter der stren­gen Füh­rung des Sho­gun ist das nicht mehr so ein­fach.‹

      ›Warum hat der Fürst eine Kon­ku­bi­ne? Ist er mit sei­ner Frau nicht glück­lich?‹

      Shi­ge­na­ga sah mich ver­ständ­nis­los an.

      ›Das eine hat mit dem an­de­ren nichts zu tun. Date Ma­sa­mu­ne ist ein großer Dai­myo. Es ist üb­lich und ge­hört zum gu­ten Ton, dass sich ein Mann in ei­ner sol­chen Po­si­ti­on eine oder meh­re­re Kon­ku­bi­nen hält. Mein Herr hat sie­ben, aber in letz­ter Zeit sucht er sie nicht mehr so oft auf, denn er denkt mitt­ler­wei­le ein we­nig an­ders über die­sen Brauch. Doch das ist nur in­of­fi­zi­ell. Mehr möch­te ich dar­über nicht sa­gen.‹

      Mein Blick ruh­te auf dem Meer, ohne das ich et­was da­von wahr­nahm. Ich dach­te über das Ge­hör­te nach, und Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga be­ob­ach­te­te mich ge­spannt.

      Nach ei­ner Wei­le durch­brach er die Stil­le und frag­te:

      ›Es hat den An­schein, dass du die­sen Brauch noch nicht kennst? Gibt es dort, wo du her­kommst, kei­ne Kon­ku­bi­nen?‹

      ›Of­fi­zi­ell nicht. Si­cher­lich ha­ben man­che Män­ner eine Ge­lieb­te, aber das wird meist ge­heim ge­hal­ten. Wenn sich man­che Män­ner da­mit brüs­ten, dann in der Re­gel nur von Mann zu Mann, un­ter Gleich­ge­sinn­ten. Im All­ge­mei­nen scha­det es dem Ruf, vor al­lem dann, wenn es eine hoch­ge­stell­te Per­sön­lich­keit be­trifft. Ich per­sön­lich emp­fin­de Ne­ben­frau­en als we­nig sinn­voll, denn es schafft nur Pro­ble­me. Aber ich möch­te mir da kein Ur­teil er­lau­ben, weil ich noch viel zu we­nig über euer Land und Volk weiß. Es hat si­cher­lich sei­ne Grün­de und Ur­sa­chen und viel­leicht ...‹, ich stock­te kurz, ›viel­leicht auch sei­ne Be­rech­ti­gung.‹

      Er lach­te kurz auf.

      ›Ja, sei­ne Grün­de und Ur­sa­chen hat es auf je­den Fall, ob es des­we­gen sei­ne Be­rech­ti­gung hat, weiß ich nicht.‹

      Er schau­te über Bord und be­ob­ach­te­te einen Schwarm Fi­sche, der knapp un­ter der Was­ser­ober­flä­che ne­ben dem Schiff da­hing­litt. Da­bei sprach er lei­se und mehr zu sich:

      ›Un­ser Volk und vor al­lem der Stand, dem ich an­ge­hö­re, schätzt die krie­ge­ri­schen Fä­hig­kei­ten und die Macht ei­nes Man­nes mehr als al­les an­de­re. Aus die­sem und an­de­ren Grün­den ha­ben wir uns in den letz­ten Jahr­hun­der­ten im­mer wie­der ge­gen­sei­tig zer­fleischt. Es wur­den stän­dig Krie­ge ge­führt und ter­ri­to­ria­le Macht­kämp­fe aus­ge­foch­ten. Vie­le Ban­di­ten und her­ren­lo­se Krie­ger zo­gen durchs Land. Sie raub­ten und mor­de­ten ohne Gna­de. Das Re­sul­tat war und ist, dass es einen Frau­en­über­schuss und vie­le Wit­wen gibt. Schon vor vie­len hun­dert Jah­ren kam der Brauch auf, dass Män­ner, die es sich leis­ten konn­ten, sol­che Frau­en in Dienst ge­nom­men ha­ben, um ih­nen Schutz zu ge­wäh­ren. Der Weg bis zur Kon­ku­bi­ne war dann nicht mehr weit. Doch mitt­ler­wei­le ha­ben sich die­se Grün­de ver­lo­ren, und es geht jetzt meist mehr dar­um, Fa­mi­li­en an sich zu bin­den, oder die Fa­mi­li­en der Kon­ku­bi­nen möch­ten sich das Wohl­wol­len ei­nes ho­hen Her­ren da­mit er­kau­fen. Und na­tür­lich be­frie­di­gen vie­le Män­ner da­mit Ihre Be­dürf­nis­se.‹

      Er sah hoch und mir in die Au­gen, ›Doch ich rede hier über Din­ge, die ein ge­fähr­li­ches Ge­dan­ken­gut sind, denn kei­ner möch­te an die­sen Bräu­chen und Ri­tua­len rüh­ren. Auch er­in­nern sol­che Re­den an die christ­li­chen Missio­na­re, die seit ei­ni­ger Zeit aus dem Land ver­bannt sind. Date Ma­sa­mu­ne und ich ha­ben des Öf­te­ren über sol­che Sa­chen ge­spro­chen. Wir se­hen mitt­ler­wei­le vie­les ein we­nig an­ders als die an­de­ren Män­ner un­se­res Stan­des, doch öf­fent­lich dazu be­ken­nen dür­fen wir uns nicht. Es wäre un­ser To­des­ur­teil. Also, wenn du uns und un­se­re Fa­mi­li­en nicht ins Un­glück stür­zen willst, dann be­hal­te es für dich, und sprich mög­lichst nicht mit dem Fürs­ten dar­über.‹

      Ich nick­te und be­müh­te mich, das The­ma zu wech­seln.

      ›Ist Edo eine sehr große Stadt?‹

      Er er­kann­te mei­ne Ab­sicht, lä­chel­te und ging dar­auf ein.

      ›Das kommt dar­auf an, was für Ver­glei­che du hast. Du kannst Edo si­cher­lich nicht mit der Re­si­denz­stadt des chi­ne­si­schen Kai­sers ver­glei­chen, denn Edo ist noch jung. Die Stadt wird ge­ra­de erst rich­tig auf­ge­baut, es ist al­les neu und wohl­ge­ord­net. Vie­le tau­send Ar­bei­ter sind da­mit be­schäf­tigt, den sump­fi­gen Bo­den zu be­fes­ti­gen so­wie Stra­ßen und neue Ge­bäu­de zu bau­en. Die Burg des Sho­gun und eine Grund­struk­tur sind schon vor­han­den. Als ich noch ein Kind war, war Edo ein klei­nes Fi­scher­dorf, doch To­ku­ga­wa Ieya­su, der ers­te große Sho­gun, er­kor sich die­ses Dorf zur Re­si­denz. Seit die­ser Zeit wird in Edo ge­baut. Erst noch zu­rück­hal­tend und jetzt, nach­dem sich die Macht des am­tie­ren­den Sho­gun über ganz Ja­pan er­streckt, mehr. Alle Dai­myo müs­sen sich am Auf­bau der Stadt be­tei­li­gen und ver­brin­gen auch einen großen Teil ih­res Le­bens hier.‹

      Er wen­de­te sich wie­der um und blick­te aufs Was­ser.

      ›Was für ein Auf­wand und was für Kos­ten! Die Mit­tel könn­ten in den Pro­vin­zen der Dai­myo gut ge­braucht wer­den. Doch kei­ner wagt es, sich da­ge­gen auf­zu­leh­nen. Der Sho­gun hat die Macht, und alle sind ihm auf Ge­deih und Ver­derb aus­ge­lie­fert.‹

      Er schüt­tel­te den Kopf.

      ›Aber die Stadt wird schön. Der Stadt­kern ist die Burg, und um sie he­r­um scha­ren sich die An­we­sen der rang­höchs­ten Sa­mu­rai. Da­mit mei­ne ich die der Dai­myos und et­was wei­ter von der Burg ent­fernt die Häu­ser von de­ren di­rek­ten Un­ter­ge­be­nen. Also Bus­hi wie mich. Je wei­ter weg von der Burg das Haus, des­to ge­rin­ger der Rang des Be­sit­zes.