Der Gehilfe des Monsters trat zu dem Folterstuhl und steckte dem Alten einen zusammengeballten Stofflappen in den Mund, der nach Benzin oder Putzmitteln roch. Dann trat er einige Schritte zurück, um das nun folgende Schauspiel zu genießen.
Der nächste Schlag war mörderisch, die Schmerzen unbeschreiblich. Er verlor beinahe das Bewusstsein, ein tiefer Friede wollte ihn überkommen und er hatte das Gefühl, loslassen zu können. Aber dann erhielt er zwei kräftige Ohrfeigen und wurde wieder ins Leben zurückgerissen.
„Das waren vierzig Prozent. Wollen wir jetzt ernsthaft miteinander reden?“
Weksler nickte oder glaubte wenigstens, es zu tun. Er konnte nicht mehr.
„Mein Enkel Igor. Er ist Physiker und lebt in Frankfurt. Ich wollte ihn warnen, damit er von dort verschwinden kann.“
„Name und Adresse, dann können wir Sie erlösen. Oder gibt es noch andere, die etwas wissen?“
Der Alte schüttelte den Kopf. Dann sagte er seinen Peinigern, was sie wissen wollten. Die Existenz seiner Enkelin Katja verriet er ihnen nicht.
„Sehen Sie, das war doch gar nicht so schwer.“ Der Chef dieser Verbrecher griff in seine Tasche und beförderte eine kleine Dose ans Licht, die er öffnete, um ihr eine längliche Kapsel zu entnehmen.
„Sergej, geh auf den Flur und hol unserem Gast ein Glas Wasser.“
Sechs Minuten und dreißig Sekunden später war Iossif Wladimirowitsch Weksler, Sohn eines hochdekorierten Physikers aus der Zeit des Kalten Krieges und Großvater zweier Enkel, die er in Deutschland in großer Gefahr wusste, nicht mehr am Leben.
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Krasnodar, Südwest-Russland
Der Vermittler hatte sie darauf vorbereitet, ihnen Geduld gepredigt; aber den beiden Fahrern fiel das Warten dennoch schwer.
Obwohl sie einen Umweg von mehr als fünfhundert Kilometern gemacht hatten, waren sie bereits vor ein paar Tagen in Krasnodar angekommen, waren von dort auf das letzte Teilstück der Strecke nach Noworossijsk gegangen und wurden sechzig Kilometer vor der Hafenstadt am Schwarzen Meer, wo ihre drei Röhren auf ein Schiff verfrachtet werden sollten, durch einen Anruf ausgebremst.
Ihre Route war von ihrem Auftraggeber erdacht worden, der annahm, dass die direkte Strecke von Tscheljabinsk nach Noworossijsk ebenso wie alle anderen Fernverbindungen unter besonderer Beobachtung von Miliz, Militär und Geheimdienst stünde, sobald der Diebstahl aufgeflogen war. Und er war aufgeflogen, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Es hieß nun zu warten, bis sich die Lage beruhigt hatte, alle offiziellen Grenzübergänge des riesigen russischen Reiches waren für den Warenverkehr dicht, und das betraf eben auch solche Fracht, die auf dem Schiffsweg das Land verlassen sollte. Die Weiterfahrt musste verschoben werden, bis Entwarnung kam, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu fassen. Dafür wurden sie gut bezahlt, worauf ihr Auftraggeber sie ausdrücklich hingewiesen hatte.
Sie mussten ihre Neugierde gewaltig zügeln, denn der Vermittler hatte ihnen nicht verraten, was sich in den Röhren befand; dass es sich um etwas Gefährliches handelte, war ihnen aber ebenso klar wie die Tatsache, dass sie etwas Verbotenes taten. Die Wärmeentwicklung in den Zylindern war ihnen nicht entgangen, auch wenn sie sie nicht plausibel erklären konnten. Naja, und der exorbitante Lohn für diese vergleichsweise bescheidene Aufgabe sprach seine eigene Sprache.
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Frankfurt am Main
Igor weinte haltlos am Telefon. Am anderen Ende der Leitung konnte auch Katja ihre Tränen kaum unterdrücken.
Ihr geliebter Großvater, der ihnen über viele Jahre die Eltern ersetzt hatte, war tot. Gestorben von eigener Hand, wenn man der Verwaltung in Dubna glauben wollte – und das tat Igor, der am Vortag eine alarmierende Nachricht des Verstorbenen erhalten hatte, keine Sekunde lang.
Angeblich hatte es einen Abschiedsbrief gegeben, den er an seinem Computer verfasst hatte. Deshalb gab es keine Unterschrift, anhand derer man die Echtheit des Schreibens hätte nachprüfen können.
Das Traurigste für sie war, dass sie nicht einmal zu seiner Beerdigung nach Dubna fliegen konnten, denn – wie man ihnen in bester Amtssprache mitteilte – der Leichnam des alten Mannes war bereits am Vortag nach einer gründlichen Untersuchung eingeäschert und die Urne auf einem Friedhof beigesetzt worden, dessen Namen sie nicht einmal erfuhren.
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Riad, Saudi-Arabien
Yassir Hossein, der Vermittler, unterdrückte den Wunsch nach einer Zigarette. Er saß im Wohnzimmer seines Auftraggebers, wobei der Ausdruck Zimmer eigentlich eine Beleidigung für den einem Kirchenschiff ähnlichen Raum war, in dem eine Fußballmannschaft hätte trainieren können. Der Alte duldete keinen Zigarettenrauch in seinen Gemächern.
„Es sind geringfügige Schwierigkeiten aufgetreten, Prinz. Aber es ist nichts, was nicht absehbar gewesen wäre. Die Russen haben natürlich panikartig ihre Grenzen geschlossen; aber das halten sie nicht länger als zwei Wochen durch. Danach werden die Übergänge wieder durchlässig. Außerdem ist unser erster Transporter bereits seit einer Woche in Kasachstan und bewegt sich jetzt auf Nebenstraßen auf die usbekische Grenze zu. Es ging bisher nur langsam voran, aber auch das wussten wir. Die Jahreszeit lässt keine höhere Geschwindigkeit zu.“
„Welche Auswirkungen wird es haben, wenn wir einen oder zwei dieser Transporte verlieren?“
Hossein lächelte sein stets auf Hochglanz poliertes Lächeln.
„Eigentlich nichts, wir haben großzügig geplant. Schon wenn drei dieser neun Röhren tatsächlich ankommen, zuzüglich des Poloniums, dann wird es in Frankfurt Chaos und Verderben geben.“
„Wie hoch schätzen Sie den ökonomischen Schaden, den unsere Aktion anrichten wird?“
Der Saudi konnte seine Zweifel am Erfolg dieser Aktion nicht unterdrücken. Er war sterbenskrank und seine Ärzte hatten durchblicken lassen, dass es in weniger als vier Monaten zu Ende sein konnte - nein, würde. Der Anschlag, der den feigen Kindesmördern von Kunduz galt, war sein Vermächtnis an die Muslime dieser Erde.
„Denken Sie an eine hohe Ziffer mit zehn Nullen, versehen mit einem Dollarzeichen. Vielleicht sogar ein wenig mehr.“
„Beim Barte des Propheten!“
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George Town, Grand Cayman
Nachdem sie ihre Bankgeschäfte erledigt hatten, blieben den Mitarbeitern des Geheimdienstes und dem von ihnen entführten Kuljamin noch drei Tage Zeit, die es totzuschlagen galt, bevor sie die Heimreise antreten durften (oder mussten, je nach persönlichem Gusto), denn es gab für ihre Buchung keine frühere Verbindung nach Moskau.
Am ersten Tag sprachen sie – mit Kuljamin als Frontmann – bei der Barclays Bank in George Town vor und der ehemalige Direktor veranlasste eine Überweisung in Höhe von etwas über elfeinhalb Millionen Dollar auf das Konto einer russischen Spedition bei einer Genfer Bank. Diese Spedition war eine uralte, noch aus KGB-Zeiten stammende Tarneinrichtung, der sie sich jetzt bedienten, um sich Kuljamins Geld anzueignen.
Weil nach dieser Transaktion auf dem Konto in George Town noch immer einiges an Geld übrig war, hoben sie fünfzigtausend Dollar in bar ab und verprassten in diesen drei Tagen so viel davon wie möglich.
Zu ihren Ausgaben gehörten die Anmietung einer Stretch-Limousine mit Chauffeur und einer gutsortierten Bar an Bord; eine Nacht mit vier einheimischen Prostituierten für den gehobenen Geschmack in der Senior Suite eines Luxushotels; kostbar aussehender Schmuck als Entschädigung für ihre daheim gebliebenen Ehefrauen stand ebenfalls auf der Einkaufsliste. Und am letzten Tag vor ihrem Rückflug mieteten sie eine hochseetaugliche Jacht, mit der sie zum Angeln hinaus zum Riff fuhren,