In der zweiten Reihe. Kathrin Thiemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Thiemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754137383
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beruhigte das und wir überlegten, wie es weitergehen konnte. Dass er in diesem Sommersemester würde weiter studieren können, stand noch außer Frage, er würde aussetzen müssen.

      Also beschloss ich, und Vater war davon nicht sehr begeistert, meinen Bräutigam über den Sommer zu uns nach Paderborn zu holen und zu hegen und zu pflegen.

      Als ich ihn in Bonn abholte, wohnte in meinem Zimmer in der Reuterstraße inzwischen eine neue Theologiestudentin, Maren Ottsen. Eine fröhliche und sehr lebendige Frau, die mir sofort gefiel. Wilhelm, der mir half, meine Tasche aus der Reuterstraße zum Bahnhof zu bringen, bekam leuchtende Augen, als er sie sah. Fräulein Ottsen begrüßte ihn sehr keck, ich sah, wie ihm das gefiel.

      »Sie müssen es machen wie Helene Schmidt,« meinte Wilhelm zu ihr, »Sie können Ihr Hebraicum gewiss auch nach einem Semester schon mit sehr gut machen.«

      Auf dem Weg zu Ernst fragte ich ihn:

      »Ist das nicht ein reizendes Mädel?« Und begann gleich, all ihre Tugenden aufzuzählen, die mir aufgefallen waren. Wie gut wäre es, wenn er auch endlich ein liebendes Herz fände, damit seine Seele Ruhe finden könnte.

      Wilhelm brachte uns noch zum Bahnhof und rief uns nach:

      »Glück auf den Weg!«

      Zu Ernst meinte ich im Zug:

      »Du, mir schwant was. Hast du Wilhelms Reaktion auf sie gehen? Sie bleibt wohl auch nicht lange hier.«

       Wer suchet, der findet?

      Ernst hat Post von Wilhelm bekommen. Es war endlich so weit, sein Herz hatte ein Gegenüber gefunden. Anders als wir erwarteten, war es nicht Fräulein Ottsen, sondern eine Pfarrerstochter, die er schon von Kindesbeinen an kannte. Immer wieder einmal kehrte er bei seinen Wanderungen in seinen Ferien dort ein. In diesen Tagen waren sie sich näher gekommen, schrieb er. Verlobt hatten sie sich noch nicht, aber er stand kurz davor, sie zu fragen. Er war des Lobes voll über sie, wenn ihr auch eine höhere Schulbildung fehlte. Das sei zwar nicht ausschlaggebend für eine Pfarrfrau, aber er hatte das Empfinden, dass man manches nicht mit solchen Mädchen besprechen könnte, weil es Sprachkenntnisse und philosophische Bildung voraussetzte. Natürlich war ihm ein Mädchen mit liebem und treuem Herzen eher willkommen als eines, das einem Wörterbuch der allgemeinen Bildung glich. Doch solch ein Mädchen zu finden war sehr schwer. Wichtig war ihm vor allem Gesundheit an Leib und Seele, ein achtbares Elternhaus und ein Herz, das seinen Heiland kennt. Das fand er in Gertrude Holstemeier.

      Wir sahen uns an.

      »Wilhelm hat ziemlich hohe Ansprüche«, meinte Ernst und ich pflichtete ihm bei. Da war ich dann tatsächlich nicht die Richtige für ihn gewesen.

      Allerdings war Gertrude nicht so stürmisch wie er, schrieb er noch, sie empfand nicht mit seiner Glut.

      Wieder sahen wir uns an.

      »Wenn das mal gut geht«, sagte ich und diesmal pflichtete Ernst mir bei.

       Schürze statt Buch

      Da ich bald heiraten würde, riet mir mein Vater, jetzt ganz praktische Dinge zu lernen, nämlich das, was ich wohl als Pfarrfrau brauchte. Damit war ich überhaupt nicht einverstanden. Doch er setzte sich durch. Mit meiner Verlobung war mir nun ein anderer Weg vorgezeichnet. Seufzend nahm ich mir vor, ihn anzunehmen und nach meinem Konfirmationsspruch geduldig und fröhlich in Hoffnung sein. Was das noch alles für mich bedeuten sollte, konnte ich mir damals noch nicht vorstellen.

      Solange Ernst noch studierte, machte ich zunächst einmal ein Haushaltsjahr. Da meine Mutter so früh starb, hatte ich von ihr in dieser Hinsicht nicht viel lernen können. Niemand hat mich in solche Dinge eingewiesen, also schien das wohl nötig zu sein - fand mein Vater. Er schrieb ein Bewerbungsschreiben auf eine Anzeige und empfahl mich in einen Pfarrhaushalt.

      »Sie wünschen sich ein gebildetes junges Mädchen«, sagte er. Gebildet? Vielleicht konnte es doch gut werden? Also machte ich mich auf den Weg nach Wehrendorf an der Weser. Dort kam ich tatsächlich in einen gebildeten Haushalt. Die Bibliothek war eindrücklich.

      »Ja, du darfst dir gerne ein Buch ausleihen und lesen. Aber erst, wenn die Arbeit getan ist«, sagte die Frau des Hauses. So strich ich beim Abstauben die Bücherreihen entlang und suchte mir schon einmal eines aus. Doch zum Lesen kam ich kaum. Ich war neben allem, was ein solcher Haushalt alles an Kraft verbraucht, auch für die Kinder zuständig. Das war das Schönste in diesem Jahr. Die Kinder mochten mich und ich mochte sie. In erster Linie, das musste ich leider sehr schnell erkennen, war ich allerdings für die Wäsche verantwortlich, Stopfen, Bügeln und vor allem Waschen. Warum sollte ich dafür ein gebildetes junges Mädchen sein?

      Ich fürchtete, dass ich wohl mein ganzes Leben lang, meine vom eisigen Wasser schmerzenden Finger spüren würde. Im tiefsten Winter musste ich nämlich die Wäsche im Wasser reiben, spülen und auswringen. Ich nahm mir fest vor, wann immer möglich diese Arbeit zu vermeiden und abzugeben. Vielleicht würde ich ja in unserem zukünftigen Pfarrhaushalt auch Hausmädchen bekommen. Zu ihnen würde ich immer freundlich sein. Unsere Bücher dürfen sie ausleihen und ich würde ihnen viel über Kunst erzählen.

       Trugschluss

      Als wir uns an Weihnachten endlich wiedertrafen, war es plötzlich aus mit Ernst und mir. Er löste die Verlobung, weil ich ihm zu kalt war und zu unnahbar, sagte er. Immer wieder hatte er deshalb auch Augen für andere Mädchen gehabt und verließ mich dann endgültig. Obwohl wir uns doch einander versprochen hatten, hielt ihn das nicht von einer Trennung ab.

      »Ich hatte es mir fest vorgenommen, aber ich schaffe es nicht«, sagte er. »Kaum kommt ein Anstoß von der Seite, ist es mit meinem Entschluss vorbei.«

      Was war an mir so schwierig? Liebte ich nicht tief genug? War ich nicht leidenschaftlich genug? Nein, leidenschaftlich war tatsächlich nicht meine Sache, aber ich war treu und blieb es auch. Ich hatte schon immer den berühmten langen Atem, der mich durch Höhen und Tiefen getragen hat. Vielleicht hätte ich die Leidenschaft noch lernen können. Hatte ich ihm etwa vorschnell mein Wort gegeben? Ich versuchte, Ernst keine Vorwürfe zu machen, aber es gelang mir nur schwer. Ich war sehr gekränkt. Zum einen, weil er mich vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Zum anderen war es eine Schmach, verlassen zu werden. Sollte ich die Trennung vor meiner Familie mit der fehlenden Leidenschaft begründen? Nein, da würde ich mich schämen.

      Nun kam mir ein anderer Gedanke, der mich erstarren ließ. Für das Leben mit ihm hatte ich mein Studium aufgegeben, das war das Schlimmste. Zurück an die Universität war jetzt vermutlich nicht mehr möglich. Vater wollte davon nichts mehr wissen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich auf Ernst. Wie hätte mein Leben ohne diese dämliche Verlobung aussehen können? Ich weinte aus Enttäuschung und aus Wut – wenn mich niemand sah. Die Blöße gab ich mir nicht.

       1922

       Listen statt Schürze

      Endlich war dieses schreckliche Jahr geschafft. Nein, die Arbeit im Haushalt war nichts für mich. Ohne einen Mann an meiner Seite musste ich ohnehin Geld verdienen. Zurück in Paderborn bekam ich bei Vaters Arbeitgeber, dem Reichswehrministerium, eine Anstellung, in der Abteilung Heeresunterkunftsamt. In diesem Büro war es schön warm und insgesamt sehr viel angenehmer als in einer Waschküche. Dort wurde ich Büro- und Kassengehilfin, meine Aufgaben waren das Aufstellen von Lohnlisten, Krankenkassen, Invalidenversicherung und verschiedene Steuerangelegenheiten.

      »Sie müssen die Ihnen übertragenen Arbeiten mit Sorgfalt und Fleiß pünktlich und gewissenhaft ausführen und Ihre volle Arbeitskraft den dienstlichen Pflichten widmen«, sagte mein Vorgesetzter. Darauf wurde ich mit Handschlag verpflichtet.

      »Gleichwohl verpflichten Sie sich, über dienstliche Tätigkeit strengste Verschwiegenheit zu bewahren, das gilt auch noch nach Ausscheiden aus dem Dienst.«

      »Jawohl, verstanden.«

      Jeden Monat klebte ich mir gewissenhaft eine Steuermarke für meine Angestelltenversicherung