In der zweiten Reihe. Kathrin Thiemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Thiemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754137383
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am nächsten Morgen, ging auf ihn zu und bat ihn in eine Fensternische.

      »Komm, komm«, begrüßte ich ihn dabei und bot ihm meine Hand. Als er einschlug, sagte ich leise:

      »Ich danke dir, Wilhelm«, und huschte davon zur Garderobe. Er kam hinter mir her und half mir in den Mantel.

      »Helene, ich danke dir. Du schenkst mir viel Vertrauen.«

      In seinem Gesicht stand geschrieben, dass er litt, aber auch, dass er sich Mühe geben wollte, mir ein Freund zu sein.

      Am Sonntag ging ich mit Ernst in die Kirche. Wir hielten uns nicht an den Händen, das hätte sich nicht gehört. Dass Wilhelm erbleichte, als er uns zusammen kommen sah, bekam ich nicht mit.

      Später erzählte Wilhelm mir von seiner zerstörten Hoffnung nach meiner Entscheidung und zeigte mir ein Gedicht aus diesen Tagen. Schwärmerisch wie er war, gab er so oft seinen Gefühlen Ausdruck.

      »Nun muss ich schweigen und stille sein,

      Darf heimliche Tränen dem Glück nun weihen,

      Das ich verloren.

      Muss schweigen und warten auf bess’re Zeit,

      Bis mir der Himmel in Gnaden verleiht,

      Was er erkoren.

      Euch aber will ich als treuer Freund

      Zur Seite stehen. - Doch wenn es scheint,

      Dass ich genesen,

      Denkt, dass dem Herze sein Liebstes geraubt,

      Was ich erhoffte, was ich geglaubt,

      Ist nie gewesen!«

      Er hatte aber auch feststellen müssen, dass der Wettbewerb mit Ernst um mich ihn angespornt hat.

      »Wer mich wohl lieber hatte? So hat sich die aus Selbstsucht mitbestimmte Liebe ins Unendliche gesteigert«, bekannte er. »Nach deiner Entscheidung hat sich eine Mattigkeit eingestellt. Was soll ich noch mitlaufen? Ernst hat das Ziel bereits erreicht. Ich frage mich, ob er ohne mich als Mitstreiter noch genauso laufen kann wie vorher?«

      Er empfand sich zu der Zeit als einen mächtigen Einspanner, wie er später erzählte. Der Frühling zeigte ihm Menschen, die zu zweit zusammen waren, überall ein Knospen und Blühen. Und er war noch immer allein. Auf der Suche nach einem Inhalt für sein Liebe suchendes Herz machte er sich auf dem Papier Luft:

      »Mein Herz ist von Liebe so übervoll,

      Und ich weiß nicht, wem ich sie schenken soll.

      Ruth gab ich sie erst, und sie nahm sie nicht an.

      Helene bekam einen anderen Mann.

      Drum bin ich sie heute noch immer nicht los!

      Ach, lieber Himmel, was mach ich da bloß?«

      Die beiden hatten beschlossen, ihre Männerfreundschaft sollte darunter nicht leiden. Ob sie das wirklich schafften?

      Inzwischen war vorübergehend ein kurzes Frühlings-Ahnen eingekehrt. Trotz fleißigen Lernens fand ich viel Freude an Spaziergängen und gemeinsamem Singen, aber noch mehr an den interessanten Diskussionsrunden. Wilhelm sah ich nicht mehr so oft, er hatte sich in die Arbeit gestürzt und damit abgelenkt. Auch Ernst und ich mussten uns unsere gemeinsamen Stunden oft genug von den Lernzeiten abzweigen.

      Wir verlobten uns. Trotz dieses aufregenden Ereignisses schien mir am Wichtigsten, zusammen weiter zu studieren zu können. Alles andere würde sich fügen.

      Womit ich nicht gerechnet hatte, ist, dass ich nun mein Studium abbrechen musste. So waren die Universitätsregeln. Eine Frau, die das Eheleben vor Augen hatte, war als Studentin nicht mehr geduldet. Wofür auch, hieß es. Sie brauchte schließlich in Zukunft keinen eigenen Beruf. Die Verlobung bedeutete also mein akademisches Ende.

      Ich war fassungslos. Hätte ich das vorher gewusst. Hätte ich mich dann auf Ernst eingelassen? Vielleicht nicht. Doch auf wen sollte ich nun ärgerlich sein? Er konnte doch auch nichts für diese Regeln.

      Ich bestand darauf, dass ich dieses Semester wenigstens abschließen und noch das Hebraicum ablegen konnte.

      Von der Universität bekam ich ein Abgangszeugnis, in dem steht, dass Fräulein Helene Schmidt als Studierende der Nationalökonomie an der hiesigen Universität immatrikuliert gewesen ist. Hinsichtlich ihres Verhaltens ist Nachteiliges nicht zu bemerken. In meinem Vorlesungsbuch wurde mir bescheinigt, dass ich Vorlesungen über hebräische Grammatik, Kirchengeschichte des Mittelalters, Einleitung in die Philosophie und allgemeine Volkswirtschaftslehre gehört habe. Die Prüfung im Hebräischen bestand ich schriftlich und mündlich mit sehr gut und erwarb damit das Zeugnis der Reife im Hebräischen. Immerhin.

      Diese Dokumente wollte ich zwar gut aufheben, sie jedoch in der Schublade lassen. Denn sie waren der Beweis, dass ich einmal große Träume hatte und Freude daran, einen ganz anderen Lebensentwurf zu versuchen. Doch wirklich gewagt hatte ich es letztlich doch nicht.

       Entzündungsfieber

      Ernst wurde allmählich immer stiller, es fiel mir auf. Ich hatte mitbekommen, dass Wilhelm ihn scharf angegangen hatte, er würde sein Pensum nicht mehr schaffen, wenn ich an erster Stelle stünde – bei allem Verständnis.

      »Nein nein, mir geht es gut, ich habe nur so viel Arbeit«, antwortete er auf mein besorgtes Nachfragen. Doch recht glauben konnte ich es ihm nicht, er war so blass. Am nächsten Tag in einer Diskussionsrunde sah ich, wie er dicke Schweißtropfen auf der Stirn hatte, obwohl es alles andere als warm im Raum war. Er glühte. Wilhelm und ich halfen ihm zurück in sein Bett. Am nächsten Morgen gab er mir Bescheid, dass das Fieber noch immer hoch war. Ich lief gleich hin und wir beschlossen, einen Arzt zu rufen, der auch bald kam. Er vermutete eine Rippenfellentzündung.

      »Hier kann er nicht bleiben, es ist viel zu kalt. Wir müssen ihn wohl ins Krankenhaus bringen.«

      Ich bekam einen großen Schrecken. Doch wusste ich ihn dort wenigstens gut versorgt. Leider konnte ich selber nicht mehr länger in Bonn bleiben, denn das Semester war vorbei und ich musste aus meinem Zimmer ausziehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zurück nach Paderborn zu meiner Familie zu fahren. Von dort aus schrieb ich Ernst fast jeden Tag und schickte ihm Päckchen mit allerlei, was ihm guttun könnte.

      Doch eine Besserung war nicht in Sicht. Nach drei Wochen hielt ich es nicht mehr länger aus. Ich musste mir ein eigenes Bild von ihm machen. Also packte ich meine Sachen und fuhr nach Bonn. Auf Nachfrage erlaubte mir meine Vermieterin, einzelne Nächte doch in meinem alten Zimmer zu schlafen, um meine Sorge zu mindern.

      Endlich bei ihm erschrak ich noch mehr, als ich ihn sah. Er hatte mich in seinen kurzen Nachrichten stets zu beruhigen versucht. Er fieberte noch immer, bei meinem Besuch sogar hoch bis 40 Grad. Dann fantasierte er, zog an der Bettdecke und sagte immer wieder:

      »Das muss weg, ich muss doch zu Helene.«

      »Ich bin doch hier, lieber Ernst«, versuchte ich, ihn zu beruhigen, und strich ihm über sein verschwitztes krauses Haar. Er sah mich mit großen Augen an.

      Nach einer Viertelstunde musste ich wieder gehen, versprach ihm aber, am nächsten Morgen noch einmal zu kommen.

      Ich hatte ihm Eingemachtes mitgebracht, Kirschen und Mirabellen. Nur Obst konnte er essen, sonst lebte er von Wein und Kaffee, dazu etwas Zitronensaft, der das Fieber senken sollte. Wie sollte er von dem bisschen wieder gesund werden? Sein Ernährungszustand war schon vorher nicht gut gewesen. Ich hoffte sehr, dass es bald wieder mit ihm bergauf ging, aber, ob er im Sommer schon wieder würde studieren können?

      Es wurde Mai, als ich ihn endlich aus dem Krankenhaus abholen konnte. Erst ganz allmählich kam er wieder zu Kräften. Er schrieb mir voller Freude, dass er zum ersten Mal wieder draußen in der Frühlingsluft gewesen war. Wilhelm hatte ihn abgeholt und sie hatten einen Spaziergang gemacht. Beim nächsten Besuch ist er zurück in sein Zimmer gegangen und hatte als Erstes zu seiner Laute gegriffen. Die Finger wollten zunächst nicht