In der zweiten Reihe. Kathrin Thiemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Thiemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754137383
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gesungen.

      Schnell verrann die Zeit und wir mussten schon wieder los. Ein besonderes Erlebnis hatte Wilhelm noch für uns, eine Fahrt mit der Schwebebahn zurück zum Zug. Erstaunt betrachtete ich dieses seltsame Fortbewegungsmittel. Wir stiegen die Stufen hoch zur Haltestation, und zumindest ich stieg mit großem Interesse hinein. Zunächst war es ein ungewohnt schaukelndes Gefühl, aber sehr schnell fand ich es großartig. Wir konnten von hoch oben in die Fenster der Wohnungen schauen, unter uns das kleine Flüsschen, die Wupper. Ich hatte meine helle Freude daran, zeigte den beiden die schön mit Schwippbögen geschmückten Fenster und konnte mich nicht satt daran sehen. Wilhelm war natürlich schon als Kind mit der Bahn gefahren, Ernst dagegen war weniger begeistert und etwas blass um die Nase. Ihm war es unheimlich, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, vor allem wenn die Bahn sich in den Kurven auch noch neigte. Viel zu schnell war die Fahrt vorbei, ein beeindruckendes Erlebnis, jedenfalls für mich. Noch im Zug sprach ich immer wieder von dieser besonderen Art des Reisens. Während Ernst meine Freude daran nicht teilen konnte, merkte ich einmal wieder, wie groß meine Neugier und die Freude am Lernen und Ausprobieren von noch nie Erlebtem war.

      In diesem Jahr hatte ich die Weihnachtsluft eindeutig schon vor den Feiertagen geatmet. Das bewegende Weihnachtsfest mit Schnee, mit Baum, Geschenken und der entsprechenden Stimmung hatte für mich schon in Bonn stattgefunden. Es waren die Proben für das Krippenspiel, die Aufführung gestern zusammen mit Ernst und Wilhelm, die innig-vertraute Stimmung und vor allem das Gefühl der Erwartung. Als ob etwas Schönes, Helles und Freudiges auf mich zukommen würde. Adventus, aus dem Lateinischen, heißt Ankunft, die Zeit der Erwartung und des Lichtes. Vermutlich wird es nicht der Sohn Gottes persönlich sein, aber vielleicht etwas ganz anderes?

      Zuhause in Paderborn regnete und stürmte es heftig am Heiligen Abend. Durch das strahlende Gesicht meiner kleinen Schwester kam dann bei mir trotzdem eine kleine Weihnachtsfreude auf.

       »Ist das dein Schatz?«

      Am Ende der Weihnachtsferien, so hatten wir beschlossen, wollten wir auf gleichem Weg wieder gemeinsam nach Bonn fahren. Herr Franke und Herr Simon, im Stillen nannte ich sie schon lange Ernst und Wilhelm, waren mir nicht aus dem Kopf gegangen. Was für eine unbeschwerte Freundschaft hatte sich da entwickelt. Dass es so etwas zwischen Männern und Frauen geben konnte, ja, geben durfte, überraschte mich. War so das Studentenleben?

      Ernst saß im letzten Waggon. Als der Zug in Paderborn einfuhr, sah ich ihn schon aus dem Fenster heraus winken. Seinen Kopf ohne den Hut erkannte ich sofort.

      »Da hinten ist Herr Franke«, sagte ich zu Vater und Martha, die mich an die Bahn gebracht hatten. Vater nickte.

      »Der Kommilitone aus der Theologie.«

      »Ist das dein Schatz?« fragte Martha. Die Antwort sparte ich mir, weil Vater schon den schweren Koffer aufnahm und für mich bis zum letzten Wagen schleppte. Dort nahm Ernst ihn entgegen. Die beiden musterten sich kurz und wortlos. Eine Weile schauten wir gemeinsam aus dem Fenster dem Bahnsteig hinterher und sahen Martha mit Vaters großem weißen Taschentuch winken. Sie trug zum Glück leicht daran, dass ihre große Schwester schon wieder davon fuhr.

      Wir berichteten uns von unsern Familienerlebnissen. Er hatte nicht viel zu erzählen, seine Weihnachten waren eher karg gewesen. Seine Eltern starben früh, er war bei seinen alten Großeltern gewesen, die auch nicht mehr gesund waren. Doch freute er sich mit an meinen Erzählungen über Marthas noch kindliche Begeisterung für das Weihnachtsfest. Erst recht jetzt, wo er diesen Wirbelwind kurz hatte erleben können.

      Als wir in Barmen ausstiegen, hörte ich einen Pfiff, den Ernst erwiderte. Er richtete sich auf und ließ seine Blicke über den Bahnsteig schweifen. Er erblickte Wilhelm und beide winkten. Ich hatte noch beide Hände am Gepäck, als Wilhelm meine Hand vom Griff löste, in die seine nahm und sie vor Freude drückte. Die beiden Freunde begrüßten sich ebenso herzlich. Wilhelm hob meinen Koffer an, zog mit mir los zum anderen Bahnsteig und wir drei bestiegen den Zug in Richtung Bonn. Wir erzählten uns von den Ferien und sangen wieder, dass die Reise im Nu verging.

      In Bonn versprachen mir die beiden, meinen Koffer später abzuholen und zu mir in die Reuterstraße zu bringen. Nachdem sie ihr eigenes Gepäck in ihren Zimmern ausgepackt hatten, zogen sie wieder los und schleppten den schweren Koffer herbei. Oben saß ich schon am geöffneten Fenster und hielt nach ihnen Ausschau. Die Nachmittagssonne schien so warm, ich hatte fast den Eindruck, dass ein Frühlingsahnen zu spüren war. Für einen Moment schloss ich die Augen und genoss die Wärme. Wie sollte ich den beiden bloß danken für ihre Mühe?

      »Kann ich denn nicht auch einmal etwas für Sie tun? Ich könnte Ihnen doch einmal Ihre Strümpfe stopfen. Sie könnten dabei sitzen und lernen, wie man es macht.«

      Sie lachten.

      »Das haben wir in unserm Soldatenleben mehr als genug lernen müssen. Wir können es längst.«

      Vergnügt zogen sie ab.

       Vokabeln und Freundschaft

      Jemand hatte ein Foto von der Krippenszene gemacht. Ernst und ich beschlossen, es zu vervielfältigen und an die Kommilitonen als Gruß zu verschenken. Als Gruß schrieben wir auf die Rückseite:

      »Zur Erinnerung an unser Weihnachtsspiel von Helene Schmidt und Ernst Franke.«

      Seinem Freund schrieb Ernst einen besonderen Gruß:

      »Meinem Wegbruder!«

      Das Semester ging weiter. Ich stürzte mich hinein in das Hebräische, eine Sprache mit den fremden und ungewohnten Buchstaben, ähnlich wie im Griechischen. Es machte mir große Freude, sie zu malen, und wenn ich es schaffte, einen Text zu übersetzen, war ich glücklich über meinen Erfolg. In meiner Tasche trug ich stets kleine Zettel mit Wörtern in beiden Sprachen und in Deutsch mit mir herum. So konnte ich in jeder freien Minute schnell ein paar Vokabeln lernen.

      Wilhelm traf ich fast täglich im Kolleg und wir plauderten stets miteinander. Neulich erzählte er mir von seiner Freundschaft zu Ernst. Sie wohnten inzwischen zusammen in einer kleinen Zweizimmerwohnung, so dass sie abends oft lange zusammen saßen und sich das Herz gegenseitig ausschütteten. Sie hatten in ihrem Leben viel gemeinsam, zum Beispiel waren beide die Ersten in ihrer Familie, die studierten. So konnte ein tiefes Verständnis füreinander entstehen und die Notwendigkeit, einander zu unterstützen.

      Eine solche Freundin hatte ich leider nicht. Im Gegenteil. Es gab nicht viele Frauen an der Universität und ich musste mich meistens alleine durchschlagen. Ich freute mich mit den beiden und für sie.

      »Das ist fein, wenn man sich mit einem Menschen so gut versteht.«

      Ernst dagegen sah ich leider nicht so oft, wie ich es gerne hätte, denn er gefiel mir ziemlich gut. Ich erinnerte mich immer wieder an unser Wiegenlied und seine Hände an der Krippe, ganz dicht an meinen. Er war außerdem so ein lustiger Vogel. Wir hatten einen ähnlichen Humor und er brachte mich oft zum Lachen. Ich ertappte mich dabei, dass ich bei den Andachten nach ihm Ausschau hielt und oft versuchte, mich neben ihn zu setzen.

       Spaß oder Ernst

      Als Wilhelm mich eines Tages zur Universität begleitete, lud er mich auf seine Bude ein, einen Kaffee zu trinken, bevor wir weiter ins Kolleg gingen. Ich lehnte es ab.

      »Ich darf es nicht. Es könnte zu leicht falsch aufgefasst und beurteilt werden. Ein Mädchen darf nun einmal bei einem jungen Mann, der alleine wohnt, keinen Besuch machen. Und ich darf auch auf meiner Bude keinen empfangen.«

      »Dann dürfen wir also auch nicht zu Ihnen kommen?«

      »Lieber hätte ich es, Sie kämen nicht. Ich sage das nicht Ihretwegen. Wohnte ich hier bei meinen Eltern oder Verwandten, dürften Sie so viel kommen, wie Sie wollten. Dann würde ich mich freuen. Aber nicht hier, wo ich alleine bin in meinem Zimmer. Wenn es andere erfahren, können sie leicht Verkehrtes denken und erst recht, wenn ich es Ihnen gewähre und anderen nicht. Es sind nicht alle Menschen wie Sie beide. Man kann eben nicht allen jungen Männern so trauen wie Ihnen. Ich wollte das auch Ernst Franke sagen, weil auch er mich besuchen