Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft. Renate Zawrel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renate Zawrel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745031539
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»Marie, Marie«, pochte es in seinem Kopf. Alter schützte eben nicht vor Torheit und er sehnte den Tag herbei, an dem so vieles möglich wurde, denn es gab darüber hinaus innerhalb der Woche keinen zweiten oder dritten.

      Mit der Gespielin seiner körperlichen Begierden hatte er diese Abmachung getroffen: Nur samstags oder sonntags. Und es blieb zudem ihr überlassen, diese Zeit einzuteilen, wie sie es für richtig hielt. Das bedeutete, dass die Spannung bereits am Samstag bei ihm stieg: Wann würde Marie erscheinen? Frühmorgens, wenn er noch schlief? Oder mittags, wenn er sich zur Siesta zurückzog? Oder erst gegen Abend, wenn er die Hoffnung, sie zu sehen, fast aufgegeben hatte? Manchmal blieb sie einen ganzen Tag und er durfte sich mit ihr vergnügen, wann immer er konnte, ein andermal waren es nur ein paar Stunden. Einmal überließ sie es ihm, sich erotische Spiele auszudenken, dann wieder übernahm sie die Macht und er genoss es, sich verführen zu lassen. Nicht zuletzt war es auch das Geheimnisvolle, das ihre Beziehung umgab, das dem Lord Herzklopfen verursachte und sein Blut in Wallung brachte: Eine etwas anrüchige Beziehung … in seinem Alter!

      Sir Edwards Jugend war nicht so verlaufen, wie man es sich landläufig bei einem Adligen vorstellte: Sohn reicher Eltern, der ein freizügiges Leben mit allen Vorteilen der finanziellen Unabhängigkeit führte.

      Lady Ingrim Lindsay hatte die Erziehung des Kindes einer freundlichen französischen Gouvernante überlassen. Sie selbst bevorzugte es, in verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen und deren Veranstaltungen als barmherzige Samariterin zu wirken und zu glänzen. Sir Geoffrey Lindsay interessierten die kitchen and cookie parties seiner Frau, wie er die Wohltätigkeitsveranstaltungen nannte, nicht im Geringsten. Das galt auch in Bezug auf die Mitglieder der Königsfamilie, mit der er tatsächlich über eine Seitenlinie verwandt war. Es hielt ihn zwar nicht davon ab, auf diese Verbindung hinzuweisen, wenn es ihm nützlich erschien, aber für den hochgewachsenen Mann zählten nur militärische Auszeichnungen. Und genau diese Vorliebe und strikte Disziplin verlangte er auch von seinem Sohn Edward. Diesen wiederum kümmerten weder militärischer Glanz noch humanitären Aktivitäten, die doch nur dazu dienten, persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Wirkliche Hilfe für Bedürftige leisteten weder die Mutter und schon gar nicht der Vater.

      Edward lauschte als Kind lieber den Geschichten seiner Gouvernante, die ihm französische Lebensart, eben Savoir Vivre, näherbrachte und in ihm die Begeisterung für ihre Heimat weckte.

      Als Jugendlicher lebte er eher zurückgezogen auf dem Landsitz seiner Eltern und widmete sich den Studien des Finanzwesens.

      Weil seine Eltern es so wollten, heiratete Sir Edward mit 25 Jahren eine gewisse Lady Shannah D’Orsay. Edwards Mutter war begeistert von der Wahl des Sohnes, denn sie wurde von der sensationshungrigen Shannah bald auf jede Veranstaltung begleitet. Von der Verbindung entzückt gebärdete sich auch Sir Geoffrey, denn Shannahs Vater war oberster Befehlshaber der britischen Armee.

      Ganze vier Jahre machte Sir Edward gute Miene zum ereignislosen Spiel.

      Während dieser vier Jahre hatte er seine Frau einmal nackt gesehen und das auch nur, weil sie vergessen hatte, die Badtür zu verriegeln und er unbeabsichtigt in das Kabinett hineinplatzte. Ein wilder Aufschrei, wüste Beschimpfungen und ein kurzer Blick auf wohlgeformte Brüste blieben seine einzige Erinnerung an diese ›Begegnung der außergewöhnlichen Art‹.

      Ihr ehelicher Beischlaf bestand darin, dass Shannah – wenn Edward sie wieder einmal daran erinnerte, dass sie verheiratet waren – den Slip auszog, den Rock hob und sich nach vorn über die Sofalehne beugte. Bei so viel Liebe war es nur verständlich, dass Edward es nicht zu Nachkommenschaft brachte. Er hatte auch den Gedanken nie zu Ende geführt, was Shannah getan hätte, wäre sie schwanger geworden.

      Schon bald hatte er darauf verzichtet, sich seine Befriedigung von dieser nach seiner Meinung kalten Frau zu holen. Schließlich standen ihm als Mann auch andere Möglichkeiten zur Verfügung.

      Erst nach vier Jahren freudloser Ehe kam Edward endlich dahinter, warum Shannah sich ihm entzog. Er kam von einer Vorlesung über Brokergeschäfte nach Hause, und das früher als angenommen. Gegen sechs Uhr abends betrat er das gemeinsame luxuriös eingerichtetes Haus. Aus dem Schlafzimmer seiner Frau drang unbekümmertes Kichern und lustvolles Stöhnen. Mit der Fußspitze drückte Edward die einen Spaltbreit offene Tür auf und erstarrte in der Bewegung …

      Er kannte solche Bilder aus dem Etablissement, das er oft mehrmals wöchentlich besuchte: Zwei nackte Frauen balgten sich auf dem Laken. Nie hätte Edward für möglich gehalten, dass Shannah sich so hemmungslos gebärden konnte. Es war nicht einmal so, dass ihm dieses Liebesspiel nicht gefallen hätte! Er spürte im Gegenteil, dass Erregung in ihm aufstieg. Auf leisen Sohlen entfernte er sich und suchte sein eigenes Zimmer auf.

      Nun stand es fest – er würde sich scheiden lassen.

      Und Shannah? Sie brach weder in Tränen aus, noch beschimpfte sie ihn, als Edward ihr unter Hinweis auf seine Beobachtung noch am selben Abend die Scheidung antrug, sondern hörte ihm ruhig zu und küsste ihn anschließend auf die Wange.

      »Danke, Edward«, sagte sie mit glänzenden Augen. »Und verzeih mir, dass ich dir nicht gestanden habe, wie es um mich steht. Du verstehst – die Etikette verlangte von mir eine herkömmliche Ehe.«

      Als Edward seinen Eltern den Entschluss mitteilte, sich scheiden zu lassen, drohte der Vater, ihn zu enterben. Die Mutter zerfloss in Tränen und gefiel sich in einer Ohnmacht.

      Einige Monate später wurde die Scheidung ausgesprochen und noch heute erhielt Sir Edward hin und wieder eine Ansichtskarte von Shannah, die – als geschiedene Frau geachteter, denn als ledige – in die High Society aufgestiegen war und ein reiselustiges Leben führte.

      Edward war damals, wegen der Scheidung von der engeren Familie mit Nichtachtung bestraft, nach Frankreich gegangen. Dort absolvierte er ein Studium im Wirtschafts- und Bankenwesen und genoss die Liebe so mancher Französin. Er kehrte erst nach mehr als achtzehn Jahren nach England zurück. Die Londoner Börse wurde seine zweite Heimat. Schon damals gelang es ihm öfter, große Gewinne einzufahren. Sein Name war jedem Banker oder Broker bald ein Begriff.

      Einmal im Monat besuchte er seine mittlerweile kränklichen Eltern – Pflichten eines wohlerzogenen Sohnes! Dort musste er jedes Mal einen Vortrag über die Unzulänglichkeiten seines Lebens über sich ergehen lassen.

      Zum siebzigstem Geburtstag seiner Mutter, er selbst war damals kurz vor der Fünfzig, war auch eine Lady Rosebud geladen. Sie stellte sich ihm als Cousine soundsovielten Grades der Mutter vor. Diese alte Frau war der reinste Jungbrunnen, was ihre Aktivität und ihren Frohsinn betraf. Ihr gelang es, Edward aus der Reserve zu locken und ihm ein Lachen ins Gesicht zu zaubern. Seitdem verbrachte er viele Stunden im Hause der Lady. Sie wurde ihm die Mutter, die er sich immer gewünscht hatte: Gespräche, die von ernstem Charakter waren, unterhaltsame gemeinsame Ausflüge und das Gefühl, daheim zu sein. Eines Tages vertraute Lady Rosebud ihm auch ihr gesamtes Vermögen an. Edward vermehrte es noch um einiges.

      Und dann kam ein trüber Tag im Oktober!

      Trübe Tage waren zwar in England keine Seltenheit, doch für Sir Edward wurde es ein besonders denkwürdiger Tag. Die Glocke schellte und ein Polizist stand vor der Haustür. »Sir Edward Lindsay?«, fragte er.

      Und als der Lord dies bejahte sagte der Polizist: »Lady Rosebud Laurence schickt nach Ihnen.« Auf so förmliche Art und Weise hatte die alte Lady noch nie nach seiner Gesellschaft verlangt.

      »Warum ruft sie nicht selbst an?«, fragte er verwundert.

      »Sie braucht die Zeit, bis Sie eintreffen, Sir.«

      Die Aussage des Mannes ließ an Unklarheit nichts zu wünschen übrig. Seine Haltung signalisierte jedoch, dass er keinesfalls ohne Sir Edward umzukehren gedachte.

      Der Lord betrat das Haus einer Sterbenden!

      Die Zeit reicht gerade noch aus, um Lady Rosebud Lebewohl für immer zu sagen. Bis zuletzt hielt Edward die Hände der alten Frau in den seinen und sie lächelte, als sie den letzten Atemzug tat.

      Ihr Vermächtnis an ihn war dieser Landsitz in Neapel gewesen und ihr gesamtes Vermögen. »Du warst mein Kind, das ich