Und dann kam das Wasser. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015102
Скачать книгу
ihre Beine und ihr Po zu kribbeln. Dr. Buchner hatte sie ermahnt, sie solle nicht gleich komplett ins heiße Wasser steigen, ihr Köper müsse langsam erwärmt werden − aber wie langsam, hatte er nicht gesagt.

      Nach einer Weile ließ sich Franziska tiefer ins Wasser gleiten, bedeckte ihren Oberkörper gewissenhaft mit Schaum und schloss die Augen. Schnell gingen ihre Gedanken auf Wanderschaft, und natürlich landeten sie wieder in dem Haus an der Ortsspitze, wo jetzt die Leiche des unbekannten Mannes und die eingestürzte Deckenabstützung im trüben Donauwasser schwammen.

      „Tee ist fertig“, rief Hannes endlich durch die angelehnte Tür, und Franziska hatte gerade noch genug Zeit, eine große Portion Schaum auf ihrem Busen zu verteilen, als er auch schon vor ihr stand. In den Händen hielt er ein beladenes Tablett. „Eine schöne Wohnung hast du.“ Hannes zwinkerte ihr zu, und Franziska war sich sicher, dass er, auf der Suche nach der Küche und den richtigen Utensilien, einen Rundgang durch alle Räume gemacht hatte.

      „Ich glaube, so etwas hat es noch nie gegeben. Wir finden eine Leiche, schauen sie uns an und müssen den Tatort verlassen, ohne sie bergen zu können.“

      Franziska warf ihm einen kurzen Blick zu und versuchte dann, das Bild von den braunen Wassermassen aus dem Kopf zu verbannen, die sie wieder und wieder unter sich begruben. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Wasserhahn, an dem ihre Zehen herumspielten.

      „Hey. Zerbrich dir nicht den Kopf. Seit wann geht in unserem Beruf immer alles rund, hm?“, versuchte Hannes die Kollegin zu trösten, als er sah, wie sie sich quälte. „Immerhin haben wir die Fotos.“

      Doch Franziska ließ sich nicht aufmuntern. „Wir müssen den Hausbesitzer verständigen und ihn fragen, ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gibt, um die Leiche sicher zu bergen.“ Auf einmal sah sie auf und Hannes an, als wäre er soeben erst hereingekommen. „Hol doch bitte mal meinen Laptop. Steht auf dem Tisch im Wohnzimmer. Dann können wir …“

      „Auf keinen Fall! Das hat alles Zeit bis morgen“, unterbrach sie Hannes und stellte endlich das Tablett auf den Hocker mit dem Handtuch. Als Franziska sah, was er alles mitgebracht hatte, musste sie unwillkürlich lächeln. Neben einer Teekanne und zwei Tassen standen eine Zuckerdose, ein brennendes Teelicht, ein kleiner Blumentopf, den er vom Fensterbrett in der Küche genommen hatte, und einen sorgsam auf einem Teller drapierten Müsliriegel. Vermutlich das einzig Nahrhafte, das er in ihrer Küche gefunden hatte. „Süß!“, entfuhr es ihr.

      Hannes lächelte zufrieden, reichte ihr einen Becher Tee mit viel Zucker und erklärte: „Auf dein zweites Leben!“

      Franziska war gerührt, doch bevor Hannes noch mehr Sentimentalitäten über sie und ihr Glück von sich geben konnte, fragte sie: „Warum fährst du eigentlich nicht mehr Auto? Ich meine, du kannst es doch, und zwar nicht mal schlecht – hast es ja eben bewiesen.“

      Geistesabwesend schaute Hannes in seine Tasse, von der er immer wieder einen Schluck nahm, schwieg aber in den folgenden Augenblicken, bis Franziska schon fürchtete, er würde sich wieder einmal vor einer Antwort drücken, wie er es immer tat, wenn ihm etwas unangenehm war.

      „Weißt du, du kanntest sie ja nicht … aber Mira war etwas ganz Besonderes.“ Hannes hatte seine Tasse abgestellt und starrte jetzt ein wenig abwesend aufs Badewasser. „Sie hatte eine ganz feste Vorstellung von dem, wie ihr Leben einmal verlaufen sollte. Nach dem Abitur studierte sie und suchte sich nebenbei schon die richtige Firma aus, um anschließend dort zu arbeiten. Es war klar, dass sie einmal viel Geld verdienen würde. Trotzdem störte es sie nicht, dass ich zur Polizei gehen wollte. Sie sagte, jeder müsse das tun, was ihn glücklich mache.“ Hannes ließ seine Hand gedankenverloren über die Wasseroberfläche gleiten und begann, mit dem Schaum zu spielen.

      Franziska sah ihm zu und ließ ihn gewähren.

      „An jenem Abend waren wir bei meinen Kollegen eingeladen“, fuhr Hannes fort. „Und obwohl ich ihre Idee von der Gleichberechtigung mochte, bestand ich darauf, das Auto nach Hause zu fahren. Wir hatten sogar einen kleinen Streit deswegen, aber ich sagte: ‚Nein, ich fahre‘, und sie nahm es dann einfach hin. Ich habe mich anschließend oft gefragt, warum sie wohl so schnell nachgegeben hat. Das war so gar nicht ihre Art.“

      Hannes holte einen Berg Schaum aus dem Wasser und pustete vorsichtig hinein.

      „Kurz bevor wir die Kreuzung erreichten, meinte Mira: ‚Weißt du, Hannes, ich finde es schade, dass du manchmal so kleinlich bist. Aber ich liebe dich trotzdem.‘ Ich kam nicht einmal mehr dazu, ihr zu antworten.“

      Hannes starrte auf seine Hand und sah dann ganz plötzlich Franziska an, die aber nichts sagte, um ihn nicht zu unterbrechen.

      „Der andere Wagen kam so schnell. Sie war sofort tot. Die Kollegen haben später festgestellt, dass der Fahrer 2,4 Promille hatte und eigentlich unzurechnungsfähig war. Das Stoppschild hat ihn überhaupt nicht interessiert, er ist einfach auf die Kreuzung zugefahren.“

      „Aber du konntest doch nichts dafür“, versuchte Franziska ihren Kollegen mit sanfter Stimme zu trösten.

      „Doch, denn wenn ich nicht darauf bestanden hätte zu fahren, dann wäre sie jetzt noch am Leben. Verstehst du?“

      „Ja, aber dann du wärst tot. Glaub mir, es war dir nicht bestimmt.“

      „Ihr etwa?“, begehrte Hannes auf und ließ seine Hand kraftlos ins Wasser sinken.

      „Vielleicht“, gab Franziska sehr vorsichtig zu bedenken. Dann zuckte sie hilflos mit den Schultern. „Wir wissen doch gar nicht, was das Schicksal mit uns vorhat.“

      „Na bitte“, lobte Hannes sich selbst und legte zufrieden das Mobilteil auf die Station zurück. Dann machte er einen Strich unter die letzte Aussage, als wollte er damit bekräftigen, dass er alles erledigt hatte. Während er sich genüsslich in seinem Schreibtischstuhl ausstreckte, dachte er an den gestrigen Abend zurück und daran, wie er Franziska alles über den schrecklichsten Tag in seinem Leben erzählt hatte.

      Nachdem er geendet hatte, war es im Badezimmer lange still gewesen, bis er die Kollegin darauf aufmerksam machte, dass sich ihr Schutzschaum aufgelöst hatte. Doch Franziska hatte nur gelacht und gesagt, sie wolle jetzt ohnehin rauskommen, und ob er ihr nicht das Handtuch reichen könne.

      Franziska war eine wirklich schöne Frau, hatte Hannes mal wieder feststellen dürfen, denn natürlich hatte er sich ihren nackten Anblick nicht entgehen lassen. Wenn auch nur aus dem Augenwinkel.

      Gleichzeitig hatte ihn aber auch der Stachel der Eifersucht gekitzelt. Bei dem Rundgang durch ihre Wohnung war ihm nämlich sehr wohl aufgefallen, dass sich der Bühnenkünstler, mit dem sie vor einiger Zeit eine Liaison eingegangen war, in ihrem Leben schon ganz schön breit gemacht hatte. Das Wohnzimmer hatte ausgesehen, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte, und dann erst dieser Feuerkorb, mit dem Plastikholz, aus dem künstliche Flammen loderten, sobald man es einschaltete und das kitschige Fell davor … Mehr Klischee ging ja fast gar nicht!

      Doch auch über einen schnippischen Kommentar von seiner Seite hatte Franziska nur gelacht und gemeint, es wäre doch schön, und wenn das Feuer echt wäre, dann könnten sie sich davorlegen und Geschichten von früher erzählen. Und dann hatte sie beschlossen, eine Flasche Rotwein aufzumachen, um ihr geschenktes Leben zu feiern. So ließ Hannes, als er zwei Stunden später aufbrach, Franziska mit einem kleinen Schwips zurück.

      In seiner eigenen Wohnung wartete Susi, seine Katze, das Einzige, was ihm von Mira geblieben war und ihn mit ihrem unberechenbaren Wesen manchmal zur Weißglut trieb. An diesem Abend schlief sie friedlich auf der Couch, und als er endlich selbst im Bett lag, grübelte er lange über das Schicksal und das, was Franziska dazu gesagt hatte. Vielleicht hatte ihm die Vorsehung wirklich zugewinkt und gab ihm jetzt die Möglichkeit das, was ihn so lange gequält hatte, wiedergutzumachen. Franziska hatte gestern ihr Leben riskiert und ihn damit zum Handeln animiert, und von jetzt an würde er allen zeigen, dass mehr in ihm steckte als nur der liebe Kollege, der noch vieles lernen musste.

      Genau