Und dann kam das Wasser. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015102
Скачать книгу
Man kriegt, was man verdient, hatten sie ihm früher immer gesagt, und er hatte als Konsequenz daraus gezogen, dass man sich dann einfach nehmen musste, was man haben wollte.

      Franziska fuhr die Spitalhofstraße entlang und reihte sich schließlich auf der Linksabbiegerspur vor der roten Ampel ein. Straßen, Häuser und Menschen, die hastig bis zum nächsten schützenden Dach eilten, waren tropfnass. Der Regen fiel ununterbrochen vom Himmel herab, Fußgänger wie Autofahrer schauten missmutig drein. Dieses Wetter machte niemandem Freude.

      Als die Ampel auf Grün sprang, folgte die Kommissarin dem Berufsverkehr die Danziger Straße hinauf. Die Häuser, die hier standen, waren in den Siebzigerjahren aus viel Beton und dunklem Holz gebaut worden. Doch was damals schick gewesen war, sah heute, vor allem bei Regen, eher trostlos aus.

      Da Franziska und Hannes immer noch darauf warteten, dass sich Rechtsanwalt Viktor Mooslechner, der Verwalter der Erbengemeinschaft, bei ihnen melden würde, waren sie im Internet selbst auf über das Haus der Familie Beinhuber gegangen.

      Sie hatten herausgefunden, dass es vier Beinhuber-Brüder gab, von denen drei allem Anschein nach gut situiert waren. Bernhard Beinhuber war Internist am Klinikum, Josef Oberstudienrat am Adalbert-Stifter-Gymnasium und Franz Maschinenbauingenieur in der Zahnradfabrik. Diese drei, so hatte die Kollegin Hoffmann Hannes erzählt, wollten Haus und Laden verkaufen, das Geld aufteilen und ihre Ruhe haben. Anders sah es bei Christian, dem jüngsten Beinhuber aus, der, laut der Erzählung der Kollegin, noch zu Hause wohnte, irgendetwas Alternatives machte und das Haus nicht veräußern wollte. Aus diesem Grund hatten ihn die Kommissare für eine erste Befragung ausgewählt, wenn sie den Rechtsanwalt schon nicht erreichen konnten. Sie rechneten damit, dass der, der das Haus behalten mochte, auch am ehesten wusste, was dort vor sich ging.

      Die Wohnungstür öffnete ihnen eine blond gesträhnte Frau in kariertem Wollrock und unifarbenem Rollkragenpullover. An den Füßen trug sie Ballerinas, die ihrer zierlichen Statur etwas Mädchenhaftes verliehen. Den Recherchen nach musste Martha Beinhuber Ende sechzig sein, doch so wie sie jetzt vor ihnen stand, erschien sie viel jünger. Während Hannes die Vorstellung übernahm, musterte Franziska Mutter Beinhuber interessiert.

      „Der Christian ist nicht zu Hause“, erklärte sie freundlich und bat die beiden Kommissare, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. Nachdem alle Platz genommen hatten, veränderte sich auf einmal der Gesichtsausdruck der alten Dame, und wie von einer düsteren Ahnung überkommen, fragte sie: „Ist dem Bub was passiert?“

      „Nein, nein, wir möchten mit ihm nur einen Sachverhalt abklären“, beeilte sich Franziska zu versichern.

      Sie saßen am oberen Ende des großen Esstisches. Gleich daneben führte eine Tür auf die Dachterrasse, die jedoch, still und grau und ohne Blumenschmuck, wenig Beachtung fand.

      „Ach so.“ Die Mutter schien beruhigt.

      „Sagen Sie, können wir Ihren Sohn irgendwie erreichen?“, wollte Hannes wissen.

      „Ja, also, ich weiß auch nicht. Er ist ja bei diesem Seminar, aber anrufen kann man ihn dort nicht, hat er gesagt.“

      „Wo findet das Seminar denn statt?“ Hannes blickte Mutter Beinhuber freundlich interessiert an.

      „Also, das hat er nicht gesagt, nur dass er Ende der Woche wiederkommt.“ Franziska gab sich zufrieden. „Sagen Sie, Frau Beinhuber, was macht der Christian eigentlich beruflich?“

      „Ja, also, der Christian, der hat eine Gabe. Er kann Menschen heilen, indem er ihnen die Hand auflegt.“ Frau Beinhubers Gesicht erstrahlte, als sie das sagte.

      „Ein Geistheiler?“, hakte Hannes nach.

      „Ja, ein Geistheiler!“, rief sie lebhaft aus.

      „Äh“, Franziska stutzte.

      „Was bitte ist ein Geistheiler?“

      „Geistheiler nennt man diejenigen, die mithilfe esoterischer, religiöser oder magischer Behandlungsmethoden heilen“, erklärte Hannes beflissen.

      Also Spinner, dachte Franziska, hielt aber den Mund und nickte stattdessen verständnisvoll.

      „Wissen Sie, als der Christian klein war, da hatte er schon diese besonderen Hände“, fuhr Mutter Beinhuber aufgeregt fort. „Ich sagte dann immer zu ihm: „Christian, gib mir deine Hand, das tut mir so gut!“

      „Und davon kann man leben?“ Franziska war skeptisch.

      „Ja. Naja, er lebt ja noch bei mir, aber er hat Pläne, und er sagt oft: „Wenn das klappt, dann werde ich reich.“

      Nachdenklich nickte Franziska vor sich hin. Was ihr nicht klar werden wollte, war, wie ein Mann mit heilenden Händen in dem alten Haus an der Donau Geld verdienen wollte. Aber vielleicht hatte er ja auch ganz andere Pläne, und an dem Gerücht von den vier zerstrittenen Brüdern, das Hannes aufgetischt bekommen hatte, war gar nichts dran.

      „Das Haus gehörte der Schwester Ihres Mannes, Ihrer Schwägerin Emmi, die vor drei Jahren gestorben ist?“, fragte Hannes gerade in ihre Überlegung hinein.

      „Ja, das stimmt. Es kam fast ein bisschen plötzlich für uns. Wobei sie wohl schon länger Bescheid wusste, uns aber nichts gesagt hat. Sie wollte uns nicht beunruhigen. Sie dachte bis zuletzt, dass sie wieder gesund wird. Christian hat sie damals sehr oft besucht, aber er konnte ihr leider auch nicht helfen.“

      „Trotz Christians Besuchen und seinem offensichtlichen Interesse an der Immobilie hat sie es aber an alle Neffen vererbt“, stellte Hannes klar.

      Ein Schatten legte sich auf das Gesicht der Mutter, und zum ersten Mal konnte man ihr wahres Alter erahnen. „Ach, dieses leidige Thema. Ich kann es schon nicht mehr hören. Glauben Sie mir, ich mochte meine Schwägerin sehr, aber ihre Hoffnung, dass sie durch diese Entscheidung die Brüder enger zusammenschweißen könnte, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Wenn es nach mir ginge, würde Christian das Haus bekommen, und es wäre wieder Ruhe in der Familie. Aber nach dem Tod meines Mannes gehörte das Haus Emmi, und sie konnte damit machen, was sie wollte. Vielleicht hat sie es ja sogar gut gemeint. Aber wie sagt man so schön: Gut gemeint, ist nicht gut gemacht!“

      „Die drei anderen sind dagegen, dass Christian das Haus übernimmt?“, ließ sich Hannes die Erzählung der Kollegin Hoffmann bestätigen.

      „Ja, das stimmt. Das heißt, sie würden ihm ihre Anteile verkaufen, aber der Christian hat ja kein Geld.“

      „Und warum will der Christian unbedingt dieses Haus haben? Hat das etwas mit seiner Geschäftsidee zu tun?“

      Mit jedem weiteren Vordringen in die Familie fürchtete die Kommissarin, Frau Beinhuber werde sie jetzt gleich fragen, warum sie das alles wissen wolle.

      „Na ja.“ Mutter Beinhuber lächelte, und Franziska meinte, einen Hauch von Stolz in den Augen aufglimmen zu sehen. „In dem alten Haus gibt es eine Stelle mit besonders positiver Energie. Genau dort will er seinen Behandlungsplatz einrichten. Zusammen mit seiner Gabe wäre das für seine Klienten wie ein Jungbrunnen.“

      „Positive Energie auf einer Stelle gebündelt?“, fragte Franziska ungläubig nach.

      „Ja. Glauben Sie mir, die Kraft ist so stark, dass sich sogar eine Bodenfliese gelöst hat. Direkt vor dem alten Verkaufstresen.“

      Vor dem Tresen … Franziska überlegte. Sie hatte die lockere Fliese gesehen, bevor das Wasser kam und sie von den Füßen riss. Sie hatte sie aus Versehen sogar fotografiert, als sie umgefallen war. Mona hatte sie noch damit aufgezogen. Vielleicht …

      Mama Beinhuber riss sie energisch aus ihren Spekulationen. „Jetzt sagen Sie schon, was mit dem Christian passiert ist.“

      „Wie kommen Sie darauf, dass ihm etwas passiert sein könnte?“, wich Franziska aus.

      „Weil ich mir sicher bin, dass Sie nicht ohne Grund nach all dem fragen.“

      Franziska