Und dann kam das Wasser. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015102
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besorgen sollte. Während des Packens hatte sie sich im Internet die Sonneninsel Sizilien und die Temperaturen, die dort gerade herrschten, angesehen, und immer wieder eine SMS an Walter getippt. Er sei gerade angekommen, schrieb er, und es sei wunderschön. Daraufhin hatte sie Flugpreise verglichen und sich gedanklich schon in luftiger Höhe im Anflug auf Palermo befunden.

      Ein Problem gab es natürlich noch. Sie musste ihren Chef informieren. Andererseits gab es keinen Fall, sondern nur ein paar alte Akten, die aufgearbeitet werden mussten. Aber er würde sie schon nicht zur Büroarbeit verdonnern. Letztlich hatte er auch gar keinen Grund, sie mit einem Nein abzustrafen, dachte Franziska, als sie wieder im Schlafzimmer stand, und grinste ihr Spiegelbild frech an.

      „Soll er doch lieber mal froh sein, dass er eine so gewissenhafte und pflichtbewusste Mitarbeiterin wie mich hat“, erklärte sie sich selbst. „Und wenn diese hervorragende Kraft verliebt ist und endlich auch mal an sich denkt, was sollte der Chef dann dagegen haben?“

      Trällernd und tanzend wirbelte sie durch die Wohnung, streckte dem Regen, der unaufhörlich auf die Fliesen des Balkons prasselte, die Zunge raus und legte sich schließlich im Bikini auf das große Fell, das noch immer auf dem Wohnzimmerboden lag. Von dort blickte sie in die blattlosen Zweige des künstlichen Baums, den Walter am Abend zuvor mitten im Raum aufgestellt hatte, rüber zum umgekippten Sofa, und musste lächeln. Walter war ein Hauptgewinn, so einfallsreich, leidenschaftlich und hingebungsvoll wie er war, und einen Mann wie ihn durfte frau auf keinen Fall in die Flucht treiben, da war sie sich sicher. Auch, wenn sie sich manchmal mehr Nähe wünschte. Aber seit wann war sie eigentlich so eine fürchterliche Glucke?

      Ihr kam in den Sinn, dass der Liebestrank vielleicht tatsächlich echt gewesen und an ihrem Verhalten schuld war. Bei ihr hatte er allemal gewirkt, denn sie verhielt sich wie ein schwer verliebter Teenager. Und bei ihm offensichtlich auch. Immerhin hatte er sie eingeladen, ihn auf Sizilien zu besuchen. So nahe waren sie sich noch nie gekommen. Bis auf die gelegentlichen Ausflüge ans Theater und einige Besuche im italienischen Lieblingsrestaurant Franziskas um die Ecke unternahmen sie ohnehin recht wenig. Irgendwie hatte immer einer von beiden zu tun. Wenn sie aber doch Zeit füreinander fanden, landeten sie meistens im Bett oder an Orten, die sie für ihre Liebesspiele auswählten.

      Und jetzt eine gemeinsame Reise als Krönung ihrer Liebe und endlich ganz viel Zeit füreinander. Klang das nicht wunderbar?

      Ob es wohl wirklich an dem Getränk lag? Er hatte ihr nicht verraten, woher es stammte, wer es gemixt hatte und aus welchen Ingredienzien es letztlich bestand. Würde die Wirkung bald nachlassen? Und was würde dann sein?

      Unsinn! Franziska schalt sich eine Närrin. Letztlich war es doch egal, woran es lag. Wichtig war nur, dass sie sehr, sehr glücklich war.

      „Ich komm ein bisschen mit nach Italien“, trällerte sie wieder schief, als das Telefon klingelte, und sie schon dachte, Walter würde sich endlich mit einem Anruf bei ihr melden.

      „Franzi?“

      „Ach, Obermüller, du bist‘s!“

      Und dann schwieg sie, und während sie in den Hörer lauschte, verging ihr nicht nur das Singen von alten Schlagern. Denn ihre spontane Reise nach Bella Italia fiel gerade sprichwörtlich ins Wasser.

      Gerade hatte sich Josef Schneidlinger ein Bier aus dem Kühlschrank geholt und sah jetzt zu, wie der Gerstensaft goldgelb in sein Glas floss und kleine Bläschen aufstiegen, und wie sich, quasi als Gipfel der Verlockung, eine herrliche Schaumblume bildete. Bei diesem Anblick lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Genüsslich nahm er den ersten und gleich darauf den zweiten Schluck, lehnte sich an die Küchentheke, schloss die Augen und seufzte leise. Vor ein paar Minuten hatte ihm Paulina eine SMS geschickt. Sie wollte wissen, ob er heute schon etwas vorhatte, und er hatte geantwortet: Ja … leider!

      Und tatsächlich hatte er dieses „leider“ auch so gemeint. An Wochenenden wie diesem spürte er nur zu deutlich, wie schwierig das Familienleben im Hause Schneidlinger inzwischen geworden war.

      Seit der Kriminalhauptkommissar von München nach Passau gewechselt und die Karriereleiter eine entscheidende Stufe hinaufgeklettert war, wohnte er wieder zu Hause, auf dem Bauernhof seiner Eltern im Rottal, während seine Gemahlin mit den vier Kindern in München geblieben war. Gabi war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die spielend Beruf und Kindererziehung unter einen Hut brachte und sich niemals von ihren Geschäften getrennt hätte, um als Hausfrau auf einem Bauernhof zu leben − und wenn er noch so herrschaftlich gewesen wäre.

      Als sie am Freitag angerufen und ihm gesagt hatte, sie und die Kinder würden in zwei Stunden bei ihm sein, hatte sich Schneidlinger gefreut. Aber anscheinend hatte Gabi die Tristesse, die Land und Haus bei diesem Wetter versprühten, unterschätzt, und nun hing sie seit gestern Vormittag mit schlechter Laune auf dem Hof herum, streitsüchtig und ständig alles infrage stellend. Vermutlich wäre sie schon vor Stunden gefahren, hätte seine Mutter sie nicht alle zum Monopoly überredet. Die Kinder waren begeistert und wollten unbedingt die Runde zu Ende spielen, während die Eltern gute Miene zum nervigen Spiel machen mussten.

      Zurück in der Stube versuchte sich Schneidlinger auf seine ihm entgleitenden Gesichtszüge zu konzentrieren, was ihm immer seltener gelang, wenn sich seine Gedanken, wie jetzt, an Paulina aufgehängt hatten. Sie war nicht wie andere Frauen, sie war etwas Besonderes. Je mehr die Anspannung daheim zunahm, desto mehr sehnte er sich nach ihr, auch wenn er sich und ihr das nie eingestanden hätte. Wobei so ein Geständnis ohnehin keinen Platz in ihrer Freundschaft hatte, die hauptsächlich daraus bestand, dass sie sich hin und wieder auf ein Glas Wein trafen und sich gegenseitig ihr Herz ausschütteten.

      Schneidlinger war für sie ein Mann, der wusste, was er wollte, und dem sie einiges zu verdanken hatte. Mehr nicht. Paulina dagegen war eine Frau, die verdammt gut aussah und sich niemals so aufführen würde wie Gabi. Zumindest hatte Schneidlinger sie noch nie so erlebt. Aber sie waren ja auch nicht verheiratet.

      Während die Würfel über den Tisch rollten, brach sein Sohn Tobias in Jubelgeschrei aus.

      „Was ist?“, fragte Schneidlinger in die grinsende Runde, weil anscheinend jeder außer ihm Bescheid wusste.

      „Du hast vergessen mich abzukassieren“, erklärte sein Jüngster altklug, doch bevor Schneidlinger richtig Zeit hatte, sich über dieses Versäumnis zu ärgern, klingelte in seiner Tasche das Handy.

      In Gedanken ganz bei Paulina, zog er es heraus und ging in den Flur, um in Ruhe sprechen zu können.

      „Ja? Ja, Obermüller, ich verstehe.“

      Nachdem er aufgelegt hatte, wählte er aus seinem Speicher eine Nummer und lauschte auf das Freizeichen.

      „Hollermann, sind Sie das? Tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber wir haben einen sehr eiligen Fall“, erklärte er, ganz Kriminalhauptkommissar, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten. „Halten Sie sich bitte bereit. Frau Steinbacher wird Sie gleich abholen. Und, ach ja: Ziehen Sie sich Gummistiefel an.“

      Nur zwanzig Minuten später stieg Oberkommissarin Franziska Steinbacher an der Bräugasse auf den provisorischen Holzsteg, um zunächst vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis sie sich an den ungewohnten Unterbau gewöhnt hatte. Denn da, wo das Kopfsteinpflaster auf dem Platzl den Füßen sonst Halt gab, hatte sich das Wasser von Donau und Inn zu einem einzigen braunen See vereint. Einen Meter hoch stand es zwischen dem Waisenhaus und der Nepomukstatue und ließ das Stadtbild mehr denn je an das im Wasser versinkende Venedig erinnern. Nur diese Stege und der unermüdliche Einsatz der Feuerwehr ermöglichten es den Bewohnern der Ortsspitze, auch in diesem Ausnahmezustand in ihre Häuser zu gelangen und ein halbwegs normales Leben zu führen.

      Franziska blickte sich nach ihrem Kollegen Hannes Hollermann um, der direkt hinter ihr lief. „Ich glaube, da vorne ist es“, rief sie und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf ein Haus, das direkt am Donaukai lag.

      Der