Und dann kam das Wasser. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015102
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zu sehen, als mir am Tatort aufgefallen ist“, wunderte sich Franziska, woraufhin sie von Mona belehrt wurde: „Na ja, ein bisschen nachhelfen musste ich mit der Bildbearbeitung schon, aber dann …“

      „Der Blutspur zufolge hat der Täter den Ermordeten vor dem Verkaufstresen getötet, dann nach hinten geschleift und verpackt“, fasste Franziska zusammen.

      „Also ein Täter, der überlegt und planmäßig vorgeht“, fügte Hannes hinzu.

      „Ob planmäßig, weiß ich jetzt nicht.“ Mona klickte ein Foto weiter. „Die Müllsäcke lagen zumindest, wie hier schön zu sehen ist, im Regal auf der Rückseite des Tresens.“

      Hannes folgte Monas Blick auf einen vergrößerten Ausschnitt auf den hinteren Bereich des Lagerraums und schüttelte den Kopf. „Das ist mir nicht aufgefallen.“ Anerkennend sah er Mona an.

      „Mir auch nicht“, gab Franziska zu, „deshalb hab ich ja wie verrückt fotografiert. Ich dachte, es wird schon was Brauchbares dabei sein.“

      Mona nickte. „Seltsam finde ich auch diese Punkte auf der Wange des Toten. Eine merkwürdige Anordnung von Hautmalen, findet ihr nicht?“

      Hannes ging näher an die Wand heran, um die vermeintlichen Hautmale besser betrachten zu können. „Könnte aber auch nur Dreck sein“, sagte er schließlich.

      „Und wofür hältst du die Verletzung an der Hand?“, fragte Mona an Hannes gerichtet.

      „Tja“, er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wurde er ja gefoltert.“

      „Ich weiß nicht.“ Mona schien unschlüssig. „Für mich sieht das mehr nach einer postmortalen Verletzung aus. Wie wenn jemand eine große Gewebeprobe genommen hat.“

      „Wofür?“

      „Keine Ahnung, das ist euer Job.“

      Als das nächste Bild kam, lachte Mona plötzlich herzlich: „Keine Ahnung, was der Künstler uns damit sagen wollte, aber hier hast du eindeutig den Boden fotografiert.“ Mona schüttelte den Kopf. „Eine lose Fliese. Soll wohl abstrakte Kunst sein.“

      „Das war, als mich das eindringende Wasser umgerissen hat“, verteidigte sich die Kommissarin und fügte dann mit einem Lächeln hinzu: „Ich hätte aber gerne mal gesehen, wie du unter diesen Bedingungen professionelle Fotos gemacht hättest.“

      „Der Mann wurde also vor dem Tresen angegriffen und tödlich verletzt. Danach wurde er nach hinten geschleift und verpackt“, überlegte Hannes laut und beendete damit das Geplänkel. „Dafür muss es einen Grund gegeben haben. Niemand verpackt eine Leiche so aufwendig, wenn er damit nicht ein Ziel verfolgt.“

      „Was vor allem für einen Mann als Täter spricht.“ Franziska blickte von einem zum anderen. „Wie groß schätzt du den Toten?“ Sie sah Hannes an.

      „Eins achtzig, eins neunzig, keine Ahnung. Aber ich weiß, was du meinst. Er wog mindestens achtzig Kilo, die verpackt man nicht so einfach, und damit eben auch nicht ohne Grund.“

      „Ganz genau. Und damit wissen wir, dass es sich wohl um einen männlichen kräftigen Täter handelt. Eventuell sogar um zwei. Und die haben die Leiche verpackt, weil sie sie mitnehmen wollten.“ Franziska zuckte mit den Schultern. „Was nicht ging, weil …“

      „Sie von irgendjemand gestört wurden“, schlug Hannes vor. „Weil jemand zum Beispiel vor der Ladentür Sandsäcke aufgeschichtet hat.“

      „Wäre logisch. Sie lassen die Leiche zurück und verschwinden durchs Fenster – müssen sie, das war der einzige Weg nach draußen. Und sie hoffen, dass am Ende das Wasser alle Spuren verwischt.“

      „Ich werde mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr telefonieren“, kündigte Hannes an, aber Franziska verfolgte bereits einen anderen Gedanken.

      „Der oder die Täter geben sich also viel Mühe, die Leiche zu verpacken. Und dann steigen sie aus dem kleinen Fenster und lassen es einladend offenstehen, damit die Feuerwehr unweigerlich darauf aufmerksam werden muss. Blöd, oder?“

      „Ja, stimmt“, bemerkte Hannes. „Die beiden Feuerwehrmänner gaben an, sie seien nur hingegangen, weil das Fenster offenstand. Schneidlinger hat sie danach gefragt.“

      Die Kommissarin nickte nachdenklich.

      „Wirklich seltsam. Genauso wie die Sache mit der Gewebeprobe an der Hand.“

      „Ja, denn wofür braucht man die Gewebeprobe einer Leiche?“, mischte sich Mona in die Spekulationen ein.

      „Um zu beweisen, dass man den Richtigen getötet hat“, überlegte Hannes.

      „Ein Auftragsmord? Aber hätte der Täter dann nicht zum Beispiel einen Finger abgeschnitten? Oder ein Ohr? Ich meine, so eine Gewebeprobe bringt doch nichts.“ Franziska hielt sich mit beiden Händen den Kopf, der ihr immer noch ein bisschen wehtat, seit der Deckenbalken auf sie gefallen war. Zu allem Überfluss wurde ihr von dem ganzen Stochern im Nebel auch noch schwindelig. „Also wissen wir jetzt, dass wir nichts wissen, außer dass es ein Mann war.“

      „Sag das nicht. Wenn wir davon ausgehen, dass es auch mehrere gewesen sein könnten, dann kämen doch auch vier Frauen infrage“, gab Hannes zu bedenken.

      „Du meinst, weil die Täter zu blöd waren, das Fenster zu schließen, müssen es Frauen gewesen sein?“, spottete Mona. „Wie nett.“

      Josch saß auf einer alten umgedrehten Holzkiste, die Beine fest in den Boden gestemmt, den trainierten Oberkörper nach vorn gebeugt. Er war mit einer Markenjeans und einem T-Shirt bekleidet, wie man sie im Westen kaufen konnte. An den Füßen trug er Turnschuhe, die nicht sauber, aber teuer waren. Zu Beginn eines jeden Tages lief er mehrere Runden und machte anschließend einige Klimmzüge in der kühlen Morgenluft. Es war ein gutes Gefühl. Sein Körper war stark, und er fühlte sich, als könnte er alles schaffen.

      An diesem Morgen hatte er sich richtig ausgeschlafen und war nach seinem Fitnessprogramm erst einmal zum Imbiss gefahren, um sich ein anständiges Frühstück zu gönnen. Jetzt hielt er den ersten Burger in den Händen und stopfte ihn in sich hinein. Er schmeckte nichts. Erst als er den zweiten aus der Schachtel nahm, reagierten seine Geschmacksknospen und signalisierten, dass das Essen gut war. Echtes Rindfleisch, saftig und zart. Auch wenn er sich diese Köstlichkeit inzwischen öfter leisten konnte, war es jedes Mal etwas ganz Besonderes. Es war wie ein Ritual. Das Verschlingen der Burger war für ihn das Zeichen dafür, dass er es geschafft hatte.

      Allerdings machte sich Josch über solche Dinge nie Gedanken. Seine Welt war einfach. Wenn er beim Essen war, dann wollte er seine Ruhe haben und nicht ständig denken müssen. Das musste dann warten. Es sei denn, er hatte einen Auftrag. Der ging zu jeder Zeit vor. Überhaupt war der Job für ihn das Wichtigste, denn nur durch ihn hatte er eine Chance, irgendwann einmal aus diesem Loch herauszukommen. Er grinste zufrieden, denn er wusste, dass er in dem, was er tat, gut war, sonst würde er ja gar keine Aufträge bekommen.

      Als auch der zweite Burger verspeist war, leckte er sich der Reihe nach den Fleischsaft von den Fingern. Dann erst stand er auf, warf die Burgerschachtel in eine Ecke der Halle, die ihm als Unterschlupf diente, und lief ein paar Schritte, um sein Lager zu inspizieren. Bis zum Abend wollte er aufräumen und sauber machen − Aufgaben, die zu seinem Job gehörten, auch wenn sie ihn langweilten. In der vergangenen Woche war er viel unterwegs gewesen, um neue Ware zu ordern. Er war jetzt Einkäufer. Beim Gedanken daran, wie wichtig er dadurch geworden war, huschte ein entwaffnendes Lächeln über sein gebräuntes Gesicht. Es war sein Markenzeichen, etwas, das ihm Türen öffnete und half, wenn er unterwegs war.

      Am Anfang hatte er sich und seine Fähigkeiten noch nicht richtig einschätzen können, und da war ihm auch mal ein Geschäft durch die Lappen gegangen, aber jetzt – er lachte selbstgefällig – war er richtig gut geworden. Heute konnte er problemlos gute und sehr gute Ware voneinander unterscheiden. Und schlechte Ware kam ihm schon gar nicht mehr ins Lager. Schlechte Ware bedeutete