Und dann kam das Wasser. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015102
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nur noch ein Bild der Lage und komme dann nach.“

      Am Krankenwagen, der vor der Theologischen Hochschule stationiert war, empfing der Notarzt Dr. Franz Buchner den kleinen Trupp. Schnell hatte die Nachricht von Franziskas unfreiwilligem Bad in der Donau und dem anschließenden die Runde gemacht, und alle hatten so besorgt reagiert wie der Hauptkommissar; schließlich kannte man sich von verschiedenen Einsätzen.

      „Meiner Meinung nach haben Sie eine Gehirnerschütterung“, erklärte der Notarzt im gleichen Ton, in dem er sonst an einem Tatort über die Todesursache spekulierte, nachdem er Puls und Blutdruck gemessen und Franziskas Schädel auf eine mögliche Verletzung hin abgetastet hatte. „Näheres kann ich erst nach weiteren Untersuchungen im Klinikum sagen. Ich würde Sie gern für ein paar Tage zur Beobachtung aufnehmen“, schlug Dr. Buchner vor.

      Doch schon während er diesen Satz vortrug, schüttelte Franziska den schmerzenden Kopf und zog die Decke enger um den zitternden Körper.

      „Tatsächlich habe ich nicht erwartet, dass Sie zustimmen“, gab sich der Notarzt sofort geschlagen und lächelte die Kommissarin aufmunternd an. „Aber dann nehmen Sie zu Hause wenigstens ein warmes Bad und legen sich ins Bett. Haben Sie jemand, der sich um Sie kümmert?“

      Bevor Franziska darauf antworten konnte, sagte Schneidlinger: „Natürlich, wir werden sie nicht aus den Augen lassen.“ Er schien ernsthaft besorgt.

      „Schon okay, Chef. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Mir ist nur so schrecklich kalt.“

      „Jemand sollte sie heimbringen“, begann Dr. Buchner erneut.

      „Gut.“ Schneidlinger warf einen Blick zu Hannes. „Herr Hollermann hat mir bereits von den Verletzungen des Toten berichtet. Frau Steinbacher kann bedenkenlos nach Hause gehen und sich auskurieren.“

      Franziska nickte. „Wann werden sie den Toten herausholen können?“, fragte sie.

      Schneidlinger zuckte mit den Schultern.

      „Ich habe Fotos gemacht. Vielleicht … Ich hoffe, sie sind nicht beschädigt worden, als die Kamera nass geworden ist“, fügte sie hinzu, doch Schneidlinger wiegelte sofort ab.

      „Jetzt machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Erholen Sie sich, und den Rest sehen wir dann schon.“

      „Aber …“

      „Kein Aber. Es war schon unverantwortlich von Ihnen, nicht auf die Mahnung der Rettungskräfte zu hören.“ Der Hauptkommissar atmete tief aus und wechselte einen kurzen Blick mit Hannes bevor, er in versöhnlichem Tonfall weitersprach. „Natürlich kann es sein, dass wir im Laufe der Ermittlungen noch sehr froh über Ihre Unterstützung sein werden. Wo ist denn die Kamera eigentlich?“

      Mit einem kleinen Lächeln zeigte Franziska auf die nassen Sachen, die auf einem Haufen neben der Trage lagen, auf der sie saß. Obenauf lag die Kamera.

      „Gut, dann gebe ich sie der Kriminaltechnik, damit die sich darum kümmern. Wie haben Sie das eigentlich geschafft, dass sie die Kamera im Wasser nicht verloren haben?“

      „Ich weiß auch nicht“, gestand Franziska. „Ich glaube, ich habe mich einfach an ihr festgehalten.“

      Längst hatte er den Beobachtungsplatz aufgegeben und ruderte mit seiner Zille, die er am Ende der kleinen Fluchtgasse stationiert hatte, an der Stadtmauer und am Hotel Schloß Ort vorbei. Das Fahren mit der Zille lernten die Kinder im Örtl früh, schließlich nutzte man dieses wendige Boot nicht nur beim jährlichen Hochwasser, sondern auch für kleine Ausflüge auf Inn und Donau. Manche hatten sogar einen Motor und wurden von den Anwohnern wie ein Wassermofa benutzt. Im Hochwassergebiet war es allerdings besser zu rudern, und auf Donau oder Inn würden heute nur Lebensmüde hinausfahren.

      Vor dem Hotel machte er eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden. Es war seine letzte, und er musste zusehen, dass er neue bekam. Hunger hatte er auch. Leider war durch diesen ganzen Trubel sein Zeitplan durcheinandergeraten. Während er rauchte, blickte er zu Fassade des Hotels hinauf, das, wie alle Häuser im Örtl, schon tief im Wasser des Inn stand. Trotzdem strotzte es seit Jahrhunderten allem Unbill, und so ein Hochwasser würde es schon gar nicht umreißen. Um das Jahr 1200 hatte man es schon in einer Urkunde erwähnt, hatte ihm seine Mutter einmal erzählt, weil damals gerade Bischof Berthold von Salzburg kam, um die Stadt von den bayerischen Besatzern zu befreien, die sich genau hier, in der Veste Ort, eingenistet hatten. Damals war das hier die wichtigste Schutzfestung von Passau gewesen. Kann man heute kaum noch glauben, hatte seine Mutter immer gesagt. Fünfzig Jahre später wurde die Veste Ort dann sowieso nicht mehr gebraucht, weil sie jetzt die Veste Niederhaus auf der anderen Seite der Donau hatten. So wurde das Schloss halt zum Gefängnis, und der Bannrichter wohnte auch mal hier.

      Er lauschte. Waren das eben Schreie gewesen? Aus dem alten Gemäuer? Vom Wasser herausgespült?

      Red nicht so einen Unsinn, würde seine Mutter jetzt sagen. Und jetzt mach, dass du nach Hause kommst, und basta.

      Sie hatte recht, denn schließlich gab es Wichtigeres als dieses Haus, das ja erst einmal zu dem hatte werden müssen, was es heute war. 1873 war es zum Hotel umgebaut worden, weil es schön war, wenn man auf der Terrasse saß und auf den Inn blicken konnte. Seine Mutter hatte immer davon geträumt, dort mal zu sitzen. Aber es sollte halt nicht sein, und damit basta.

      Inzwischen war er klatschnass und fror fürchterlich. Selten war die Donau im Juni noch so kalt wie in diesem Sommer. Während er weiterruderte, setzte er das Paddel voller Aufmerksamkeit ein, schließlich wusste man nie, was einem unter Wasser so alles begegnete. Einmal war ihm sogar ein Auto entgegengeschwommen, allerdings war das am Rathausplatz gewesen, und damals hatte das Wasser auch viel höher gestanden. Aber wer weiß, noch hatten sie das Schlimmste ja nicht hinter sich.

      Als er das Platzl erreichte, warf er einen Blick zum alten Laden. Das Fenster hatten sie zugenagelt, damit niemand mehr auf die Idee kam einzusteigen. Den Toten hatten sie noch immer nicht herausgeholt, das hatte er genau beobachtet, und er hatte gehört, wie sie davon sprachen, dass sie ihn so schnell auch nicht bergen konnten, weil der Stützpfeiler, der die einsturzgefährdete Decke sichern sollte, umgefallen war. Eine Tussi von der Polizei hätte es auch fast erwischt. Wie konnte man auch nur so dumm sein und nicht auf das Glas hören?

      Der Chef war als Letzter gekommen, auch nicht schön, man ging als Chef doch voran, aber irgendwie auch schlau, so war ihm das Bad in der Donau erspart geblieben. Als der so da gestanden und auf das Fenster geschaut hatte, hatte er für einen Moment befürchtet, er habe ihn entdeckt, doch dann hatten sie die Polizistin rausgeholt und wie einen nassen Sack durch das kleine Fenster des Häuschens hinaus ins Freie gezogen, und das hatte ihn gerettet. Aber so wie es schien, wussten sie noch immer nichts über den Toten. Er hätte ihnen sagen können, was das für einer gewesen war, aber bestimmt würde ihm dann wieder keiner glauben. So war das schon immer gewesen, und so würde es immer bleiben.

      Ein wenig verlegen stand Franziska vor der Badewanne und schaute zu, wie sich an der Stelle, an der der Wasserstrahl auf die Oberfläche traf, immer mehr Schaum bildete. Als ihr klar geworden war, dass Hannes sie nicht nur zu Hause abliefern, sondern bei ihr bleiben und sich um sie kümmern würde, hatte sie eine Extraportion Badeschaum in die Wanne gegossen.

      Hannes hatte ihre Absicht sofort durchschaut und frech gegrinst. „Keine Angst, ich schau dir schon nichts ab!“

      „Ich hab keine Angst“, hatte Franziska erklärt, aber ein wenig nervös an ihrem Shirt herumgezupft. Nachdem Schneidlinger zu Hannes gesagt hatte, er solle sie nach Hause fahren, hatte Mona ihre Sportsachen aus dem Auto geholt und sie ihr für den Heimweg angeboten. Die Trainingshose und das Shirt waren zwar schön trocken, aber leider auch viel zu kurz.

      „Ich mach dir mal einen schönen