„Auch nicht, wenn du schon ein bisschen angetrunken wärest?“, fragt er neugierig.
Izzy hüstelt nicht eben diskret. Mit erhobenen Augenbrauen schaue ich zu ihr hinüber. Sie kennt diesen Blick der besagt: „Sag jetzt bloß nichts Falsches!“
„Es ist nicht so, dass ich nicht für Spaß zu haben wäre, wenn ich getrunken habe“, beginne ich.
Wenn ich denn mal trinke, denke ich für mich. Unter dem Einfluss von Alkohol zu stehen macht mir nämlich auch Angst.
„Ich finde nur, dass es etwas Billiges an sich hat, wenn man sich dermaßen an einen Mann ranmacht.“
„Da bin ich ganz deiner Meinung“, sagt er zu meiner Überraschung, dann hält er mir die Hand hin. „Kieran MacLaughlin.“
„Lauren Anderson.“ Ich nehme seine Hand in meine. Sie fühlt sich warm, aber trocken an und sein Händedruck ist kräftig, ohne mir die die Hand zu zerquetschen. „Und das ist meine Freundin Izzy McKenzie.“
Er nickt, dann erhebt er sich so plötzlich von seinem Stuhl, wie er gekommen ist und ruckt seinen Kopf zur Bar hinüber, wo nun ein Pärchen steht und verloren um sich blickt.
„Ich muss dann mal was tun. Man sieht sich.“
„Er ist süß!“, quietscht Izzy leise, als er außer Hörweite ist.
„Das ist er nicht“, antworte ich, trotzdem schaue ich zum Tresen, wo Kieran dem Pärchen zwei Gläser Stout zapft und mit ihnen locker darüber plaudert, dass jemand von der Speyside Brauerei im nächsten Monat bei ihnen zu Gast sein wird, um sich mit den Gästen über ihr Bier zu unterhalten und eine Verkostung anzubieten.
„Er hat sich an dich erinnert und wollte wissen, wie es dir geht Das ist süß.“
„Sich nicht an diesen Auftritt zu erinnern, dürfte wohl sehr schwer sein“, gebe ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. „Nicht alle Tage rennt jemand fluchtartig aus einer Bar, oder?“
„Als Barkeeper hat er sicher schon Schlimmeres erlebt. Aber er hat sich sofort Sorgen um dich gemacht an diesem Abend.“
Ich starre diesen Kieran MacLaughlin noch ein Weilchen länger an. Er unterhält sich mit dem jungen Paar genauso zwanglos, wie eben noch mit Izzy und mir. Sicher, bereits die Mädels vom Jungesellinnenabschied haben bemerkt, dass er gut aussieht und ich kann mich dem auch nicht verschließen. Auf eine kantige, maskuline Art tut er das wohl mit seinem Drei-Tage-Bart. Aber darüber muss ich mir jetzt keine Gedanken machen, es gibt andere Baustellen in meinem Leben.
„Er ist nett“, gebe ich zu, als ich mich wieder Izzy zuwende.
„Nett? Nett ist die kleine Schwester von…“
„Nein, ist es nicht.“, unterbreche ich sie ungehalten. „Nett ist einfach nett. Nicht mein Typ, aber sehr freundlich.“
Als mein Blick zufällig auf die Speisekarte fällt, wird mir erst bewusst, dass ich meine Umgebung wieder ganz normal wahrnehmen kann. Und dass meine Angst plötzlich wie verflogen ist.
Charlotte
Nichts fühlt sich wirklich an. Nicht, als wir meine Sachen in sämtliche verfügbare Koffer und Taschen packen und auch nicht, während der Fahrt von Newcastle nach Edinburgh. Die Häuser hier unterscheiden sich nicht großartig von denen bei uns, dennoch bin ich entschlossen, alles zu hassen.
„Es ist spießig hier.“ Ich betrachte die georgianischen Gebäude, die Seite an Seite die Brunstane Road säumen und verspüre keinen Drang, das Auto zu verlassen.
„Es ist eben ein altes Haus. Und nicht weit vom Strand.“ Mum sieht mich erwartungsvoll, als müsse ich jetzt in Freude ausbrechen, während sie sich abschnallt.
„Ich habe nicht viel für den Strand übrig“, gebe ich zurück.
Als Antwort darauf knallt Dad seine Autotür von außen zu, als wäre er der unglaubliche Hulk. Ich denke, er ist ziemlich erleichtert, wenn er endlich ohne mich nach Hause fahren darf.
Nach meinem Besuch bei Lewis habe ich meinen Eltern sofort mitgeteilt, dass ich doch nach Edinburgh gehe. Beide waren erleichtert, doch während mein Vater die ganze Woche über geradezu verboten gut drauf war, war meine Mum auch häufig traurig und wenn sie glaubte, keiner würde es bemerken, wischte sie sich verstohlen ein paar Tränen weg.
„Bist du auch sicher, dass du alles eingepackt hast?“ Mum fragt das zum hundertsten Mal. Zum hundertsten Mal antworte ich nicht darauf, woraufhin sie einfach weiterplappert. „Naja, ich habe dir ja beim Kofferpacken geholfen, es wird schon alles da sein.“
„Und selbst wenn nicht, wohnen wir nicht gerade Lichtjahre entfernt, Liz.“
Mittlerweile sind wir ausgestiegen. Dad betrachtet Mum genervt über das Autodach hinweg. Es ist der typische Dad-Mum-Blick. Bevor ich mir das weiter antue, hole ich lieber meine Sachen aus dem Kofferraum.
„Liiiiiz! Huhu!“
Ich vergrabe mich hinter dem Kofferraumdeckel, als ich Tante Jeans laute, etwas schrille Stimme höre, die von der Haustür zu uns herüber dringt. Dad tut es mir gleich und taucht ebenfalls tief in den Kofferraum ein, um in der hintersten Ecke eine Tasche von mir zu suchen.
„Die solltest du nicht vergessen“, sagt er, als wäre das enorm wichtig. Dabei hat er auf Tante Jean einfach so viel Lust wie auf eine Vasektomie.
Allerdings hilft das Versteckspiel nicht viel, denn die Koffer und Taschen sind schnell aus dem Auto geholt. Steif stehe ich da, während Tante Jean in einer Wolke aus rosa Chiffon auf uns zueilt, um erst Mum ein Küsschen links und rechts auf die Wange zu drücken und es dann bei Dad und mir gleichzutun. Hinter ihr her tapert Sherlock, der asthmatisch keucht, gefolgt von Onkel Allan, der uns allen nur steif die Hand gibt. Er ist, im Gegensatz zu Tante Jean, nicht so sehr für Körperkontakt, was ihn mir sehr sympathisch macht.
„Da seid ihr ja endlich!“ Der Traum in Rosa breitet die Arme aus und zeigt auf das Reihenhäuschen vor uns. Es sieht ein wenig heruntergekommen aus im Gegensatz zu seinen Nachbarn links und rechts, die anscheinend kürzlich renoviert worden sind. Die Fassade ist schmuddelig, an manchen Stellen bröckelt sie schon.
„Es gab einen Stau kurz vor Edinburgh“, verteidigt sich Mum, obwohl niemand sie angegriffen hat.
„Das Übliche, wenn man Freitagnachmittag irgendwohin fährt“, ergänzt Dad.
„Zum Glück sind Allan und ich schon heute Morgen hergekommen, da war noch alles ruhig.“
„Brian musste noch bis Mittag in der Praxis arbeiten.“ Mum wirft Dad einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich bücke mich zu Sherlock hinunter, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, damit niemand sieht wie genervt ich bin.
Als ich wieder hochkomme, entdecke ich sie. Lauren. Sie steht im Rahmen ihrer Haustür und sieht zu uns hinüber, macht aber keinerlei Anstalten uns zu begrüßen. Eigentlich wirkt sie so, als würde sie gar nicht hierher gehören, obwohl es doch ihr Haus ist.
„Kommt rein“, fordert uns Tante Jean auf und eilt voraus. Über die Schulter ruft sie noch: „Allan, hilf Brian doch bitte mit dem Gepäck.“
Als Dad und Onkel Allan wie zwei Esel bepackt mit meinen Koffern und Taschen ins Haus gehen und Mum folgen, die schon längst Tante Jean hinterher gehastet ist und nun ihre Cousine begrüßt, bleibe ich neben dem Auto stehen. Vom Meer weht eine kühle Brise die Straße hinauf, die einen salzigen Duft mit sich trägt, der ferne Erinnerungen an Strandurlaube in Spanien mit sich bringt. Das war,