„Warum? Sag ihnen einfach, dass du etwas anderes machst, was dich mehr ausfüllt. Und das wäre die reine Wahrheit.“
Obwohl Izzy nicht begeistert ist, dass die Tochter meiner Cousine bei mir einzieht – sie meint, ich hätte so schon genug Probleme und damit hat sie absolut recht -, dekoriert sie mit Feuereifer weiter. Eine Ausgabe des Magazins von Top of the Pops legt sie auf das Nachtkästchen, über die danebenstehende Lampe hängt sie ein Chiffontuch.
„Brandgefahr“, sage ich nur knapp.
„Ich habe in diesem Zimmer auch schon gewohnt, Lauren. Und ich hatte immer ein Tuch über diesem hässlichen Ding, wenn du dich erinnerst.“
Sie geht einen Schritt zurück, als müsse sie zwischen sich und die Lampe – ein Original aus den 60er-Jahren – einen gewissen Sicherheitsabstand bringen. Zugegeben, sie ist unfassbar hässlich, aus Messing mit einem Lampenschirm aus dickem Kristallglas.
„Es hat nie gebrannt.“, gibt sie zu bedenken und sieht mich triumphierend an.
„Das stimmt.“, gebe ich mich geschlagen. Das zentimeterdicke Kristallglas wird mit Sicherheit verhindern, dass das Tuch zu heiß wird.
Es stimmt mich wehmütig wenn ich daran denke, wie es war, als Izzy hier gewohnt hat. Wir kannten uns von der Uni und als ich das Haus von Tante Mhairi erbte, war ich einsam, Izzy hingegen suchte eine Bleibe in Edinburgh und Umgebung, da sie jeden Tag von Perth pendelte.
„Dieses Haus hat damals ein paar ziemlich geile Partys erlebt.“
„Oh ja“, seufzt Izzy. „Unsere Partys waren legendär.“
„Das kommt mir vor, als wäre es in einem anderen Leben passiert.“ Ich starre in den Spiegel, den ich so schön geputzt habe. Ich bin nicht mehr das Mädchen Anfang Zwanzig, das wilde Feiern mit Alkohol und jeder Menge Jungs veranstaltet; das will ich auch gar nicht mehr sein. Aber ein wenig vermisse ich die unbekümmerte Seite an mir. Die, die Angst überhaupt nicht gekannt hat.
„Das kommt nicht nur dir so vor.“ Izzy lässt sich mit mürrischer Miene auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal auf einer wilden Party war. Die langweiligen Essen bei Rorys Eltern kann ich wohl kaum mitzählen, ebenso wenig die steifen Veranstaltungen, zu denen ich immer mitgehen muss, um das Familiengeschäft zu repräsentieren.“
„So schlimm?“ Ich vergesse für einen Moment meine eigenen Sorgen, weil Izzy so gequält dreinblickt.
„Noch schlimmer. Ich möchte mich in kein Cocktailkleid mehr quetschen, nur um dann keinen Happen mehr essen zu können. Wer entwirft diese Dinger nur so verdammt eng um den Bauch herum? Und dann wird man von den Damen aus den diversen Golfclubs ständig gefragt, wo man das Kleid gekauft hat und von welchem Designer es ist. Als hätte ich Ahnung davon…“ Sie wirft einen bedeutungsvollen Blick auf ihre Skinnyjeans mit riesigen Cut Outs am Knie und ihr Tanktop – ihre bevorzugte Kleidung.
Es ist nicht so, dass Izzy sich für Klamotten nicht interessiert, sie mag es nur eben gerne praktisch. Das war schon immer so, weshalb ich auch nie so ganz verstanden habe, wie sie und Rory zu einander finden konnten. Er ist vielleicht kein Modefreak, aber er läuft immer nur in Markenkleidung herum, bevorzugt Ralph Lauren.
Rorys Eltern sind nicht direkt reich, aber auch nicht unvermögend. Sie haben ein Geschäft für exklusive Golfkleidung in North Berwick und verkehren deswegen in ziemlich guten Kreisen. Ich habe keine Ahnung von Golf, deshalb weiß ich auch nicht so genau, was sie dort verkaufen und warum es so exklusiv ist. Ich habe nur ab und zu solche Fetzen wie ‚Cabrettaleder‘ oder ‚atmungsaktives Piquégewebe‘ aufgeschnappt und nur Bahnhof verstanden. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie mit ihrem Laden in einem Golfparadies wie East Lothian ein gutes Geschäft machen. Allerdings habe ich den Verdacht, dass Izzy im Grunde genauso wenig von dem Ganzen versteht wie ich. Und das ist ganz und gar nicht gut.
„Schön und gut, wenn du nicht über Designermode reden kannst, das muss ja nicht unbedingt sein. Aber hast du denn Ahnung von den Sachen, die ihr verkauft?“
„Ich verkaufe sie nicht.“ Izzy verschränkt demonstrativ die Arme und schiebt die Unterlippe vor. „Das machen Rory und seine Eltern.“
Okay, sie hat also keinen blassen Schimmer von dieser ganzen Golfgeschichte. Ich meine, ich weiß ja, dass Izzy ein wunderbarer Mensch ist und eigentlich wundert es mich auch nicht, dass Rory das sofort erkannt hat, als sich die Beiden in einer Bar in Glasgow kennengelernt haben. Aber wenn sie irgendwo nicht hinpasst, dann in die spießige Welt des Golfs. Und Rory… Was soll ich sagen? Er ist die personifizierte spießige Welt des Golfs mit seinen Polohemden, den über die Schulter gehängten Strickpullis, seinen adrett gebügelten Hosen und den teuren Segelschuhen, die er so gerne trägt. Davon ab ist er aber ein wirklich toller Mensch, der für seine Freunde alles geben würde. Auch das letzte Polohemd.
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich mit der Welt, in die du hineingeheiratet hast, auch mal beschäftigst.“ Ich lege Izzy liebevoll einen Arm um die Schultern
„Das habe ich ja versucht.“ Sie sieht zu mir hoch, verdreht die Augen und auch wenn das Thema gar nicht lustig ist, muss ich gegen meinen Willen lachen.
„Das hast du nicht ernsthaft. Es ist dir nämlich zutiefst zuwider und deswegen gehst du es erst gar nicht an. So war das schon immer. Erinnerst du dich an den Einführungskurs an der Uni? Du hattest überhaupt keine Lust hinzugehen, weil du dich lieber gleich ins Studium reingehängt hättest. Du warst so selten da, dass ich dachte, sie würden dich von der Uni werfen.“
Izzy grinst bei der Erinnerung daran von einem Ohr zum anderen. Sie hat die meiste Zeit, die sie nicht beim Studieren war, im Bett mit so einem Möchtegernrockstar namens ‚Harrycane‘ verbracht. Wie sein Name vermuten lässt, war er eine Granate zwischen den Laken, aber ansonsten nicht die hellste Kerze auf der Torte.
„Du hast ja Recht“, gibt sie schließlich zu und knabbert verlegen an einem Stückchen Edinburgh Rock, die ich in eine Schale auf dem Schreibtisch gestellt habe. Die klebrige pastellfarbene Süßigkeit ist typisch schottisch und soll ein Willkommensgruß für Charlotte sein. Wie gut, dass der Supermarkt um die Ecke alles liefert. Und wie dumm, dass ich vergessen habe, dass Izzy die Dinger liebt. Ich ziehe die Schale vorsichtshalber zu mir.
„Rory wäre dir sicher dankbar, wenn du dich ein wenig für sein Geschäft interessieren würdest. Besuch ihn doch einfach mal im Laden, frag ihn ein bisschen aus.“
„Es gibt nichts, was mich weniger interessiert“, jammert Izzy, dabei fischt sie erneut ein Edinburgh Rock aus der Schale, die ich nun rigoros an mich nehme. „Naja, außer vielleicht ein Bericht über Nagelpilz und Hornhaut an den Füßen. Wusstest du, dass Rorys Mutter total auf medizinische Sendungen steht?“
„Izzy!“
„Na gut! Ich werde deinen Rat befolgen und Rory ein bisschen über das ausfragen, was er da so macht.“
„Ihr seid seit einem halben Jahr verheiratet und schon zwei Jahre zusammen. Hättest du das nicht schon längst tun sollen?“
„Hätte ich vielleicht, aber irgendwie bin ich bisher auch ganz gut so durchgekommen. Allerdings wird es langsam auf diesen ganzen Partys ein wenig peinlich, wenn mich die Leute in ein Fachgespräch verwickeln wollen. Letztens wollte eine der Damen über Handschuhe aus Cabrettaleder reden und ich meinte nur, dass ich mich mehr für Ciabatta interessiere. Seltsamerweise fand sie das nicht besonders witzig.“
Ich finde das gar nicht so schlecht. Zumindest ist es eine sehr schlagfertige Antwort, wenn auch nicht besonders hilfreich.
„Rorys Eltern sind, denke ich mal, ziemlich enttäuscht von der Wahl ihres Sohnes“, bekennt Izzy. „Aber dann hätte er eben keine Biologin heiraten sollen, sondern eine der unzähligen Tussis, die ihm hinterherlaufen. Selbst jetzt noch, wo wir verheiratet sind, lassen ihm die ledigen Mädels aus den diversen Golfclubs keine Ruhe.“
„Umso mehr solltest du dich in diese Sache reinhängen. Das würde eine meiner Heldinnen machen, wenn sie in der Situation wäre.“