Herzstolpern. Tara McKay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara McKay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753192536
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sage ich und zwar richtig laut und deutlich.

      „Was soll ich denn hier ohne dich machen?“, fragt Lewis. „Ich habe mich mit dem Gedanken mittlerweile angefreundet, dass du auf eine andere Schule gehst. Aber gleich eine andere Stadt?“

      „Ich gehe nicht. Sie können mich schließlich nicht zwingen, oder?“ Ich bleibe vor Lewis stehen, der auf seinem Schreibtischstuhl sitzt und mit den Rollen nervös vor und zurück fährt. „Könntest du das deinen Onkel nicht mal fragen? Er arbeitet doch bei einem Rechtsanwalt oder sowas in der Art.“

      „Hm.“ An der Art, wie er sich jetzt am Kinn kratzt, merke ich, dass er ein wenig verlegen ist.

      „Was ist?“, frage ich deswegen, meine Stimme klingt nun aggressiver als beabsichtigt.

      „Meine Eltern sind gerade nicht besonders gut auf dich zu sprechen. Eigentlich wollen sie gar nicht, dass ich mich mit dir abgebe.“

      „Dann hat sich mein Schulverweis also schon herumgesprochen.“

      „Gosforth ist ein Dorf.“ Lewis zuckt die Achseln, dann kratzt er sich wieder so umständlich am Kinn. „Meine Mum kommt jeden Moment vom Einkaufen wieder und…“ Der Satz bleibt unvollständig in der Luft hängen.

      Aber ich weiß genau, was er mir sagen will. Ich weiß, wann ich unerwünscht bin.

      „Ich soll gehen, bevor sie kommt. Nicht wahr?“ Jetzt klinge ich genau so aggressiv, wie ich es will.

      „Du darfst nicht denken, dass ich das will. Aber meine Eltern sollen nicht mitbekommen, dass wir uns weiterhin treffen.“

      Er sieht total unglücklich aus, wie er so zu mir hochsieht, die grüngesprenkelten Augen viel zu groß hinter den Brillengläsern. Er streicht sich nervös durch das kurze, braune Haar.

      „Keine Angst, sie werden schon nichts mitbekommen“, ätze ich. Ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet, der mir fast die Luft zum Atmen nimmt. Aber ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr geweint und ich werde ganz sicher nicht wegen Lewis Seymour und seinen beschissenen Eltern damit anfangen. „Vielleicht ist es nämlich doch keine so schlechte Idee, nach Edinburgh zu gehen. Dann musst du keine Geheimnisse vor deinen Eltern haben, denn wir werden uns nicht mehr sehen.“

      „Charlie…“ Er steht auf, bleibt unsicher vor mir stehen.

      „Und ich dachte, dass wenigstens du mein Freund wärest“, sage ich leise, schneidend. Meine Stimme ist hauchdünn, aber dennoch rasiermesserscharf. Ein Glück, dass ich gelernt habe, sie unter Kontrolle zu halten.

      „Ich bin dein Freund.“ Er greift vorsichtig nach meinem Shirt, als wolle er sich an mir festhalten, aber ich stoße seine Hand weg.

      „Fass mich nicht an!“, fauche ich wie eine angegriffene Katze. Genauso geschmeidig drehe ich mich um und laufe auf die Tür zu.

      „Charlie, bleib! Bitte!“

      Aber ich drehe mich nicht mal um, geschweige denn, dass ich stehenbleibe. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühle ich mich ausrangiert, ausgemustert und ich will nicht, dass es weh tut, aber das tut es trotzdem. Mit aller Gewalt würge ich die Tränen hinunter, die in mir aufsteigen, dann renne ich die Treppen im Hause der Seymours hinunter, zur Haustür hinaus auf die Straße. Es scheint, als wäre Davonlaufen mein Lebensinhalt. Warum dann nicht nach Edinburgh?

      Weder meine Eltern, noch Lewis wissen, was sie mit mir anfangen sollen und nach dem peinlichen Auftritt vor Nell Jenkins und Damon Roberts ist es mir sowieso ganz willkommen, dass ich aus Gosforth fliehen kann.

      Ich spüre meine Traurigkeit, die hart wie ein Tennisball in meiner Brust festsitzt, wo sie zwar schmerzt, nach außen aber keine Verletzbarkeit mehr anzeigen kann. Und das ist gut so.

       Dieses Mal hast du es gründlich versaut.

      Lewis‘ Stimme ist plötzlich in meinem Kopf; unwillkommen.

      Ach ja?, höhne ich. Vielleicht habe ich es dieses Mal genau richtig gemacht und alle sind besser dran ohne mich.

      Lauren

      

      „Natürlich hätte ich einfach sagen können, dass ich nicht mehr an der Portobello High arbeite“, sage ich, während ich eine hübsche Sommerbettwäsche auf mein Gästebett aufziehe. „Aber damit hätte ich ja eine Lüge enttarnt, die ich seit einem Jahr aufrechterhalte.“

      „Es wäre die Gelegenheit gewesen, damit Schluss zu machen“, hält Izzy dagegen, die mir dabei hilft, das seit ewigen Zeiten ungenutzte Zimmer wohnlich zu gestalten und zwei Poster aus einer Jugendzeitschrift hochhält. „Justin Bieber oder Shawn Mendes?“

      „Keiner von beiden, wenn du mich fragst.“ Ich verdrehe die Augen.

      „Es geht hier nicht um deinen Geschmack, sondern wen ein fünfzehnjähriges Mädchen toll finden könnte.“

      „Das weiß ich doch nicht!“ Ich raufe mir verzweifelt die Haare. „Ich kenne Charlotte noch nicht mal. Okay, ich habe sie an Mums 50. Geburtstag gesehen, aber da war sie ein kleines Mädchen mit adretten Zöpfen und einem süßen Spitzenkleidchen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht mehr ist, nach allem, was mir Mum erzählt hat.“

      „Hast du denn schon mit deiner Cousine telefoniert?“

      „Ja. Aber ich habe sie nicht nach dem Musikgeschmack ihrer Tochter gefragt, falls du das wissen willst.“

      „Findest du es nicht reichlich merkwürdig, dass sie ihre einzige Tochter einfach weggibt?“

      „Sie gibt sie nicht weg.“ Gegen meinen Willen verteidige ich Liz. Dabei schüttele ich energisch das Bettzeug auf, lege es ordentlich gefaltet auf das Bett und streiche es glatt. Ich bin sehr sorgsam und gründlich dabei, was ich sonst nie bin, aber es lenkt mich von meiner Nervosität ab. „Ich habe es eher so verstanden, als wollten sie und ihr Mann Charlotte einen kleinen Denkzettel verpassen. Sie wissen nicht, warum sie nicht zur Schule gehen will. Und auch die Schulpsychologin hatte keinen Rat für sie – zu der Charlotte allerdings nur einmal ziemlich widerwillig gegangen ist.“

      „Aber der Plan, den sich deine Mutter so geistreich ausgedacht hat, kann nicht aufgehen, Lauren. Weil du nämlich gar nicht mehr an der Portobello High arbeitest.“

      Izzy hat sich mittlerweile für Shawn Mendes entschieden und nagelt sein Poster über das Bett. Ich nehme mir den Spiegel über der Kommode vor, den ich so blank poliere wie noch nie, seit ich hier wohne. Es ist das Zimmer, das ich mit meinen Eltern immer bewohnt habe, wenn wir den Sommer bei Tante Mhairi verbrachten und alles ist mir vertraut und lieb. Auch als ich von Dumfries hierher zog, um in Edinburgh zu studieren, wohnte ich zuerst in diesem Zimmer, bis Tante Mhairi in meinem dritten Studienjahr starb. Ihr Schlafzimmer ist der einzige Raum, den ich im ganzen Haus renoviert habe, als ich dort einzog. Denn einerseits vermisste ich sie schrecklich und wollte ihr gerne nahe sein, weswegen ich auch ihr Zimmer bezog, doch andererseits hätte ich es nicht ertragen, dort in ihrem Bett zu schlafen.

      „Hoffentlich wird sich Charlotte in diesem Zimmer so wohlfühlen, wie ich früher“, meine ich und streiche verträumt über die glattpolierte Oberfläche der Kommode.

      „Hallo? Jemand zuhause?“ Mit den Händen wedelnd steht Izzy nun vor mir. „Ich hoffe doch, dass du deinen Eltern und deiner Cousine die Wahrheit sagen wirst. Und dann wird Charlotte hier womöglich gar nicht mehr einziehen. Damit hättest du zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens hättest du es dann endlich hinter dich gebracht, deinen Eltern zu sagen, dass du nicht mehr als Lehrerin arbeitest. Und zweitens müsstest du dann nicht eine pubertierende Göre bei dir aufnehmen, die dir vermutlich nichts als Schwierigkeiten bereiten wird.“

      In mir bildet sich schon wieder dieser schmerzende Knoten, der eine unangenehme Übelkeit aufsteigen lässt. Ich versuche ihn wegzudrücken, weiß aber genau, dass das nicht