„Hmpf.“ Mehr fällt mir dazu nicht ein.
„Lauren, es wird immer schlimmer mit deiner Angst. Merkst du das denn gar nicht?“
„Es ist alles in bester Ordnung“, fauche ich zurück, denn obwohl ich weiß, dass sie Recht hat, fühle ich mich angegriffen.
„In bester Ordnung? Du bist schon aus Supermärkten weggelaufen, wenn dir die Schlange an der Kasse zu lang war. Ein paar Mal hast du auch schon fluchtartig ein Café oder Restaurant verlassen, wenn es dir zu voll geworden ist oder der Kellner schlicht zu lange gebraucht hat. Aber so schnell wie gestern warst du noch nie irgendwo raus. Wir waren ja kaum im Piratenpub angekommen, da bist du schon davongelaufen, als wäre der Teufel hinter dir her. Was um alles in der Welt wolltest du eigentlich am Tresen? Dein Glas war doch noch fast voll.“
Genervt stoße ich die Luft aus. Izzys Frage ist durchaus berechtigt. Aber so genau kann ich sie nicht beantworten.
„Mir tat der arme Liam einfach leid.“
„Wer?“
„Liam.“ Mir fällt ein, dass sie nicht wissen kann, wie der Typ heißt, deswegen ergänze ich: „Der Barkeeper mit den roten Haaren.“
„Oh, das Leckerchen, das die ganze Junggesellinnenbande mit Haut und Haaren auffressen wollte.“ Sie kichert.
„Genau der.“ Ich bin froh, dass man durch das Telefon nicht sehen kann, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.
„Warum wolltest du ihn denn retten? Gefällt er dir vielleicht?“, fragt Izzy hoffnungsvoll. Es ist ewig her, dass ich mich für einen Mann interessiert habe. Vor lauter Angst habe ich für solch profane Dinge keinen Kopf mehr, weiß aber, dass Izzy förmlich darauf brennt, dass ich jemanden kennenlerne. Sie vertritt die Theorie, dass eine richtig romantische Affäre meine Ängste vertreiben könnte – warum auch immer.
„Spinnst du?“ Ich schüttele energisch den Kopf, dann tapere ich mit dem Telefon in die Küche, um mit einer Hand Teewasser aufzusetzen.
„Also so abwegig ist das ja nun nicht. Er ist nicht unattraktiv und verdammt gut gebaut.“
„Ich glaube, ich habe genug Baustellen. Einen Mann brauche ich im Moment garantiert nicht.“ Und der Gedanke daran macht mir, ehrlich gesagt, auch ganz schön Angst. Ich komme so schon nicht mit meinen Gefühlen zurecht. Noch schlimmer wäre es, wenn zu meiner tagtäglichen Aufregung auch noch die übliche Nervosität des Verliebtseins hinzukommen würde – ganz egal, welche Auffassung Izzy hat.
„Apropos Mann. Der andere Barkeeper – der, vor dem du weggelaufen bist – hat sich bei mir erkundigt, ob mit dir alles in Ordnung ist.“
„Oh nein!“ Mir rutscht fast die Tasse aus der Hand, die ich gerade aus dem Schrank hole. Jetzt ist ganz klar, dass ich leider nie wieder ins Dalriada gehen kann. Was ich ehrlich bedauere. Dass man draußen sitzen kann, findet meine Angst nämlich ziemlich gut. „Was hast du ihm gesagt?“
„Dass du total irre bist?“, meint Izzy trocken. „Quatsch! Ich habe ihm gesagt, dass du dich die ganze Zeit schon nicht wohlgefühlt hast und dir wahrscheinlich übel war. Ich bin dann auch gegangen. Du verzeihst mir, dass ich nicht mehr bei dir vorbeigeschaut habe?“
„Schon gut“, murmele ich beschämt.
„Ich weiß ja, dass du am Liebsten deine Ruhe haben willst, wenn die Panik abebbt.“
Das stimmt. Nach einer schlimmen Angstattacke – und nichts anderes ist es, das weiß ich, auch wenn ich mir gerne einrede, dass ich körperlich krank bin – bin ich meist ziemlich erschöpft. So auch gestern. Ich bin ins Bett gekrochen ohne mich abzuschminken und trage immer noch das rosafarbene Top. Lediglich Schuhe und Hose habe ich mir noch abgestreift, ehe ich todmüde umgefallen bin, so ausgelaugt, als hätte ich einen Marathon hinter mir.
„Du weißt schon, dass wir jetzt nie wieder ins Piratenpub gehen können?“
„Echt jetzt? Langsam wird’s aber verdammt eng. Du verlässt Portobello nicht, bist aber aus fast jedem Restaurant oder Pub dort schon mal geflüchtet, weshalb du nie wieder hingehen willst. Kommt gar nicht in Frage, dass wir nicht mehr ins Dalriada gehen“, protestiert Izzy energisch.
„Aber das ist mir total peinlich. Was denkt dieser Typ jetzt über mich?“
„Keine Ahnung! Dass du zum Abendessen Fisch hattest, der nicht mehr ganz frisch war?“ Izzy prustet in den Hörer und gegen meinen Willen muss ich mitlachen.
„Das ist ja nun nicht das Schlimmste“, gebe ich zu.
„Dann gehen wir gleich am Freitag wieder hin. Und dieses Mal bleibst du, bis ich sage, dass wir nach Hause gehen. Ein Glas Wein ist Pflicht.“
„Aber…“, beginne ich zu protestieren.
„Von einem Glas bist du ja nicht gleich völlig von Sinnen. Wovor hast du also Angst?“
Wenn ich nur daran denke, dass ich wieder außer Haus gehen soll, wird mir jetzt schon schlecht. Der Gedanke an Alkohol macht es nicht besser. Trotzdem sage ich zu. Absagen kann ich ja kurz vorher noch.
Mein neuester Roman nimmt langsam Fahrt auf. Nachdem ich die Protagonisten – einen Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen und eine herzensgute, ziemlich taffe Krankenschwester - ein wenig vorgestellt habe, steige ich jetzt voll in die Handlung ein. Meine Liebesromane sind sicher nicht jedermanns Geschmack. Aber sie sind unterhaltsam, romantisch und haben immer ein Happy End. Mehr, als man vom wirklichen Leben oft sagen kann. Und gerade deswegen schreibe ich sie so gerne. Es macht mir unglaublich viel Spaß, meine Personen mit Leben zu füllen und eine spannende Geschichte darum zu weben, wie sie sich kennen und lieben lernen. Dabei ist durchaus nicht immer alles eitel Sonnenschein. Und die Verkaufszahlen geben dieser Art von Romanen ihre Berechtigung, sind sie doch durchaus beliebt und ich kann meinen Lebensunterhalt davon finanzieren.
Als Lehrerin war ich nicht so der Knaller. Nicht, dass mir das jemals jemand gesagt hätte, aber ich habe mich nie wirklich wohl gefühlt. Manche der Schüler strotzten nur so vor Selbstbewusstsein, sodass ich mir dagegen richtig klein und unscheinbar vorkam, was als Autoritätsperson nicht gerade förderlich ist. Ich schüttele mich unwillkürlich, als ich an meine Zeit in der Portobello High denke und stelle mir, wie so oft, die gleiche Frage: „Würde ich überhaupt wieder als Lehrerin arbeiten wollen, wenn ich keine Angst mehr hätte?“ Aber es ist müßig, darüber nachzudenken, denn ich habe sie. Und keinerlei Hoffnung, dass sie in absehbarer Zeit weggehen wird.
Ich spähe durch das kleine, langgezogene Fenster meines Arbeitszimmers auf die Straße und trinke einen Schluck Wasser (ich halte mich ziemlich streng an diese „Drei Liter am Tag,“-Empfehlung, weil ich damit meinen Körper gesund halten möchte – wenigstens der sollte einwandfrei funktionieren), als ich mich fast an diesem verschlucke. Prustend und keuchend springe ich auf, dann starre ich auf das Auto hinab, das gerade vor meinem Haus äußerst präzise und langsam einparkt. Ich kenne dieses Auto und ich kenne diese Art einzuparken – sehr gut sogar. Da hat einen Hang zur Genauigkeit, den man fast schon penibel nennen kann; etwas, was ich zum Glück nicht von ihm geerbt habe. Obwohl das Auto für jeden anderen Menschen schon ordentlich in der Parklücke steht, hat er den Zwang, noch etliche Male zu rangieren, bis es in seinen Augen wirklich akkurat geparkt ist. Ungläubig starre ich auf den grauen Ford Focus, der jetzt im Abstand von fünfzehn Zentimeter zum Bordstein vor meinem Gartentürchen steht, vor ihm mein knallroter Vauxhall Corsa.
Mein Auto ist über und über mit Staub bedeckt, der vom nahegelegenen Strand heraufweht. Ganz im Gegenteil zu dem meines Vaters, das strahlt, als hätte er es heute Morgen erst poliert. Was bei Da durchaus der Fall sein kann.
Ich fühle mich ein wenig wie paralysiert, kann nur dastehen und zusehen, wie meine Mutter aus der Beifahrertür steigt. Ihr Zetern dringt bis zu mir hinauf.
„Du meine Güte! Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute noch aussteigen darf, Allan“, blafft sie meinen Vater an, der jetzt etwas verloren neben seiner Fahrertür steht. Dann streicht sie über ihre Frisur, als würde nicht jedes Haar perfekt