Die flüsternde Mauer. Manuela Tietsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Tietsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195094
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      „Sollen wir noch einmal herumgehen?“

      „Ich hätt lang darüber nachgedacht, was zu tun sey und ich sey zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die Mauer aufkratzen müssten.“

      Ich stöhnte unwillkürlich auf. Das war das Letzte, was ich mir wünschte.

      „Ich kenne wie bereyts erwähnet diesen geheymen Gang nicht, meyn Vater hätt ihn mir noch nicht gezeyget, dennoch, dass hinter dem Loch in der Mauer eyn Gang sey, das wüsst ich mit Sicherheyt.“

      „Tja, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig.“ Ich hörte den sauren Unterton in meiner Stimme selber; er konnte doch nichts dafür. „Tut mir Leid, was sein muss, muss eben sein!“ Ich erhob mich und spürte jeden meiner Knochen. Alles tat weh, besonders die Finger. Und wenn ich daran dachte, dass ich gleich wieder im rauen Mörtel herumkratzen sollte, dann schmerzten sie noch mehr, weil sie das nicht wollten. Ich überlegte laut:

      „Wenn die Erbauer dieser Räume und der geheimen Tür nicht ganz blöde waren, dann müsste es doch einen geheimen Ausgang geben!?“

      Er sagte nichts, doch ich spürte, wie es in seinem Kopf arbeitete.

      „Es kann doch nicht sein, dass dies nur wie eine Gruft oder ein Verlies dazu da war Leute durch die Falltür hereinfallen zu lassen. Es muss doch einen Notausgang geben!“

      „Ihr habet wohl Recht, Frouwelin“, sagte er mit einem erstaunten Unterton in der Stimme. „Ihr wollet, dass wir noch eynmal auf die Suche gehen?“

      „Ich glaub schon.“

      „Gut, so seys, untersuchten wir es.“ Er erhob sich ebenfalls und machte auch schon den ersten Schritt an der Wand entlang. „Könnet ihr euch erinnern, wo die Falltür sey, von wo ihr gestürzet seyd?“

      Ich überlegte. Mein Ortssinn litt unter der ständigen Dunkelheit. Doch ich erinnerte mich, dass es der Raum, der jetzt zu unserer Rechten lag, sein musste. „Ich denke rechts.“

      Er überlegte, „Üblicherweyse würde eyn Ausgang in entgegengesetzter Richtung seyn, damit genug Zeyt zu eyner Flucht bleybet.“

      „Also müssen wir in den linken Raum.“

      „So seys.“ Er wandte sich um und ging los. Viel zu schnell, denn ich war noch gar nicht so weit. Er lief geradewegs in mich hinein. Wir prallten aufeinander.

      „Verzeyhet, Frouwelin.“

      Ich konnte seinen groß gewachsenen Körper spüren, seine Brust, seine Arme, die mich hielten, damit er oder ich nicht stürzten, nach seinem Missgeschick. Er beeilte sich an mir vorbei zu kommen, um weiterzugehen. Ich holte tief Luft und folgte ihm in der Dunkelheit.

      Hand für Hand tasteten wir die Wand ab. Ich sagte mir, dass jede noch so kleine Erhebung oder Vertiefung eine mögliche Öffnung sein könnte. So sehr ich mir diese auch herbeiwünschte, ich fand sie nicht. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte des Raumes abgesucht, als ich mich müde und ausgelaugt an der Wand herunterrutschen ließ.

      „Ich kann nicht mehr. Ich will jetzt was essen und trinken.“

      Er schluckte laut, kam zu mir zurück. Ich wusste, er würde mich nicht fragen, dafür schien er viel zu höflich, doch sein Magen knurrte unwillkürlich und verriet seinen Wunsch nach Essen.

      „Setzt dich, wir teilen den Rest.“

      Er atmete erleichtert aus. „Ich danke euch dafür, edles Frouwelin.“

      Ich lachte leise, während ich das Brot aus dem Rucksack holte und ihm eine Scheibe in die Hand drückte. Wieder hörte ich, mit welcher Hingabe er aß, als hätte er seit Jahrhunderten nichts mehr gegessen. Ich versuchte ebenso andächtig und langsam zu kauen und siehe da, es schmeckte doppelt so köstlich wie sonst. Wohl kein Wunder, schoss es mir durch den Kopf.

      „Was zu trinken?“ Ich hielt ihm die Flasche hin, konnte spüren wie sein Körper erzitterte in Erwartung eines Schluckes des heiligen Nasses, doch er hielt sich zurück.

      „Bitte zuerst ihr, ich trinke den Rest.“

      Ich zuckte die Schultern und trank. Leider konnte ich nicht sehen, wie viel Wasser noch in der Flasche war, doch ich versuchte nach Gefühl das Gewicht zu ermessen, damit auch er noch einen gerechten Anteil bekam. Ich reichte ihm die Flasche und wieder trank er andächtig.

      „Das war gut“, sagte er leise.

      „Ich bin schon wieder völlig erschöpft. Ich glaube, ich bleib´ noch eine Weile sitzen.“

      Er nickte und da er mir so nahe saß, spürte ich seine Bewegung. Sein Arm berührte meinen Arm und sein Oberschenkel den meinen. Ich fühlte mich ihm so verbunden wie kaum einem Menschen bisher. Diese Erkenntnis erschreckte mich beinahe. Ich seufzte.

      „Gehet es euch nicht gut?“

      „Doch, es ist nur …“, ich fand nicht die richtigen Worte und war mir auch nicht im Klaren, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte. „Es ist alles so seltsam. Ich meine, ich stürze dank meiner Neugier in einen geheimen Raum und dann finde ich auch noch einen eingeschlossenen Menschen.“

      Er lachte auf. Das erste Mal, das ich ihn lachen hörte und mir wurde ganz schwindelig, weil sein Lachen so angenehm weich und wohltönend klang. Ich wollte nicht, dass er aufhört, da es so angenehm war und mir eine wohlige Gänsehaut über den Rücken schickte.

      „Vielleycht sey es die Vorsehung? Vielleycht seyd ihr dort hineyngefallen, damit ihr mich befreyen könnet?“

      Sein Gedanke hatte Tröstliches, denn dann könnte ich auch die Hoffnung hegen, dass wir wieder nach draußen fanden. Wozu sonst hätte ich ihn finden sollen?

      „Dann gibt es Hoffnung!“

      „So sey es.“

      Ich lächelte in die Dunkelheit und schmiegte mich ungefragt an seine Seite. Er stutzte einen Augenblick, doch dann legte er seinen Arm um meine Schultern und lehnte sich ebenfalls an mich.

      „Was für eyne Farbe hätt euer Haar?“

      Ich lachte auf. „Braun, wie meine Augen. Und deine?“

      „Rotbraun,“ er schmunzelte hörbar, „nicht wie meyne Augen, die seyen tiefgrün.“

      Ich lachte erneut auf. Es tat gut einmal von anderem zu reden und an anderes zu denken, als an die schreckliche Dunkelheit und das Gefangensein. Als seine Worte ganz bis in mein Bewusstsein vorgedrungen waren, spürte ich ein Zwicken im Magen, mir fiel das Bild des Ritters ohne Namen ein. Seine Haare waren ebenfalls Braunrot und er hatte grüne Augen. War das ein Zufall? Ein Schauer rieselte über meine Haut. Hatte es ihn doch einmal gegeben und dieser Mann hier war ein was weiß ich wievielter Urenkel! Wir lehnten uns an die Wand zurück und schwiegen wie abgesprochen. Dieses Schweigen war jedoch nicht unangenehm, im Gegenteil, es war wie Ausruhen, ein Luftholen.

      Er genoss das Gefühl ihren Körper in seinem Arm halten zu dürfen. Es war völlig egal, ob sie sich zuvor gekannt hatten, wenn ihn jetzt einer fragen würde, er würde ohne zu zögern sein Leben für sie einsetzen. Oh ja, er glaubte an eine Vorsehung. Diese Frau war geschickt worden, um ihn zu befreien, das stand fest. Und egal wer sie war, ob reich oder arm, ob von edler Geburt oder niederer, wenn sie hier lebend herauskamen, er würde sie reich beschenken. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Sah sie zum Fürchten aus? War sie alt, viel älter jedenfalls, als er sie einschätzte? Er fühlte sich ihr sehr nahe, sehr verbunden. Diesem Gefühl würde auch eine Zauberin von Feuerberg nichts anhaben können.

      „Dürft ich euer Gesicht einmal abtasten?“

      Sie nickte, er konnte es spüren.

      Langsam, vorsichtig, beinahe ängstlich hob er die Hände und berührte ihre Haut mit den Fingerspitzen. Seine viel zu langen Nägel störten ihn und er hatte Angst sie würde sich gleich in Luft auflösen, so wie all die anderen Träume, die er gehabt hatte. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht, eine feine Nase und wohlgeformte Lippen. Er wanderte