Die flüsternde Mauer. Manuela Tietsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Tietsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195094
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den Kopf, was wusste der eigentlich? Ich nahm ihm die Flasche wieder ab, öffnete und reichte sie ihm erneut. Ich hörte, wie er trank und schluckte, ganz zaghaft und bedächtig. Er trank höchstens fünf Schlucke, dann reichte er mir die Flasche zurück. Ich bemerkte, dass einige seiner Fingernägel abgebrochen zu sein schienen.

      „Das war´s schon?“, fragte ich nach.

      „Es sey schon eyne Weyle her, ich glaub gar, es sey besser nicht zu viel auf eynmal zu trinken.“

      „Ich glaube, wenn ich solchen Durst hätte, könnte ich nicht warten!“

      „Das sey jahrelange Übung. Den eygenen Körper und seyne Triebe zu beherrschen ist das erste, was eyn Ritter lernen müsst!“

      Ein Ritter? Er hielt sich also für einen Ritter. Nun gut, solange er ritterliche Ehre besaß! Mir sollte es recht sein. Ich fühlte mich schlecht. Ich hatte noch die Brote und einen Apfel im Rucksack. Ich räusperte mich. „Möchtest du auch etwas zu essen?“

      Ich hörte, wie er die Luft einzog. Es dauerte allerdings eine Weile, bis er sich zu einer Antwort durchrang.

      „In meynen kühnsten Träumen hätt ich nicht gewaget daran zu denken. Was könnet ihr mir denn anbieten?“

      Ich zog die Brotdose heraus. „Hier, eine Scheibe Brot oder einen Apfel, was dir lieber ist.“

      „Vielleycht gar eyne Hälfte des Apfels?“

      „Du kannst auch den ganzen haben.“

      „Neyn, das bekäm mir nicht und so hättet ihr auch noch eyne Hälfte für euch.“

      Ich suchte den Apfel heraus und brach ihn in zwei Hälften. Die eine Hälfte legte ich in die Brotdose, auch wenn mir der Magen knurrte und die andere reichte ich ihm. Wieder hörte ich in der Dunkelheit, wie er den Apfel aß und das allein schien mir so sinnlich wie nichts sonst. Noch niemals hatte ich einen Menschen erlebt, der so genussvoll und gleichzeitig zaghaft einen Apfel aß. Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern, bis er ihn aufgegessen hatte.

      „Das wär eynes der kostbarsten Geschenke gewesen, die ich erhalten hätt. Ich danke euch.“ Er atmete entspannt ein und aus. „Ich wollt gleych eyn wenig den Raum auskundschaften.“

      „Wo kommst du eigentlich her? Gehörst du zu den Marktleuten?“

      „Ich sey hier in dieser Burg geboren worden.“

      Na bestens, dann kannte er sich ja aus. Wieso steckte er dann in einer Mauer? Ich verstand das nicht. Meine Frage nach den Marktleuten beachtete er nicht. „Wenn du die Burg hier seit deiner Kindheit kennst, dann müsstest du doch auch diesen geheimen Gang kennen?“

      „Ich bitt euch, seyd nicht böse Frouwelin, ich könnt mich an diesen Raum gar nicht erinnern.“ Er seufzte, als ärgerte er sich selber darüber.

      „Und wenn wir keinen Weg nach draußen finden?“

      „Dann kämpften wir uns durch die Mauer, so wie ihr es begonnen habet.“

      Das wollte ich gar nicht hören. Dazu hatte ich nicht die geringste Lust. „Es gibt doch zumindest die Falltür!“

      „Seyd ihr groß genug, um an die Decke zu reychen? Ich sey eyn großer Mann, doch so groß nicht.“ Er erhob sich. „Ich geh jetzt eynmal herum.“

      Ich beeilte mich ebenfalls aufzustehen und ihm hinterher zu gehen, eine Hand immer an der Wand. Er wirkte angestrengt, legte immer wieder Verschnaufpausen ein. Es schien mir wie eine Ewigkeit, bis wir zu unserem Ausgangspunkt, dem Loch in der Mauer, zurückkehrten. Unser Erkundungsgang blieb erfolglos. Auch er hatte keinen Ausweg oder eine Tür finden können. Wir blieben eingeschlossen und gefangen. Ich spürte durch die Dunkelheit wie erschöpft er durch den Weg geworden war. Er setzte sich wieder auf die Steine.

      „Seyd mir nicht böse, doch ich müsst eyne Rast eynlegen.“

      Ich setzte mich neben ihn. Er roch gut. Ich lachte kurz auf. Wie konnte ich in so einem Augenblick, in so einer Lage, wahrnehmen, dass er gut roch? Das war doch verrückt. Ich konnte den Geräuschen, die er verursachte, entnehmen, dass er in meine Richtung sah. Was konnte ich ihm sagen, weshalb ich gelacht hatte? Wohl kaum, dass er für meine Nase angenehm nach Mann, männlichem Schweiß und Holzfeuer roch! Allerdings, das musste ich mir eingestehen, vermischte sich sein Geruch auch mit muffigem Modergeruch. Er wartete auf eine Entgegnung. Ich räusperte mich. „Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich lachen musste. Ich glaube, ein bisschen um nicht zu weinen.“

      „Ich verstehe“, sagte er und verstand doch gar nichts. Wo kam diese Frau her? Warum sprach sie so seltsam? Und sie benahm sich nicht, wie er es von Frauen gewohnt war. Jedenfalls hatte sie ihn gerettet. Sie hatte ihn aus seinem Schlaf erlöst und ihm zu trinken und zu essen gegeben und sie saß neben ihm. Er verstand nichts mehr. Wie lange war er eingesperrt gewesen? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er versuchte sich das gehässig grinsende Gesicht der Dame von Feuerberg vorzustellen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Und er war sich nicht sicher, ob er einen Ausweg finden würde. Niemand würde ihn suchen, dafür hatte die Zauberin von Feuerberg gesorgt. Sie war eine mächtige Zauberin, das musste er ihr lassen, ihn unter den Augen seiner Familie in eine Wand einzumauern war eine Leistung! Wenn auch eine schreckliche! Allerdings, offensichtlich hatte sie einen Fehler gemacht, denn sonst hätte er nicht nach so kurzer Zeit wieder erweckt werden können. Wahrscheinlich hatte sie vergessen ihn zu umzubringen!? Oder wollte sie ihn nicht töten, sondern lebendig einmauern und langsam sterben lassen? Das schien wahrscheinlicher. Wie hatte ihn diese Frau finden und befreien können? Und seltsam, wenn er sie sich in der Dunkelheit vorstellte, hatte er ganz klar ein Gesicht vor sich. Als würde er sie kennen und doch wieder nicht. Er fragte sich, von was für einem Schlüssel sie gesprochen hatte, er musste sie noch einmal danach fragen. Handelte es sich womöglich um den Schlüsselstein?

      „Verehrtes Frouwelin, seyd mir nicht gram, doch ich legte mich gern, bevor ich versuchte eynen Ausweg zu finden, noch eyn wenig slafen.“ Denn obwohl er gerade erst erwacht war, spürte er doch große Müdigkeit.

      Jetzt wo er es sagte, spürte ich ebenfalls eine bleierne Müdigkeit. Ich hatte nichts gegen ein Schläfchen einzuwenden. „Mir geht es genauso.“

      „Ich nehme nicht an, dass ihr eyne Decke bey euch traget?“

      „Leider nicht.“ Mir war auch kalt. Ich wusste, wenn wir näher zusammenrücken würden, wäre uns wärmer. Traute er sich zu fragen? Wahrscheinlich musste ich es tun. Ich hoffte, er verstand dies nicht als Einladung zu anderen Dingen.

      „Wenn wir uns näher zusammenlegten, wäre uns wärmer.“

      „Da habet ihr Recht, ich hätt nicht gewaget euch dies anzubieten.“ Er räusperte sich. „Seyd versichert, dass ich euch nicht zu nahe treten wollt.“

      Ich langte in seine Richtung, um zu ertasten wie weit entfernt er saß. Wir rutschten beide weiter nach unten und lehnten uns befangen Seite an Seite an. Mir fiel auf, dass ich nicht mal seinen Namen wusste. Fragen wollte ich ihn aber jetzt auch nicht. Das Bild des „Ritters ohne Namen“ schoss mir ins Gedächtnis. Es war schon seltsam, hier gefangen in der Dunkelheit zu sitzen, nahe bei einem wildfremden Mann, sozusagen auf Tuchfühlung und nicht einmal zu wissen, wie er aussah. Ich schloss die Augen, die ich trotz der Dunkelheit immer geöffnet hatte, in einer unsinnigen Erwartung doch irgendwo einen Lichtstrahl zu entdecken. Schnell spürte ich die Müdigkeit stärker werden, und als ich seinen Atemzügen lauschte, bemerkte ich, dass er bereits eingeschlafen war und das wiederum schläferte mich ein.

      Die geheime Tür

      Als ich wieder erwachte, hörte ich seinen regelmäßigen Atemzügen zu. Er schien noch zu schlafen.

      „Habet ihr euch wohl ausgeruhet?“, fragte er leise.

      „Ich dachte, du schläfst noch.“

      „Ich sey schon vor eyner ganzen Weyle erwachet.“

      Ich spürte seinen Arm und seine