Die Seelen der Indianer. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086799
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Kiss. Seine Arme waren mit einem weißen Verband verbunden. »Was ist denn mit dir?«, fragte Lena.

      »Ich habe eine Sonnenallergie. Der Verband kühlt meine Arme. Ich liebe die Jahreszeit, doch für meinen Körper ist sie tödlich. Darüber bin ich auch sehr traurig. Der Mantel verdeckt meine Haut, der Kragen meinen Hals und der Hut mit der Krempe mein Gesicht.«

      »Oh, das tut mir sehr leid.« Sie ging zu Kevin, der nach ihrer Hand griff.

      »Ach, das ist schon in Ordnung. Ich habe es ja nicht erst seit gestern.« Er winkte ab. »Also, wie gefällt es dir?«

      »Also, mir gefällt die Kochinsel«, gestand Mama und fuhr mit dem Finger über die Arbeitspatte.

      »Mir gefällt es auch.« Genau genommen war ich überwältigt von der Gemütlichkeit des Hauses. Ich fühlte mich sofort heimisch und wollte so viel wie möglich über meine leibliche Familie erfahren.

      »Hier auf dem Kaminsims stehen Familienfotos, auch welche von deiner Mutter.« Ralph deutete zum Kamin.

      Meine Beine kribbelten, als wären sie eingeschlafen, und ich hatte Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

      »Hier ist sie.« Ralph gab mir einen Bilderrahm mit einem kleinen, leicht verzerrten Foto. Eine Frau mit dunklen Haaren, Augenringen und erschöpftem Lächeln. Auf dem Arm hielt sie ein kleines Bündel, in dem ein Baby lag und die Augen geschlossen hatte.

      »Weißt du, wer das ist?«

      »Mm, nein.«

      Hinter mir erschien Lukas. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. »Das bist bestimmt du, Jordan.« Er kaute Kaugummi und machte gerade eine Blase, um sie danach platzen zu lassen.

      »Vielen Dank auch.« Damit hatte er diesen magischen Moment gerade zerstört.

      »Das stimmt. Deine Mutter durfte dich nach der Geburt kurz auf den Arm nehmen, bevor dich deine Adoptiveltern bekamen.«

      »Wer hat das Foto gemacht?«

      »Das war ich.« Ralph räusperte sich.

      »Und warum hat sie mich abgegeben? Warum haben mich meine Großeltern nicht aufgenommen?«

      »Sue-Ann wollte nicht, dass ihre Eltern von der Schwangerschaft erfuhren. Sie kam eines Nachts zu mir, denn sie wusste, dass ich sie nicht zurückbringen würde.«

      »Wohin zurück?« Ich zog die Stirn kraus.

      »Puh.« Ralph kratzte sich am Nacken. »Es ist so, Sue-Ann war drogenabhängig. Mary-Ann und Brian hatten immer wieder versucht sie in eine Klinik zu stecken. Sie brauchte Hilfe, doch entließ sie sich immer wieder selbst. Sue-Ann brach den Kontakt ab.«

      »Oh, das ist sehr traurig.« Ich schluckte. So eine Geschichte hatte ich natürlich nicht erwartet. »Und was geschah dann?«

      »Hey, Jordan, wir sehen uns ein bisschen um«, hörte ich Stimmen hinter mir, die ich nur mit einem Nicken beantwortete.

      »Wollen wir uns kurz setzen?« Ralph deutete auf die Couch, die so weich war, dass sie mich fast verschluckte. Angela gesellte sich dazu.

      »Eines Nachts stand Sue-Ann im vierten Monat schwanger vor meiner Tür.« Ralph kratzte sich an der Nase. Er wirkte nervös, vielleicht musste er sich deshalb überall kratzen? »Na ja, sie brauchte meine Hilfe, also bat ich sie herein und stellte ihr mein Bett zur Verfügung.«

      Ich zog die Augenbrauen hoch.

      »Ich schlief natürlich auf der Couch«, sagte er abwehrend und hob die Hände.

      »Und meine Großeltern schöpften keinen Verdacht?«

      »Nein, überhaupt nicht. Es war fast schon unheimlich, denn ich bin kein guter Lügner«, sagte er. »Ich hatte gehofft, dass sie mich durchschauen würden und mich auf mein komisches Verhalten ansprechen würden.« Ralph setzte sich auf die andere Couch uns gegenüber und faltete die Hände ineinander. »Doch sie taten es nicht.«

      »Und warum hat sie mich denn weggegeben?« Ich strich mit meinem Finger über das Bild. Das Glas war glatt und kühl.

      »Du musst verstehen, dass Sue-Ann nichts hatte. Sie hatte kein Geld, keinen Wohnsitz. Sie schlief mal hier und mal dort. Wo es günstig den nächsten Schuss gab.« Ralph hielt inne und beobachtete mich. Ein Strudel von wirren Gefühlen wirbelte an mir vorbei. Ich stieß einen Seufzer aus, blinzelte, um mir die Tränen zu verkneifen, und versuchte gleichzeitig stark zu wirken. Doch meine Schale knackste, bröckelte und fiel langsam zu Boden. Eine Träne löste sich und rann mir die Wange hinab. Es konnte doch nicht stimmen? Warum nur habe ich mich dafür ausgesprochen, das Erbe anzunehmen? Ich wollte das alles nicht mehr, nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Am liebsten wäre ich hinausgelaufen und mit dem nächsten Flieger zurück nach Hause. Doch natürlich wusste ich, dass dieser Wunsch im Moment nicht mal annähernd möglich war.

      Als ich die Haustür aufgeschlossen hatte, öffnete ich das Tor zu meiner Vergangenheit und somit die verbundenen Verluste meiner leiblichen Familie. Das hätte ich alles vorher bedenken müssen und nun war es zu spät. Ich wischte mir die Träne weg. Meine Mutter legte mir eine Hand auf die Schulter und streichelte sie, sagte aber nichts. Vielleicht wusste sie nichts zu sagen, denn ich weinte hier schließlich um eine Frau, die ich gar nicht kannte, die mich aber geboren hatte.

      »Ich weiß, dass es schrecklich für dich sein muss, erst jetzt, da alle verstorben sind, etwas über deine leibliche Familie zu erfahren. Deine Mutter wollte nur das Beste für dich, deshalb hat sie dich weggegeben. Zuerst musstest du einen Entzug machen, bevor sie dich zu einer Familie vermitteln konnten.«

      Ich war drogenabhängig? Ich schluckte und dachte darüber nach. Natürlich, wenn meine Mutter abhängig war, war ich es bis zum Tag meiner Geburt auch. »Wie, wie war sie denn so?«

      »Bevor sie drogenabhängig wurde, war sie ein ganz normaler Mensch. Sie war beliebt, herzlich und liebte Bücher und Geschichten. Ein falscher Freundeskreis und sie kam aus dem Sumpf nicht mehr heraus.«

      »Sie mochte Bücher?«

      »Ja, unheimlich gerne. Deine Großmutter hatte das Zimmer von Sue-Ann so gelassen, wie sie es verlassen hatte. Jetzt gehört es dir, so dass du dir gerne gleich alles selbst ansehen darfst.«

      »Mm, wie lange kennst du meine Familie denn schon?« Ich reichte das Bild an meine Mama weiter.

      »Schon sehr lange.«

      »Mochtest du Sue-Ann?«

      »Ja, doch. Ich versuchte nach deiner Geburt noch Kontakt zu ihr zu halten, doch sie verschwand wieder. Zuletzt kam nur noch der Anruf von Brian, dass man Sue-Ann tot aufgefunden hatte.«

      »Also haben die Drogen sie getötet?«

      »Ja.« Ralph blickte mich nicht an. »Eine Überdosis.«

      »Oh Gott.« Mir blieb der Kloß im Hals stecken, obwohl ich mir schon gedacht hatte, dass sie an einer möglichen Überdosis gestorben war. Meine Mutter legte das Bild auf den Tisch und nahm mich in den Arm.

      »Meine Kleine, es tut mir alles so leid.« Dann küsste sie mich auf die Wange.

      »Ja, mir auch.« Vielleicht war die jetzige Situation besser für mich. Ich kannte niemanden von meiner leiblichen Familie. So konnte ich keine persönliche Bindung aufbauen und auch nicht so einen tiefen Schmerz empfinden wie Ralph, der sie all die Jahre gekannt hatte.

      »Wie geht es dir denn? Wie kommst du mit der Situation zurecht?« Ich schniefte.

      »Mir geht’ s gut. Ich war am Boden zerstört, denn sie waren wie eine Familie für mich. Schon damals, als Sue-Ann und später Mary-Ann von uns gingen, brach etwas in mir. Ich.« Ralph schluckte. »ich bereue es immer noch, dass ich ihnen nach Sue-Anns Tod nicht von dir erzählt habe. Deine Mutter hat dir sogar noch deinen Namen gegeben, das war eine ihrer Bedingungen.«

      »Und wie erfuhren sie dann von mir?«

      »Das Foto lag bei Sue-Anns persönlichen Sachen, die sie von der Polizei bekamen.«