Die Seelen der Indianer. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086799
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Tochter keine Schulden erbt«, sagte mein Vater und richtete sich gerade auf.

      »So wie ich es hier sehe, wird sie definitiv keine Schulden haben. Zwar ist das kleine Häuschen keine Villa, doch haben ihre Großeltern eine hohe Ersparnis, die jetzt auf Jordan übertragen wird.«

      Er drückte auf den roten Knopf der Sprechanlage und bat Vivien Kopien von den Formularen zu machen. »Am besten melde ich mich bei Ihnen, wenn ich Bescheid von der Agentur habe. Sicher wollen Sie dann auch nach Amerika und sich das Haus ansehen, oder?« Dr. Stein stand auf und suchte in einem Regal hinter sich ein Buch über Amerika heraus. »Ich bin wirklich beeindruckt, wie ein Kind aus Amerika nach Deutschland kam und hier adoptiert wurde.«

      »Wir wissen nicht viel über Jordans Vergangenheit«, sagte Angela. Sie rieb sich über die Nase.

      »Ich habe hier noch ein Buch über Amerika, vielleicht möchten Sie einen Blick hineinwerfen.« Er legte es vor mir auf den Schreibtisch. Es war so dick, dass ich Mühe hatte, die ersten Seiten aufzuschlagen. Im Register suchte ich nach Oklahoma und wurde schnell fündig. Das Haus lag in Midwest City, die vor zwei Jahren die achtgrößte Stadt in Oklahoma war.

      »Bevor Sie nach Amerika reisen, sollten Sie sich ein bisschen informieren, schließlich sind Sie gebürtige Amerikanerin und sollten etwas über das Land wissen.« Er schob seine Brille auf dem Nasenrücken zurecht. »Wenn Sie möchten, dürfen Sie sich das Buch ausleihen und bringen es mir zum nächsten Termin wieder mit.«

      »Wirklich?« Ich freute mich und mir fiel wieder ein, wie meine Mutter mich vor einigen Wochen wegen Erdkunde ermutigt hatte. Jetzt war mein Kampfgeist geweckt und ich wollte mich in dem Fach mehr anstrengen.

      »Was Sie natürlich bedenken sollten«, unterbrach Dr. Stein meine Gedanken. »Ein Haus muss man pflegen, man muss viel Geld hineinstecken. Strom, Wasser, Heizung, alles muss bezahlt werden. Das erfordert eine Menge Arbeit. Ich weiß nicht, ob Sie das von Deutschland aus schaffen.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Es sei denn, Sie verkaufen das Objekt.«

      Mein Herz setzte aus. Ich rutschte auf dem Sessel nach vorne und nahm einen Schluck Wasser. Verkaufen wollte ich auf keinen Fall. Es war das Letzte und Einzige, was ich von meiner leiblichen Familie hatte.

      »Ja.« Mama seufzte.

      »Falls Sie meinen letzten Vorschlag in Erwägung ziehen sollten, könnte ich Ihnen dabei helfen. Ich habe Kontakte in die Staaten.« Dr. Stein bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.

      »Ja, danke. Das ist sehr lieb von Ihnen.« Ich hielt das Buch fest umschlungen und blickte zur Tür, als Vivien meine Akte nahm, zum Kopierer im Flur ging und ein Blatt nach dem anderen vervielfältigte.

      Dabei summte sie eine Melodie vor sich hin, die wahrscheinlich nur ich hören konnte, denn niemand anderes sagte etwas.

      Der restliche Nachmittag war entspannt. Ich saß in meinem Zimmer und blätterte in dem ausgeliehenen Buch. Es machte mir plötzlich richtigen Spaß, die einzelnen Städte in Oklahoma zu suchen. Währenddessen fuhr ich meinen Laptop hoch und gab ins Suchfeld Midwest City ein. Der größte Arbeitgeber war United States Air Force. Wirklich interessant.

      Vielleicht hatte mein Großvater dort gearbeitet? Vielleicht gehörte er zu einer der Fliegertruppen, doch konnte er im Zweiten Weltkrieg nicht beteiligt gewesen sein, da war er ja erst sieben Jahre alt.

      Jetzt ging meine Fantasie aber mit mir durch. Ich schüttelte den Kopf und überhörte, dass meine Mutter mich zum Essen rief. Erst als es an der Tür klopfte und Lukas seinen Kopf ins Zimmer steckte, stand ich auf und folgte ihm in die Küche.

      »Heute gibt es Lasagne«, sagte Mama erfreut und stellte die Auflaufform auf den Tisch.

      Es war Freitag und Lena war zu Besuch. Diesmal saßen wir in der Küche, obwohl es hier noch enger war als in der Wohnstube.

      »Also, erst einmal muss ich sagen, ich bin froh, dass es doch sehr gut klappt mit unserer Besuchsregelung«, sagte unser Vater, nachdem Mama seinen Teller aufgefüllt hatte. »Und dann seid ihr sicher neugierig, wie es heute beim Anwalt war.«

      »Ich sterbe vor Neugierde«, sagte Lena und füllte sich ebenfalls auf.

      Kevin schmunzelte und küsste Lena auf die Wange.

      »Möchtest du erzählen, Jordan?« Mein Vater blickte mich an.

      »Gerne.« Ich zog den Stuhl an den Tisch heran. Danach hielt ich meiner Mutter den Teller zum Auffüllen hin. »Der Anwalt meinte, ich hätte nicht nur das Haus geerbt, sondern auch viel Geld. Ich sollte mir aber überlegen, ob ich das Haus nicht lieber verkaufen möchte, da es ja in Amerika steht.« Ich steckte eine Gabel mit Lasagne in den Mund. »Recht hat er ja, doch weiß ich nicht, ob ich das kann. Es ist wahrscheinlich das Einzige, was mir von meiner leiblichen Familie geblieben ist. Vielleicht könnte man es vermieten«, schlug ich vor.

      »Das ist unmöglich. Du musst vor Ort sein, um bei Gelegenheit Dinge zu reparieren oder Sachen zu klären.« Unser Vater trank einen Schluck Wasser.

      »Aber ich möchte dort so gerne mal hin.« Ich machte einen Schmollmund. »Was wäre, wenn wir in den Sommerferien alle nach Amerika fliegen? Wir könnten uns das Haus ansehen und vielleicht einige Sachen mit nach Deutschland nehmen. Vielleicht gibt es irgendetwas Wertvolles. Etwas, das besser als ein Haus ist.«

      »Wir alle?« Lena fiel die Kinnlade herunter.

      »Ja, der Anwalt meinte, ich hätte genug Geld, also warum nicht?«

      »Wann hast du denn Urlaub, Kevin?«, wollte unsere Mutter wissen.

      »Mittig der Ferien habe ich drei Wochen.« Kevin blickte zu Lena, die ihm zunickte.

      »Er hat die dritte, vierte und fünfte Woche Urlaub.«

      »Du hast die letzten drei Ferienwochen Urlaub, oder?« Unsere Eltern tauschten einen Blick

      »Ja. Wir wollten doch Last-Minute buchen.«

      »Na ja, sozusagen wäre das Last-Minute, Papa.« Ich schmunzelte. Es war Ende des Schuljahres. Die letzten Tests waren geschrieben und die Zeugniskonferenzen standen unmittelbar bevor.

      5

      Oklahoma, 2012

      Der Flug war die Hölle. Ich war zuvor noch nie bewusst geflogen und hatte panische Angst, in ein Flugzeug zu steigen.

      Meine Eltern waren schon etwas erschrocken über meinen Vorschlag, nach Amerika zu fliegen. Zum Glück hatte meine Mutter Reisetabletten dabei. Schon allein in das Flugzeug zu steigen, die engen Sitzbänke vor mir zu sehen und mich bis zum kleinen Fenster vorzuarbeiten, trieb mir die Schweißperlen auf die Stirn. Ich durfte am Fenster sitzen, was mir aber auch nicht viel half. Als das Flugzeug abhob, drückte ich mich in den Sitz, krallte mich an den Armlehnen fest und hoffte, dass ich nicht bis zum Mond fliegen würde. Neben mir saßen Lukas und mein Vater, während eine Reihe vor uns Kevin, Lena und meine Mutter Platz nahmen.

      Über den Wolken ließ ich die letzten Wochen noch einmal Revue passieren. Es war alles so surreal. Ich saß mit meiner Familie in einem Flugzeug und folgte den Spuren meiner leiblichen Familie in den Westen. Eigentlich total aufregend, wäre dort nicht die Unsicherheit vor dem, was kommen mochte.

      Als unser Entschluss, in die Staaten zu fliegen, feststand, rief ich meinen Anwalt an und erzählte ihm von meinem Vorhaben, was ihn nicht verwunderte, denn er hatte sich schon gedacht, dass die Neugierde siegen würde. Dr. Stein hatte mir sogar einen Flug herausgesucht, den mein Vater am selben Tag noch buchte. In der Zeit waren wir noch zweimal in der Kanzlei, um die wichtigen Formalitäten wegen des Erbes zu besprechen. Da ich noch nicht volljährig war, mussten meine Eltern natürlich alles als meine Erziehungsberechtigten unterschreiben.

      Langsam wirkten die Tabletten, die ich während des Fluges eingenommen hatte, und ich döste ein, bis ich in einen tiefen Schlaf fiel.

      Doch nach fast zwei Stunden stiegen wir aus und mussten uns in Paris auf dem Charles De Gaulle Flughafen für fast