Die Seelen der Indianer. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086799
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ganze Zeit mit dir herumgetragen hast, erzählt?«

      »Ja. Ich habe ihnen erzählt, dass ich wusste, dass Sue-Ann schwanger war, und ein kleines Mädchen namens Jordan zu Welt gebracht hatte. Ich erzählte ihnen ebenfalls, dass ich Sue-Ann versprochen hatte ihnen nichts zu erzählen. Natürlich waren deine Großeltern furchtbar wütend. Zu Recht.«

      »Haben sie dir vergeben?« Ralph tat mir sehr leid, schließlich hatte er niemanden mehr. Ich hingegen noch meine Adoptivfamilie, die ja mehr oder weniger meine richtige Familie war. Während ich auf eine Antwort von Ralph wartete, stand ich auf und ging zurück zum Kaminsims. Dort fand ich ein Foto von vier Personen im Vorgarten des Bungalows. Zwei Frauen und zwei Männer. Die jüngeren beiden waren mir bekannt und die Älteren mussten Mary-Ann und Brian sein.

      »Bist du das?« Ich drehte mich um und zeigte das Bild Ralph. »Ja, das hier bin ich, das sind Sue-Ann und deine Großeltern. Und ja, sie haben mir, nach einer eingehenden Beratung, vergeben.«

      »Wann entstand das Foto? Sie sehen so glücklich aus.«

      »Ja, das waren wir auch zu dem Zeitpunkt. Wir hatten Sue-Ann gerade von der Klinik abgeholt. Sie hatte ihren ersten Entzug hinter sich. Zu dem Zeitpunkt hatte sie sich so viel vorgenommen, so viel Gutes, verstehst du?«

      »Ja, es tut mir so leid. Ich hätte sie so gerne gekannt.« Ich gab Mama das Foto.

      »Ihr seid ja immer noch hier.« Mein Vater tauchte hinter der Couch auf. »Es gibt zwei Schlafzimmer, ein Bad und ein Nähzimmer. Und die Terrasse wird dir gefallen, Angela.«

      »Ja, Mary-Ann hat Blumen geliebt. Brian meinte, dass sie erst im Frühjahr richtig aufblühte. Deshalb hat er immer darauf geachtet, dass die Blumen perfekt waren.« Ralph stand auf und zog sich sein T-Shirt glatt.

      »Wir kommen gleich«, sagte meine Mama und legte ihre Hand kurz auf die ihres Mannes.

      »Wollen wir denn auch einmal in die Schlafräume gehen? Nachher kannst du mir gerne weitere Fragen stellen.« Ralph legte sich seinen Mantel über den Arm und führte uns an der Küche vorbei in einen schmalen Flur, von wo aus vier Türen den Weg in weitere Zimmer freigaben.

      »Möchtest du zuerst in Sue-Anns Zimmer?«, fragte er mich und ich folgte ihm zu einer der hinteren Türen. »Bitte, nach dir.«

      Dankend nickte ich und ging voraus. Es war klein und spartanisch eingerichtet. Ein Bett, ein Schrank und eine Couch mit einem kleinen Tisch. An den Wänden hingen Regale, die wirkten, als würden sie die Wand halten und nicht andersherum. Bücher über Bücher, chronologisch geordnet.

      »Wow.« Ich staunte nicht schlecht, Ralph hatte recht gehabt. »Das sind aber viele Bücher.«

      »Ja, das sagte ich doch bereits.« Er stellte sich mit verschränkten Armen neben die Tür. »Und das Beste ist, sie gehören alle dir.«

      Ich überlegte, wie ich die ganzen Bücher in meinem kleinen Zimmer unterbringen sollte, doch da fiel mir ein, dass ich es vielleicht gar nicht musste. Das Haus war so gemütlich, dass ich gleich hierbleiben könnte. Zumindest in meinem Traum, denn die Realität sah anders aus.

      »Möchtest du erst einmal die anderen Zimmer sehen, bevor du dir die Bücher genauer ansiehst?«

      »Ja, doch, gerne.« Ich folgte Ralph erneut. Im Schlafzimmer meiner Großeltern war es warm. Ein alter Ohrensessel stand in einer Ecke, ein Quilt war ordentlich über das Bett gelegt worden. Ein großer Kleiderschrank stand an der Wand hinter der Tür. Hier war es auch klein, aber gemütlich. Sowieso waren die Zimmer hinten im Haus allesamt kleiner, dafür der Wohnraum ebenso größer.

      Weiter ging es ins Badezimmer mit einem riesigen Spiegel, der über zwei Waschbecken hing, einer Toilette, einem Bidet, einer kleinen Dusche und einer Eckbadewanne mit seniorengerechtem Einstieg.

      »Das Badezimmer hatten sie ein Jahr vor Mary-Anns Tod umbauen lassen und keine Kosten gescheut. Brian war ein sparsamer Mensch, doch lebten die beiden so bescheiden, dass sie sich endlich mal ein wenig Luxus im Bad gönnten. Ich habe ihnen dabei geholfen.«

      »Das sieht wirklich schön aus.« Ich bestaunte die schönen braunen Fliesen, die als Akzente an den Armaturen befestigt waren. Dazu ergaben die weißlichen mit Rautenmuster eine schöne Nuance.

      »Das gefällt mir auch«, sagte Mama, die hinter mir ins Bad kam.

      »Das freut mich. Wir haben wirklich lange gesucht, bis wir etwas Passendes gefunden haben, das beiden gefiel. Leider hatte Mary-Ann ja nicht lange etwas davon«, fügte er hinzu.

      »Ja, woran ist sie gestorben?«

      »Die Ärzte sagen, es war Herzversagen.« Er kratzte sich an der Nase. »Aber ich bin mir sicher, dass sie am gebrochenen Herzen gestorben ist. Sie hat ihre Tochter so sehr vermisst, dass ihr nicht mal Brian helfen konnte.« Er verstummte.

      Irgendwie hatte ich bei Ralph ein komisches Gefühl im Bauch. Wie konnte ein Anwalt, auch wenn er ein guter Freund war, so viel über die Jamesons wissen?

      Ralph hatte uns von seiner Beziehung berichtet, doch ein Puzzleteil passte noch nicht ins Bild. Vielleicht war ich im Moment auch nah am Wasser gebaut und so wurde jeder Satz und jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.

      »Wie hast du meine Familie kennengelernt?«

      »Es war kurz vorm College. Ich wurde erst später ihr Anwalt. Erst war ich nur der Zeitungsjunge, der täglich die Zeitung gebracht und ihnen einen schönen Tag gewünscht hatte. Man kam ins Gespräch, sie luden mich ein, backten mir zum Geburtstag einen Kuchen. All solche Dinge, dabei erfuhren sie, dass meine Eltern schon früh gestorben waren, und nahmen mich herzlich in ihrer Familie auf. Meistens kam ich morgens und ging abends wieder nach Hause.«

      »Weißt du denn, wer mein leiblicher Vater ist?« Die Frage beschäftigte mich schon, seit ich das Haus betreten hatte.

      »Nein, wie gesagt, Sue-Ann kam schon schwanger zu mir. Von dem Erzeuger hatte sie nie ein Wort erwähnt. Ist das denn wichtig?«

      Ich runzelte die Stirn. »Natürlich.« Dass Ralph so reagierte, hatte ich nicht von ihm erwartet. Irgendwas musste er mir doch verschweigen. »Oder bist du mein Vater?«, platzte es aus mir heraus.

      »Jordan, was soll das?« Mama kam auf mich zu.

      »Was denn? Ralph hatte mir doch gesagt, dass ich ihn alles fragen darf. Und es ist mir wichtig, dass ich alles erfahre, was er weiß.« Ich gestikulierte wild mit meinen Armen.

      »Bitte, Jordan. Sei mir nicht böse. Ich weiß es wirklich nicht. Es muss irgendein Mann sein, der mit Sue auf der Straße gelebt hatte.« Er zuckte mit den Schultern. Ich nahm ihm die Antwort trotzdem nicht ab. »Wollen wir nicht ins Nähzimmer gehen?«

      »Können wir machen.« Ich zog einen Schmollmund und trottete hinter ihm her. Ich war mir so sicher, dass er mehr wusste, als er mir erzählte.

      »Deine Großmutter hat wunderschöne Sachen gemacht. Den Quilt im Schlafzimmer zum Beispiel.«

      »Schade, dass ich sie nicht kannte. Vielleicht hätte sie mir auch etwas genäht.«

      »Sicher, davon gehe ich aus. Du, Jordan.« Er nestelte an seinem Mantel, der immer noch über seinem Unterarm hing, herum. »Es tut mir wirklich leid. Ich hätte gedacht, dass ich dir alle Fragen beantworten kann, doch dem ist wohl nicht so.«

      »Stimmt.« Ich blickte in den Handarbeitsraum. Dort befand sich ein großer Schreibtisch, der damals wohl als Nähtisch fungiert hatte, denn die Nähmaschine stand jetzt auf einer der Kommoden. »Eine Frage habe ich noch. Wie alt bist du?«

      »Ich bin 55 Jahre.« Ralph fuhr sich durchs Haar. »Hab mich gut gehalten, oder?«

      »Ja, könnte sein.« Ich runzelte die Stirn.

      Das Verhältnis zwischen uns kühlte sich rapide ab und Ralph wurde langsam ungeduldig.

      »Ich zeige euch noch den Garten. Er ist wunderschön.«

      Eine große Terrasse mit zwei Liegestühlen, die eingeklappt unter einer großen Plane in der Ecke standen,