Die Seelen der Indianer. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086799
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und Kevin knutschten unter dem Apfelbaum und Lukas stand mit unserem Vater im Schatten und begrüßte uns. »Da seid ihr ja endlich.«

      »Ja, tut mir leid. Es hat etwas gedauert.«

      »Jordan hatte viele Fragen, was sehr verständlich ist.« Ralph zog seinen Mantel an und trat in die Sonne. »Leider konnte ich ihr nicht alle Fragen beantworten. Wer zum Beispiel ihr leiblicher Vater ist.«

      »Ist das denn wichtig für dich, Jordan? Sei doch froh, dass du überhaupt irgendetwas von deiner leiblichen Familie erfahren hast und dass es so gute Dinge sind.« Papa kam auf uns zu.

      »Gut? Meine leibliche Mutter ist tot, meinen Vater kennt keiner und meine Großeltern sind auch verstorben. Ich hätte sie gerne mal kennengelernt.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

      »Sicher, aber du hast doch uns.« Mein Vater kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. »Alles andere schaffen wir auch noch.«

      Ich schloss die Augen, als ich in seinen Armen lag.

      »Andere Kinder haben niemanden, wissen nicht, woher sie kommen. Du weißt es jetzt.« Er nahm mein Kinn, so dass ich ihm in die Augen blickte. »Und sei nicht so, denk an deine Mutter«, flüsterte er mir zu und deutete zu Mama. Was musste ihr wohl die ganze Zeit im Kopf herumgeistern? Ob sie Angst davor hatte, mich zu verlieren? Es ist doch wichtig, was ich jetzt habe, und nicht, was ich hätte haben können. Vergangenheit ist nun mal vergangen. Von Bedeutung ist nur, was mir die Zukunft bringt.

      Ich ging zu meiner Mutter und nahm sie ebenfalls in den Arm. »Wollen wir einen Tee trinken? Wir können doch schauen, was Brian noch so auf Vorrat hat.« Ich trabte voran in die Küche und suchte in den Schränken nach Tee. Schnell wurde ich fündig und stellte fest, dass er noch nicht abgelaufen war. Hier in Amerika musste ich etwas umdenken, denn die Amerikaner schrieben das Datum anders als wir in Deutschland. 8/3/2012 bedeutet 3. August 2012.

      Der Kessel war in einem Schrank unter der Kochinsel und pfiff schnell, nachdem ich den Herd angeschaltet hatte.

      Zucker gab es reichlich und das Teeservice in einem der alten Schränke wurde von Lena, die fertig geknutscht hatte, aufgedeckt.

      Alle nahmen an dem runden Esszimmertisch Platz und schenkten sich Tee ein. Dazu reichte ich den Zucker und die Teelöffel.

      »Erst einmal sollten wir Ralph danken«, sagte unser Vater. »Danke für die freundliche Aufnahme hier in Oklahoma und für die nette Betreuung.«

      »Ja, danke«, murmelte ich und nippte an meinem Tee. Was sollte ich sonst sagen? Ich fühlte mich immer noch unbehaglich und hatte immer noch dieses komische Gefühl gegenüber Ralph.

      »Gern geschehen. Wie ich schon sagte, war mir das ein großes Anliegen. Mary-Ann und Brian konnten ihre Enkelin nicht kennenlernen, aber dafür lernt Jordan einen Teil von ihnen kennen. Auch wenn sie schon verstorben sind«, fügte er noch schnell hinzu.

      »Ja, das denke ich auch.« Unsere Mutter rührte ihren Tee um.

      »Verkauft ihr das Haus jetzt?«, fragte Lena, die sich über die gesamte Besichtigung ruhig verhalten hatte.

      »Verkaufen?« Ralph verschluckte sich fast an seinem Tee, so dass Lukas ihm kräftig auf den Rücken schlug. »Entschuldigt.« Ralph nahm eine Serviette und wischte sich den Mund trocken. »Ihr wolltet das Haus verkaufen?«

      »Nun ja, wir wohnen in Deutschland. Das ist nicht gerade um die Ecke, so dass wir hierherziehen könnten.« Meine Eltern tauschten einen Blick.

      »Aber das könnt ihr nicht machen. Die ganzen Sachen, die Dinge hier.«

      »Ich weiß, dass dir die Sachen viel bedeuten. Wir werden uns da sicher einig.« Ich biss mir auf die Unterlippe. Dieser Satz kam mir schwer über die Lippen, denn ich wollte, dass er aus dem Haus verschwand.

      »Weißt du, dass ich nach dir gesucht habe, weil ich mir sicher war, dass du das Haus deiner Großeltern behalten würdest?«, sagte Ralph. Er hatte seine Hände fest um die Teetasse gelegt, so dass die Handknöchel weiß hervortraten.

      Wie konnte ich ihm erklären, dass mir die Sachen nicht so viel bedeuteten wie ihm? Ich kannte diese Familie, mit denen ich blutsverwandt war, doch überhaupt nicht. Und nun sollte ich mich an Dingen erfreuen, die ich noch niemals zuvor zu Gesicht bekommen hatte? Es war alles so merkwürdig. Ich erlebte gerade eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich trauerte um die Menschen, die ich nicht kennenlernen konnte, doch war ich mit keiner ihrer Habseligkeiten verbunden. Bei Ralph war es anders. Er kannte sie, ich verstand ihn, doch musste ich das tun, was für mich und meine Familie am besten war. »Ich kann dich verstehen.« Hilfesuchend blickte ich zu meiner Mutter.

      »Ich denke wir sollten erst einmal ankommen, dann können wir immer noch darüber sprechen. Jetzt trinken wir erst mal unseren Tee.«

      »Das ist gut.« Ralph schenkte sich nach.

      »Du, Ralph, gibt es hier irgendwo noch ein paar Fotos? Ich würde mir gerne noch welche ansehen«, fragte ich. Ralph sprang auf und ging hinüber zu der Kommode. Eigenartig, er bewegte sich hier, als würde ihm das Haus gehören, als hätte er hier gewohnt. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn.

      »Hier, ich wusste doch, dass Brian einige Alben versteckt hat.« Ralph legte mir ein Fotoalbum auf den Tisch. »Musst du mal hineinschauen. Ich weiß nicht, aus welchem Jahr die stammen.« Ralph setzte sich, bis sein Handy läutete. Er suchte in seinem Mantel, den er nach der Führung zurück an die Garderobe gehängt hatte, und entschuldigte sich mit einem Nicken in die hinteren Räume.

      Ich öffnete das Album und mir fiel ein großer Umschlag entgegen, auf dem mein Name stand.

      »Was ist das denn?«, fragte ich und sah mich nach Ralph um. Schnell reichte ich ihn meiner Mama, die ihn in ihre große Tasche steckte.

      Ralph kam zurück. »Es tut mir leid. Ich muss leider los.« Er leerte seine Teetasse und zog seinen Mantel an. Dann blieb er an der Tür stehen. »Ich muss gehen«, wiederholte er nochmal.

      Was erwartete er von uns? War das jetzt eine Aufforderung, das Haus zu verlassen?

      »Ja, dann wünschen wir dir noch einen schönen Tag. Warte, ich bringe dich zur Tür.« Unser Vater stand auf, tauschte einen Blick mit seiner Frau und ging hinüber zu Ralph.

      »Ja, danke.« Ralphs Stimme brach. Er wurde nervös und kratzte sich wieder an der Stirn. »Dann also bis morgen.« Er setzte seinen Hut auf und ging hinaus. Papa schloss die Tür.

      »So, endlich!«

      »Danke, irgendwie ist er unheimlich geworden.« Ich strich mir mit den Händen über die Oberarme.

      »Ja, deswegen telefoniere ich gleich nochmal mit Dr. Stein und frage, was er von Ralph hält, und als Zweites lassen wir noch heute jemanden kommen, der uns die Schlösser hier im Haus austauscht. Garage, Haustür und die Terrassentür.« Papa suchte in seinem Portemonnaie nach der Visitenkarte von Dr. Stein.

      »Bevor du anrufst, schau mal auf die Uhr. Wir sollten erst morgen früh bei ihm anrufen. In Deutschland ist es bestimmt schon nach acht. Ich habe den Zeitunterschied nicht im Kopf«, sagte ich und blickte auf die Uhr.

      »Ja, gute Idee.«

      Es läutete an der Tür.

      Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter.

      »Oh, hoffentlich ist das nicht Ralph«, sagte Lena und blickte Kevin an, der die Hand über ihre Schulter gelegt hatte. Lukas sprang auf und ging hinüber.

      »Sei nett, Lukas«, mahnte unser Vater, der ebenfalls zur Tür ging.

      »Hallo«, sagte eine ältere Dame mit Lockenwicklern in den Haaren. »Ich bin Dolores Grimes, aber nenne mich Dolores. Ich war eine gute Freundin von Mary-Ann und wohne direkt gegenüber. Ich habe gesehen, dass ihr vorhin mit Mr. Norris ins Haus gegangen, aber nicht wieder mit ihm herausgekommen seid.« Sie blickte über ihre Schulter. »Da habe ich mir Sorgen gemacht.«

      »Das ist aber nett, dass du nach uns siehst.« Thomas öffnete die Tür etwas weiter, so