Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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Männer wie Hendrik Höfgen gewähren konnten, war das ihrer erregenden Gegenwart, ihrer bezaubernden Nähe …

      Ähnliches empfand die kleine Siebert. Aber dieses anmutsvolle und zarte Geschöpf hatte, was Hendrik betraf, noch gründlicher resigniert als die alternde Herzfeld. Die kleine Siebert litt, aber sie haßte nicht. Der Gattin Höfgens, Barbara, begegnete sie mit einem scheuen Respekt. Wenn die Beneidete ein Taschentuch fallen ließ, bückte Angelika sich geschwind, um es aufzuheben. Dann bedankte Barbara sich nicht ohne Erstaunen, während die kleine Siebert rot wurde, hilflos lächelte und die kurzsichtigen Augen ängstlich zusammenkniff.

      Wenn Barbaras Beziehung zu Frau von Herzfeld und Angelika, den beiden hoffnungslos Liebenden, kompliziert und belastet war, so gestaltete sich um so herzlicher ihr Verhältnis zu den anderen Damen des Ensembles. Mit der Motz pflegte sie ausführlich über Lebensmittelpreise, Schneiderinnen und die Fehler der Männer im allgemeinen und des Charakterspielers Petersen im besonderen zu plaudern. Barbara verstand es so vortrefflich, den Ergüssen der biederen und temperamentvollen Frau zu lauschen, daß die Motz zur Überzeugung kam – welcher sie gerne und laut Ausdruck verlieh – die junge Frau Höfgen sei »eine famose Person«. Dieser Ansicht schloß die Mohrenwitz sich an: Barbara, die sich nicht einmal schminkte, erhob keinen Anspruch darauf, dämonisch zu sein, und konnte also für sie, die verworfene Rahel, niemals eine Konkurrenz bedeuten.

      Sowohl Petersen als auch Rolf Bonetti nannten Hendriks junge Gattin einen »feinen Kerl«; Vater Hansemann hatte ein brummiges Wohlwollen für sie, weil sie ihre Konsumationen pünktlich bezahlte; Bühnenportier Knurr begrüßte sie militärisch, da er wußte, daß sie die Tochter eines Geheimrats war; die Direktoren Schmitz und Kroge unterhielten sich gerne mit ihr. Schmitz begnügte sich zunächst mit onkelhaft-koketten Scherzen, bekam aber bald heraus, daß er bei ihr ein sachliches und kluges Interesse für die finanziellen Sorgen des Theaters finden konnte, und zog sie nun in lange Gespräche über dieses immer aktuelle, immer besorgniserregende Thema. Oskar H. Kroge seinerseits entdeckte ihr seinen Kummer über das fragwürdige Repertoire des Künstlertheaters. Der alte Vorkämpfer einer geistigen Bühne mußte es gramvoll mit ansehen, daß in seinem Hause Schwänke und Operetten das ernste Stück zu verdrängen begannen. An so bedauerlicher Entwicklung hatte die Schuld nicht nur Schmitz, welcher die Stücke nach der »Kasse« beurteilen mußte, die sie voraussichtlich machen würden; für diese Senkung des literarischen Niveaus verantwortlich war auch Höfgen – so paradox es erschien. Er sprach vom Revolutionären Theater – und inszenierte alberne Konversationsstücke. Das Revolutionäre Theater – welches nicht eröffnet wurde – mußte als Begründung herhalten für die Annahme der Reißer. Kroge, trotz seiner prinzipiellen Bedenken gegen den Kommunismus, war nun schon soweit, sich die Eröffnung des geplanten Studios, welches nicht nur revolutionären, sondern auch literarischen Geist in sein Theater bringen sollte, dringlich zu wünschen. Hendrik aber behauptete mit schöner Beredsamkeit, es sei absolut notwendig, daß er sich durch die leichteren und gefälligen Darbietungen beim Publikum und bei der Presse zum Liebling mache, ehe er sich mit dem Revolutionären Theater hervorwagen könne. Vielleicht glaubte Otto Ulrichs – ebenso geduldig wie enthusiastisch – diesen Argumenten seines guten Freundes. Skeptischer und nervöser war Barbara.

      Sie unterhielt sich gerne mit Ulrichs; die Unbedingtheit und Einfachheit seiner Gesinnung imponierten ihr. Sie selbst blieb zu Zweifeln geneigt; übrigens pflegte sie zu erklären, daß sie von Politik nichts verstehe – was ihr von Hendrik höhnisch bestätigt wurde. »Du hast keine Ahnung von dem wirklichen Ernst dieser Dinge«, sagte er ihr und machte sein tyrannisches Gouvernantengesicht. »An alles gehst du spielerisch und mit kühler Neugier heran. Der revolutionäre Glaube ist für dich ein interessantes psychologisches Phänomen. Für uns aber ist er heiligster Lebensinhalt.« So sprach Hendrik. Otto Ulrichs, der die Hälfte seiner Zeit und seines Einkommens der politischen Arbeit opferte, schien viel weniger streng. Sein Ton Barbara gegenüber war etwas väterlich belehrend, aber voll Sympathie. »Sie werden den Weg zu uns finden, Barbara – das weiß ich«, sagte er, freundlich und zuversichtlich. »Sie wissen ja heute schon, daß bei uns die Wahrheit ist und die Zukunft. Sie haben nur noch ein bißchen Angst, es zuzugeben und alle Konsequenzen zu ziehen.«

      »Vielleicht habe ich wirklich nur ein bißchen Angst«, lächelte Barbara.

      Indessen konnte sie sich nicht genug wundern über die geduldige Gutmütigkeit, mit der Ulrichs in der Angelegenheit »Revolutionäres Theater« sich von Höfgen hinhalten ließ. Sie ihrerseits drängte – wozu sie übrigens auch noch ihren privaten, egoistischen kleinen Grund hatte: denn sie wollte die Dekorationen für die erste Inszenierung des revolutionären Zyklus entwerfen. »Meine Angelegenheit ist es ja nicht«, sagte sie beinah täglich zu Hendrik, »und nicht ich bin es, für die der Glaube an die Weltrevolution den Lebensinhalt bedeutet. Aber ich schäme mich für dich, Hendrik. Wenn du nicht bald Ernst machst in dieser Sache, wirst du lächerlich.« Daraufhin bekam Hendrik eine fahle, zugeriegelte Miene. Nun schielten seine Augen nicht vor Koketterie, sondern vor Ärger. Er antwortete mit ungeheurem Hochmut: »Das sind dilettantische Redensarten. Deine Ahnungslosigkeit in den Fragen revolutionärer Taktik ist komplett.«

      Seine revolutionäre Taktik bestand darin, daß er täglich neue Ausflüchte ersann, um mit den Proben für das Revolutionäre Theater nicht beginnen zu müssen. Damit aber doch irgendeine Tat im Interesse der Weltrevolution geschähe, entschloß er sich plötzlich dazu, einen Vortrag über »Das Zeittheater und seine moralischen Pflichten« zu halten. Kroge, der für dieses Thema eine immer neue Begeisterung aufbrachte, stellte Höfgen für einen Sonntagvormittag das Künstlertheater zur Verfügung. Hendriks Vortrag war teils aus dem Vokabular seines enthusiastischen Direktors, teils aus dem Wortschatz Otto Ulrichs’ recht wirkungsvoll zusammengestellt: eine pathetische und unverbindliche Ansprache, in der sowohl die liberal gesinnten als auch die marxistisch-revolutionären jungen Leute im Parkett viele ihrer Lieblingsschlagworte wiederfanden. Am Schluß klatschten alle Beifall, und beinah alle waren überzeugt von Hendriks redlichem künstlerisch-politischen Willen – der ihm am nächsten Morgen von den Zeitungskritikern ausführlich bestätigt wurde.

      Auf solche Bestätigung hatte Hendrik Höfgen gewartet. »Nun ist die Situation reif, wir können handeln«, konstatierte er und tauschte Verschwörerblicke mit Ulrichs. Die erste Probe für das Revolutionäre Theater wurde festgesetzt. Freilich war es nicht jenes radikale Stück, welches man im vorigen Jahr ausgesucht hatte, das nun einstudiert werden sollte. Vielmehr hatte sich Hendrik, im letzten Augenblick und aus taktischen Gründen, für eine Kriegstragödie entschlossen, deren drei düstere Akte das Elend des Winters 1917 in einer deutschen Großstadt schilderten und einen allgemein pazifistischen, aber keineswegs deutlich sozialistischen Charakter hatten. Barbara entwarf die Dekorationen: ein finsteres Hinterzimmer, eine graue Gasse, in der die Frauen um Brot anstanden. Otto Ulrichs und Hedda von Herzfeld sollten die Hauptrollen spielen.

      Höfgen, der Regisseur, entwickelte großen Elan auf der ersten Probe. Als er mit verhaltenem, schlichtem Pathos die große Anklagerede deklamierte, die Frau von Herzfeld zum Schluß des dritten Aufzuges in ihrer Rolle als tragische Mutter zu halten hatte, mußte Otto Ulrichs sich verstohlen die Augen wischen, und selbst Barbara war beeindruckt. – Auf der zweiten Probe aber litt Hendrik an einer nervösen Heiserkeit; zur dritten erschien er hinkend – sein rechtes Knie sei plötzlich steif geworden, klagte er, er könne es gar nicht mehr biegen. Auf der vierten schließlich zeigte er ein so fahles und böses Gesicht, daß alle sich vor ihm fürchteten – nicht ganz grundlos, wie sich herausstellen sollte, denn er befand sich in entsetzlicher Laune, nannte Frau von Herzfeld eine »dumme Gans« und drohte der Souffleuse Efeu mit fristloser Entlassung. »Sie sabotieren unsere Arbeit«, schrie er sie an. »Meinen Sie vielleicht, ich wüßte nicht, warum. Vermutlich haben die Parteifreunde des Herrn Miklas Ihnen den Auftrag dazu gegeben! Aber wir werden euch das Handwerk legen – Ihnen, Ihrem Herrn Miklas, dem sauberen Herrn Knurr und der ganzen verfluchten Bande – das lassen Sie sich gesagt sein!« Es nutzte der Efeu nichts, bitterlich zu weinen und immer wieder ihre Unschuld zu beschwören.

      Nach dieser Probe – die allen, welche an ihr teilgenommen hatten, in sehr häßlicher Erinnerung blieb – legte sich Höfgen zu Bett und bekam Gelbsucht. Vierzehn Tage lang betrat er nicht das Theater. Ulrichs, Bonetti und Hans Miklas durften sich in seine großen Rollen teilen. Nach seiner Genesung erschien er immer