Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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ihrer Bekanntschaft gezeigt – oder vorgespielt – hatte, jemals echt gewesen war. ›Ich bin betrogen worden‹, dachte jetzt Barbara oft. ›Ich habe mich von einem Komödianten betrügen lassen. Es schien ihm nützlich für seine Karriere, mich zu heiraten, und außerdem brauchte er wohl irgendeinen Menschen an seiner Seite. Aber er hat mich niemals geliebt. Wahrscheinlich kann er überhaupt nicht lieben …‹

      Stolz, Wohlerzogenheit und Mitleid hinderten sie daran, ihre Gekränktheit auszusprechen, ihre Enttäuschung zu zeigen. Aber Hendrik war empfindlich genug, um zu spüren, was sie ihm, mehr aus Hochmut denn aus Güte, verbarg. Ihrer Klugheit entging, daß er litt.

      Qualvoll litt er unter dem Versagen seines Gefühls vor Barbara, wie unter dem Versagen seiner Physis, das sich auf blamable und groteske Art des öfteren wiederholt hatte. Er stöhnte über seine Niederlage; denn der Aufschwung seines Gefühls, die Entflammtheit seines Herzens waren echt gewesen – oder doch beinah echt, echt bis zu dem äußersten ihm erreichbaren Grade. ›Stärker und reiner als in jenen Frühsommertagen nach der »Knorke«-Premiere werde ich niemals empfinden‹, dachte Hendrik. ›Versage ich diesmal, dann bin ich dazu verurteilt, immer zu versagen. Dann würde es feststehen, daß ich, mein Leben lang, zu Mädchen wie Juliette gehöre …‹

      Da aber Selbstanklage – und sei sie noch so ehrlich und bitter – fast bei allen Menschen, von einem gewissen Augenblick an, sich in Selbstrechtfertigung verwandelt, ging er bald dazu über, in seinem Innern die Argumente zu sammeln, die er gegen Barbara verwenden und mit denen er sich selbst entlasten konnte. Wenn er es recht bedachte: War es nicht Barbara, die versagte, und an deren arroganter Kühle der Elan seines Gefühls ermatten mußte? Tat sich Barbara nicht gar zuviel zugute auf ihre feine Herkunft wie auf ihren feinen Intellekt? Lagen nicht Spott, Hochmut und ein kalter Dünkel in den forschenden Blicken, die sie jetzt so oft auf ihn richtete? – Hendrik begann, diese Augen zu fürchten, die ihm, bis vor kurzem, als die schönsten erschienen waren. Noch in der gleichgültigsten und nebensächlichsten Bemerkung, die Barbara ihm gegenüber fallen ließ, vermuteten seine Gereiztheit, sein gekränkter Stolz einen Unter- und Nebensinn, der herabsetzend für ihn war. Barbaras kleine Gewohnheiten und die stille Gelassenheit, mit der sie ihnen treu blieb, enervierten und beleidigten ihn in einem Grade, dessen Unvernünftigkeit er sich in Momenten eines ruhigeren Nachdenkens selbst zugeben mußte.

      Barbara ritt vor dem ersten Frühstück, und wenn sie, gegen neun Uhr, im Speisezimmer erschien, brachte sie von draußen den Duft und Atem eines frischen Morgens mit. Hendrik aber saß, das Gesicht in beide Hände gestützt, müde und mißmutig in seinem Hausgewand, das immer zerschlissener wurde, und sah fahl aus. Um diese Stunde konnte er sich noch zu keinem aasigen Lächeln, zu keinem verführerischen Schillern der Augäpfel zwingen. Hendrik gähnte.

      »Du scheinst mir noch halb zu schlafen!« sagte Barbara wohlgelaunt und goß den Inhalt eines weichen Eis ins Weinglas; denn auf diese Manier pflegte sie ihre Eier zum Frühstück zu essen: aus dem Glase und gewürzt mit viel Salz und Pfeffer, scharfer englischer Sauce, Tomatensaft und ein wenig Öl.

      Hendrik versetzte pikiert: »Ich bin ziemlich wach und habe sogar schon gearbeitet – zum Beispiel mit dem Kolonialwarenhändler telefoniert, der ungeduldig wegen unserer großen Rechnung wird. Entschuldige, daß ich nicht frühmorgens schon den Anblick einer festlichen Frische biete. Wenn ich jeden Tag spazierenreiten würde wie du, sähe ich wahrscheinlich reizvoller aus. Aber ich fürchte, zu so eleganten Gewohnheiten wirst sogar du mich nicht mehr erziehen können. Ich bin zu alt, um mich noch zu ändern, und ich komme aus Kreisen, in denen so nobler Sport nicht üblich ist.«

      Barbara, die sich die gute Laune nicht verderben lassen wollte, zog es vor, seine Rede wie etwas humoristisch Gemeintes aufzufassen. »Ausgezeichnet triffst du diesen Ton«, lachte sie. »Man könnte beinahe glauben, es wäre dir ernst mit ihm.« Hendrik schwieg zornig; um einen repräsentativeren Eindruck zu machen, klemmte er sich das Monokel vors Auge.

      Übrigens kränkte Barbara ihn gleich wieder, sicherlich ohne es beabsichtigt zu haben. Während sie mit gutem Appetit ihr gewürztes Ei aus dem Glase löffelte, sagte sie: »Du solltest es auch mal versuchen, dein Ei auf diese Weise zu essen. Ich finde, einfach so aus der Schale und ohne das scharfe Zeug schmeckt es langweilig …« Nach einer Pause fragte Hendrik, mit einer vor Gereiztheit bebenden Höflichkeit: »Darf ich dich auf etwas aufmerksam machen, meine Liebe?« Sie erwiderte kauend: »Aber gewiß doch.«

      Hendrik trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, reckte das Kinn in die Höhe und kniff die Lippen zusammen, was seiner Miene den gouvernantenhaften Zug gab. »Deine naive und anspruchsvolle Art«, sprach er langsam, »dich zu verwundern oder zu mokieren, wenn irgend jemand irgend etwas anders macht, als es im Hause deines Vaters oder deiner Großmama üblich ist, könnte manchen, der dich weniger genau kennt als ich, erstaunen oder sogar abstoßen.«

      Barbaras Augen, die eben noch von einer frohen Helligkeit gewesen waren, wurden nachdenklich und bekamen den forschenden Blick. Nach einem kurzen Schweigen erkundigte sie sich leise: »Wie kommst du darauf, das gerade jetzt zu bemerken?«

      Er erwiderte, wobei er immer noch auf strenge Art mit den Fingern trommelte: »Es ist allgemein üblich, ein weiches Ei aus der Schale und mit Salz zu essen. In der Villa Bruckner speist man es aus dem Glase und mit sechs verschiedenen Gewürzen. Das ist sicher sehr originell. Aber ich sehe keinen Grund, sich über jemanden lustig zu machen, der an solche Originalitäten nicht gewöhnt ist.«

      Barbara schwieg, schüttelte verwundert den Kopf und stand auf. Er schaute ihr nach, wie sie sich, mit ihrem schlendernd nachlässigen, etwas schiebenden Gang, langsam durchs Zimmer bewegte. Plötzlich mußte er denken: ›Es ist sonderbar – nun hat sie die hohen Stiefel an, die mir so gut gefallen, aber an ihren Beinen wirken sie nicht so, wie ich es mir wünsche und wie ich es brauche. Bei ihr sind die Stiefel der korrekte Teil eines sportlichen Kostüms. Bei Juliette bedeuten sie etwas anderes …‹

      In Barbaras Gegenwart den Namen Juliette zu denken, bereitete ihm einen bösartigen Triumph, der ihn für manche Kränkung entschädigte. ›Reite du nur spazieren‹, dachte er höhnisch. ›Mache du dir nur einen Cocktail aus dem weichen Ei! Du weißt doch nicht, wen ich heute nachmittag vor der Probe treffe.‹ Während Barbara, stolz und schweigend, das Zimmer verließ, empfand er die ordinäre Genugtuung des Ehemanns, der seine Frau betrügt und stolz darauf ist, daß sie ihm nicht dahinterkommt.

      Schon in der zweiten Woche nach seiner Rückkehr hatte Hendrik die Schwarze Venus wiedergetroffen. Sie hatte ihm aufgelauert, als er abends ins Theater ging. Mit welchem Schauer der Wollust und des Entsetzens war er zusammengefahren, als aus dem Dunkel eines Torbogens ihre heisere und vertraute Stimme ihn anrief: »Heinz!« Dieser Name, dessen er sich schämte und den er abgelegt hatte – ausgesprochen von der dumpfen Stimme der Negerin, tat er ihm wohl, wie eine grausame Liebkosung. Trotzdem hatte er sich dazu gezwungen, die Schwarze anzufahren: »Was erlaubst du dir?! Du lauerst mir auf!« Da hatte sie ihm höhnisch abgewinkt mit ihrer schönen, kraftvollen, sehnigen Hand: »Laß nur, mein Süßer! Wenn du nicht artig bist, gehe ich ins Theater und mache Krach.« Es nützte ihm nichts, daß er zischte: »Du willst mich also erpressen!« Sie grinste: »Aber gewiß doch!« – wobei sie Zähne und Augäpfel blitzen ließ. Ihr breites Lachen war von einer Gemeinheit, die ihm fürchterlich und dabei unwiderstehlich schien. Er drängte Juliette in den Hausgang, denn er zitterte davor, es könnte jemand vorbeikommen und ihn in so schlimmer Gesellschaft bemerken. Wirklich sah Prinzessin Tebab arg verkommen aus. Der kleine Filzhut, den sie tief in die Stirn gezogen trug, und das abgetragene, enge Jackett hatten dieselbe grellgrüne Farbe wie die hohen, glänzenden Stiefel. Um den Hals trug sie eine kleine Boa aus schmutzigen, zerzausten weißen Federn. Über diesem traurigen Putz stand breit und dunkel das Gesicht mit den aufgeworfenen, rissigen Lippen und der platten Nase. »Wieviel Geld willst du?« fragte er sie hastig. »Ich bin selber im Augenblick ziemlich knapp …« Sie antwortete, beinahe schelmisch: »Mit Geld ist es nicht getan, mein Zuckeräffchen. Du mußt mich besuchen.«

      »Was fällt dir ein?« murmelte er mit bebenden Lippen. »Ich bin verheiratet …«

      Aber sie unterbrach ihn streng: »Rede kein Blech, mein Schaf. Die Frau Gemahlin kann dir das nicht bieten, was du nun einmal brauchst. Ich habe sie mir doch angeschaut – deine Barbara.«