Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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ganze Zeug muß nochmal gesetzt werden! Ist doch unerhört! Mein Name ist schon wieder falsch geschrieben! Kann ich denn nicht einmal hier im Hause durchsetzen, daß man mir meinen richtigen Namen gibt? Ich heiße nicht Henrik!« Dabei warf er zornig das Papier zu Boden. »Ich heiße Hendrik – merkt es euch doch endlich: Hendrik Höfgen!«

      Der junge Mann aus dem Büro duckte den Kopf und murmelte etwas über einen neuen Setzer, dessen Ahnungslosigkeit den unverzeihlichen Fehler verschuldet habe. Von den Girls kam ein leises Kichern, das silbrig klang, als bewegte man vorsichtig mehrere Glöckchen. Hendrik reckte sich und brachte das zarte Läuten mit einem fürchterlichen Blick zum Verstummen.

      6

      »Es ist doch nicht zu schildern …«

      Hendrik Höfgen litt, wenn er im H.K. die Berliner Zeitungen las; sein Herz zog sich zusammen und schmerzte vor Neid und Eifersucht. Triumphaler Erfolg der Martin! Neuinszenierung des »Hamlet« am Staatstheater, sensationelle literarische Premiere am Schiffbauerdamm … Und er saß in der Provinz! Die Hauptstadt kam ohne ihn aus! Die Filmgesellschaften, die großen Theater – sie bedurften nicht seiner. Ihn rief man nicht. Seinen Namen kannte man nicht in Berlin. Wurde er einmal erwähnt, von dem Hamburger Korrespondenten eines Berliner Blattes, dann war er gewiß falsch geschrieben: »In der Rolle des unheimlichen Intriganten fiel ein Herr Henrik Höpfgen auf …« Ein Herr Henrik Höpfgen! Ihm sank die Stirn nach vorn. Die Sucht nach dem Ruhm – dem großen, eigentlichen Ruhm, dem Ruhm in der Kapitale – nagte an ihm wie ein physischer Schmerz. Hendrik griff sich an die Wange, als hätte er Zahnweh.

      »Erster zu sein in Hamburg – das ist schon was Rechtes!« beklagte er sich bei Frau von Herzfeld, die sich nach dem Grund seines üblen Aussehens teilnahmsvoll erkundigt hatte und nun versuchte, ihn zu beruhigen mittels kluger Schmeicheleien. »Liebling eines provinziellen Publikums zu sein – ich bedanke mich schön. Lieber fange ich in Berlin noch mal von vorne an, als daß ich diesen kleinstädtischen Betrieb hier länger mitmache.«

      Frau von Herzfeld erschrak. »Sie wollen doch nicht wirklich weg von hier, Hendrik?« Dabei öffnete sie klagend die goldbraunen, sanften Augen, und über die große Fläche ihres weichen, flaumig gepuderten Gesichtes lief ein Zucken.

      »Es ist alles ganz unentschieden.« Hendrik blickte streng an Frau von Herzfeld vorbei und rückte enerviert die Schulter. »Zunächst gastiere ich einmal in Wien.« Er sagte es nachlässig, als erwähnte er eine Tatsache, welche Hedda längst bekannt sein mußte. Indessen hatte sie – so wenig wie irgend jemand sonst im Theater: so wenig wie Kroge, Ulrichs oder selbst Barbara – eine Ahnung davon gehabt, daß Hendrik in Wien gastieren wollte.

      »Der Professor hat mich aufgefordert«, sagte er und putzte sein Monokel mit dem Seidentuch. »Eine ganz nette Rolle. Eigentlich wollte ich ablehnen, wegen der schlechten Saison: wer ist schon in Wien, jetzt im Juni? Aber schließlich habe ich mich doch entschlossen, anzunehmen. Man weiß ja nie, was für Folgen so ein Gastspiel beim Professor haben kann … Übrigens wird die Martin meine Partnerin sein«, bemerkte er noch, während er sich das Monokel wieder vors Auge klemmte.

      »Der Professor« war jener Regisseur und Theaterleiter von legendärem Ruhm und ungeheurem internationalen Ansehen, der mehrere Theater in Berlin und Wien beherrschte. Wirklich hatte sein Sekretariat dem Schauspieler Höfgen eine mittlere Rolle in der Altwiener Posse angeboten, die der Professor während der Sommermonate mit Dora Martin in einem seiner Wiener Häuser spielen lassen wollte. Jedoch war diese Einladung keineswegs von selbst und ungefähr zustande gekommen; vielmehr hatte Höfgen einen Protektor gefunden, und zwar in der Person des Dramatikers Theophil Marder. Dieser war zwar mit dem Professor, wie mit aller Welt, bitterböse; der berühmte Regisseur aber bewahrte dem Satiriker, dessen Stücke er früher mit erheblichem Erfolg herausgebracht hatte, ein Wohlwollen, in dem Ironie und Respekt sich vermischten. Es geschah zuweilen, daß Marder den Theaterdirektionen in gereiztem und drohendem Ton eine junge Dame anpries, für die er sich interessierte; beinah nie aber kam es vor, daß er sich für einen Mann verwendete. Deshalb blieben die empfehlenden Worte, die er für Höfgen fand, nicht ohne Eindruck auf den Professor, wenngleich sie auch Beleidigungen gegen ihn selber enthielten. »Vom Theater verstehen Sie beinah ebensowenig wie von der Literatur«, schrieb Theophil dem Allmächtigen. »Ich prophezeie Ihnen, daß Sie als der Direktor eines Flohzirkus in Argentinien enden werden – denken Sie an mich, Herr Doktor, wenn es soweit ist. Das märchenhafte Glück indessen, welches ich mit meinem mir total hörigen jungen Weibe zu durchleben im Begriff bin, stimmt mich milde, sogar Ihnen gegenüber, der Sie meine genialen Stücke seit Jahren aus Niedertracht und Dummheit boykottieren. Sie wissen, daß in diesen erbärmlichen Läuften nur mir der untrügliche Blick für die echte künstlerische Qualität geblieben ist. Meine Großmut ist gesonnen, das kümmerliche Ensemble Ihrer – wie es sich gehört – schlecht gehenden Vergnügungsetablissements um eine Persönlichkeit zu bereichern, der ein originelles Gepräge nicht abzusprechen ist. Der Schauspieler Hendrik Höfgen machte sich in Hamburg verdient um meine klassische Komödie ›Knorke‹. Ohne Frage ist Herr Höfgen mehr wert als all Ihre übrigen Komödianten – wozu freilich wenig gehört.«

      Der Professor lachte; wurde dann, einige Minuten lang, nachdenklich; spielte mit der Zunge in seinen Backen; klingelte schließlich und befahl seiner Sekretärin, sich mit Höfgen in Verbindung zu setzen. »Man kann es ja mal versuchen«, sagte der Professor langsam und knarrend.

      Niemandem, auch Barbara nicht, gestand Hendrik, daß er des Professors ehrenvolles Angebot Theophil zu verdanken habe; niemand wußte, daß er mit dem Gatten Nicolettas in Beziehung stand. Hendrik behandelte die Angelegenheit seines Wiener Gastspiels – das er doch mit so viel Energie und List arrangiert und vorbereitet hatte – mit einer blasierten Nachlässigkeit. »Ich muß geschwind mal nach Wien reisen, beim Professor gastieren«, erklärte er nebenbei; lächelte aasig und bestellte sich beim besten Schneider einen Sommeranzug: Da er schon so viele Schulden hatte – bei Frau Konsul Mönkeberg, bei Väterchen Hansemann, beim Kolonialwaren- und beim Weinhändler – kam es auf vierhundert Mark mehr oder weniger nicht mehr an.

      Hendrik hinterließ, bei seiner plötzlichen Abreise, manche bestürzten Gesichter in der guten Stadt Hamburg, wo sein Charme ihm so viele Herzen erobert hatte. Vielleicht bestürzter noch als die Damen Siebert und Herzfeld war der Direktor Schmitz: denn Höfgen hatte sich, unter allerlei koketten Ausflüchten, geweigert, seinen Vertrag mit dem Künstlertheater um die nächste Spielzeit zu verlängern. Schmitzens rosiges Gesicht wurde gelblich und zeigte plötzlich dicke Säcke unter den Augen, da Hendrik, so grausam wie gefallsüchtig, hartnäckig wiederholte: »Ich kann mich nicht binden, Väterchen Schmitz … Es ist mir ekelhaft, mich zu binden, meine Nerven vertragen es nicht … Vielleicht komme ich wieder, vielleicht auch nicht … Ich weiß es doch selber nicht. Väterchen Schmitz … Ich muß frei sein, verstehen Sie es doch bitte

      Hendrik reiste nach Wien; Barbara fuhr inzwischen zu ihrem Vater und zur Generalin aufs Gut. Höfgen hatte es verstanden, aus dem Abschied von seiner jungen Frau eine schöne, wirkungsvolle Szene zu machen. »Wir werden uns im Herbst wiedersehen, mein Liebling«, sprach er und stand in einer Haltung, die zugleich Stolz und Demut ausdrückte, gesenkten Hauptes vor Barbara. »Wir werden uns wiedersehen, und dann bin ich vielleicht schon ein anderer als heute. Ich muß mich durchsetzen, ich muß … Und du weißt ja, mein Liebling, für wen ich ehrgeizig bin; du weißt es ja, vor wem ich mich bewähren möchte …« Seine Stimme, die sowohl sieghafte als auch klagende Töne hatte, verklang. Hendrik neigte sein ergriffenes, fahles Gesicht über Barbaras bräunliche Hand.

      War diese Szene nur Komödie gewesen, oder hatte sie auch Echtes enthalten? Barbara sann darüber nach: auf den Spazierritten am Morgen, und nachmittags im Garten, wenn ihr das schwere Buch auf die Knie sank. Wo begann bei diesem Menschen das Falsche, und wo hörte es auf? So grübelte Barbara, und sie sprach darüber mit ihrem Vater, mit der Generalin, mit ihrem klugen und ergebenen Freund Sebastian. »Ich glaube ihn zu kennen«, sagte Sebastian. »Er lügt immer, und er lügt nie. Seine Falschheit ist seine Echtheit – es klingt kompliziert, aber es ist völlig einfach. Er glaubt alles, und er glaubt nichts. Er ist ein Schauspieler. Aber du bist noch nicht fertig mit ihm. Er beschäftigt dich noch. Noch immer bist du neugierig auf ihn. Du mußt noch bei ihm bleiben, Barbara.«