Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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wieder und ward zur Siegesgewißheit, sowie er sich distanzieren, in ein grelleres Licht treten und dort schimmern durfte. Wahrhaft geborgen fand er sich nur auf einem erhöhten Platz, gegenüber einer Menge, die nur existierte, um ihm zu huldigen, ihn zu bewundern, ihm Beifall zu spenden.

      Eines Tages stellte sich heraus, daß an eben dem See, dessen Schönheiten Nicoletta so eifrig empfohlen hatte, Theophil Marder ein Sommerhaus besaß; Barbara wurde sehr schweigsam und bekam schwarze Augen vor Nachdenklichkeit, als sie es erfuhr. Zunächst weigerte sie sich, den Satiriker zu besuchen; schließlich aber ließ sie sich von Nicoletta zu der Exkursion überreden. Man fuhr auf dem weißen, goldverzierten Dampfer, den man nun schon so oft vom Landungssteg aus beobachtet hatte, quer über den See. Das Wetter war schön; ein leichter und frischer Wind bewegte das Wasser, das so blau war wie der leuchtende Himmel. Je munterer Nicoletta wurde, desto stiller zeigte sich Barbara, ihre Freundin.

      Theophil Marder erwartete seine Gäste am Ufer. Er trug einen großkarierten Sportanzug mit weiten, faltigen Knickerbockers und dazu einen weißen Tropenhelm, was wunderlich wirkte. Beim Sprechen nahm er eine kurze englische Pfeife nicht aus dem Mund. Als Nicoletta ihn fragte, seit wann er Pfeife rauchte, sagte er und lächelte geistesabwesend: »Der neue Mensch hat neue Angewohnheiten. Ich verwandle mich. Ich erschrecke jeden Morgen über mich selbst. Denn wenn ich aufwache, bin ich nicht mehr derselbe, als der ich am Abend eingeschlafen bin. Mein Geist hat über Nacht gewaltig zugenommen an Größe und Stärke. Immer kommen mir nun im Schlaf die ungeheuerlichsten Erkenntnisse. Deshalb schlafe ich auch so viel: mindestens vierzehn Stunden jeden Tag.« Diesem Bericht – der kaum geeignet war, die Beunruhigung, welche der Tropenhelm erweckte, zu beseitigen – folgte ein herzlich meckerndes Lachen. Dann benahm Theophil sich wieder gesittet. Gegenüber Hendrik und Nicoletta befleißigte er sich der gewähltesten Liebenswürdigkeit, während er Barbara zu übersehen schien.

      Nach dem Essen, das man in einem mit naturfarbenem Holz getäfelten, großen, hellen und eleganten Speisezimmer eingenommen hatte, legte Theophil seinen Arm um Höfgens Schultern und führte ihn abseits. »Na, unter uns Männern«, sagte der Dramatiker, schaute flackernd und bewegte unter dem Schnurrbart schmatzend die bläulichen Lippen. »Sind Sie zufrieden mit Ihrem Experiment?«

      »Mit welchem Experiment?« wollte Hendrik wissen. Daraufhin lachte Theophil schallend und bewegte dann noch heftiger den gierigen Mund. »Nun – was denn wohl? Ihre Heirat meine ich natürlich!« flüsterte er rauh. »Sie sind ja ’ne dolle Type, sich auf so was einzulassen! Mit dieser Geheimratstochter wird man nicht leicht fertig. Ich habe es doch versucht!« gestand er und bekam böse Augen. »An der werden Sie nicht viel Spaß erleben, mein Lieber. Die ist eine lahme Ente – glauben Sie mir, dem kompetentesten Fachmann des Jahrhunderts: eine lahme Ente ist sie.«

      Hendrik war so bestürzt über diese Redewendung, daß er das Monokel aus dem Auge fallen ließ. Marder inzwischen stieß ihn lustig vor den Bauch. »Nichts für ungut!« rief er, plötzlich glänzend gelaunt. »Vielleicht schaffen Sie es – kann man nie wissen – sind ja ’ne dolle Type!«

      Während des ganzen Nachmittags beklagte er den totalen Mangel an Disziplin, der die Epoche so traurig charakterisiere. Dabei ward er nicht müde, auf höchst intensive Art die gleichen Feststellungen und Ausrufe unzählige Male zu wiederholen. Immer wieder versicherte er: »Nirgends Persönlichkeiten! Es gibt nur mich! Mit welcher Sorgfalt ich auch Umschau halte – immer wieder finde ich nur mich!« Hastig verglich er sich mit einigen großen Männern der Vergangenheit, und zwar sowohl mit Hölderlin als auch mit Alexander dem Großen; lobte dann gereizt die »gute alte Zeit«, in der er selber jung gewesen, und kam in diesem Zusammenhang auch auf den Geheimrat Bruckner zu sprechen. »Ist ja kolossal langweilig, der alte Herr«, redete Theophil. »Aber doch noch solide, gute alte Schule – kein Scharlatan. Ohne Frage relativ achtenswerter Geselle. Was nachkommt, ist übler. Heutige Zeit bringt nur noch Kretins oder Kriminelle hervor.« Dann führte er die drei jungen Leute – Nicoletta, Barbara und Hendrik – vor seine Bibliothek, die mehrere tausend Bände zählte, und forderte sie auf, sie sollten zunächst mal was lernen. »Wißt ja alle nichts!« brüllte er sie überraschend an. »Allgemeine Unbildung und Verblödung schreien ja zum Himmel! Total verlotterte Generation. Europäische Katastrophe deshalb unvermeidlich und von höherem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt!«

      Als er aber dazu übergehen wollte, Hendrik in unregelmäßigen griechischen Verben zu prüfen, fand Barbara es an der Zeit, aufzubrechen.

      Auf der Nachhausefahrt, im Dampfer, erklärte Nicoletta, ganz ähnlich wie Theophil Marder müsse ihr Vater, der Abenteurer, gewesen sein. »Ich besitze ja kein Bild von Papa«, sagte sie, und schaute sinnend über das Wasser, auf dem es kein Sonnenlicht mehr gab, sondern das perlmuttergrau und unbewegt im sinkenden Abend lag. »Kein Bild – nur die Opiumpfeife. Aber er muß mit Theophil viel gemeinsam gehabt haben. Ich spüre es. Daher bin ich Marder so tief verwandt.«

      Nach einer kleinen Pause ließ sich Barbara hören: »Sicher war dein Vater viel, viel netter als Marder. Marder ist ja überhaupt nicht nett.« Nicoletta schaute tückisch und belustigt aus den grünen Katzenaugen und kicherte leise in sich hinein.

      Nicoletta machte nun fast jeden Tag die Dampferfahrt zum gegenüberliegenden Ufer, wo sich Marders Villa befand. Sie brach gegen Mittag auf, um meistens erst spät in der Nacht zurückzukehren. Barbara wurde immer stiller und nachdenklicher, besonders während der kurzen Stunden, da Nicoletta noch in ihrer Nähe war.

      Übrigens war Nicolettas unvernünftig-eigensinniger Flirt mit Theophil nicht der einzige Umstand, der Barbara versonnen stimmte. Wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag – und sie lag allein – lauschte sie in ihr Inneres, um zu erfahren, ob Hendriks wunderliches und ein wenig blamables Verhalten – das man wohl auch ein Versagen nennen konnte – sie erleichterte oder enttäuschte. Ja, es erleichterte sie, und es enttäuschte sie doch auch …

      Die Zimmer Barbaras und Hendriks hatten eine Verbindungstür. Zu später Stunde pflegte Höfgen noch bei seiner Gattin einzutreten, dekorativ gehüllt in seinen schadhaft-prunkvollen Schlafrock. Den Kopf im Nacken, über dem schillernd-schielenden Blick halb die Lider gesenkt, eilte er durchs Zimmer und versicherte Barbara mit singender Stimme, wie froh und dankbar er sei, und daß sie stets das Zentrum seines Lebens bleiben werde. Er umarmte sie auch, aber nur flüchtig, und während er sie in den Armen hielt, ward er bleich. Er litt, er bebte, ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Scham und Zorn füllten ihm die Augen mit Tränen.

      Auf dieses Fiasko war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte geglaubt, Barbara zu lieben – ja, er liebte sie wirklich. Hatte ihn die Freundschaft mit Prinzessin Tebab so verdorben? Ach, er konnte sich an Barbaras schönen Beinen keine grünen Schaftstiefel vorstellen … Die kläglichen und erfolglosen Umarmungen wurden ihm zur Qual. Er meinte, in Barbaras Augen, die doch nur eine stille, etwas verwunderte Frage enthielten, Hohn und Vorwurf zu lesen. Um über die grauenvolle Situation hinwegzukommen, schwatzte er, was ihm gerade einfiel; er wurde munter, von einem nervösen Lachen geschüttelt rannte er auf und ab.

      »Hast du auch so scheußliche kleine Erinnerungen wie ich?« fragte er Barbara, die regungslos im Bett lag und ihn beobachtete. »Weißt du: Erinnerungen von der Art, daß einem ganz heiß und kalt wird, wenn man an sie denkt – und man muß oft an sie denken …« Er blieb, an Barbaras Bett gelehnt, stehen; mit fiebriger Hast – ein ungesund helles Rot auf den Wangen und immer wieder von Lachen geschüttelt – begann er zu erzählen.

      »Ich muß elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich im Knabenchor unseres Gymnasiums mitsingen durfte. Mir machte das eine ungeheure Freude, und ich bildete mir wohl auch ein, hübscher als alle anderen singen zu können. – Nun kommt die teuflische kleine Erinnerung – paß auf, sie wird gar nicht arg klingen, wenn ich sie jetzt berichte. – Unser Knabenchor sollte, anläßlich irgendeiner Hochzeit, bei der kirchlichen Feier mitwirken. Das war eine große Sache, und wir waren alle ziemlich aufgeregt. Mich aber ritt der Teufel, ich wollte mich ganz besonders hervortun. Als unser Chor mit seinem frommen Lied einsetzte, hatte ich den abscheulichen Einfall, eine Oktave höher als alle anderen zu singen. Ich tat mir so viel zugute auf meinen Sopran, und ich dachte wohl, es würde einen reizenden Effekt machen, wenn mein schriller Ton durch das Gewölbe hallte. Ich stand ganz stolzgebläht und sang gellend – da sah mich der Musiklehrer,