Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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du denn, wie infernalisch das ist? So ganz trocken, ganz leise sagte er zu mir: ›Sei doch still!‹ Und ich war mir doch noch gerade vorgekommen wie ein jubilierender Erzengel …« Hendrik verstummte. Nach einer langen Pause sagte er: »Solche Erinnerungen sind wie kleine Höllen, in die wir zuweilen steigen müssen …« Mit einem mißtrauischen Gesichtsausdruck fragte er: »Du hast wohl keine Erinnerungen von dieser Art, Barbara?«

      Nein, Barbara hatte solche Erinnerungen nicht. Hierüber wurde Hendrik plötzlich gereizt, beinah zornig. »Das ist es eben!« rief er gehässig, und in seinen Augen gab es ein böses Leuchten. »Das ist es eben: du hast dich in deinem Leben nie richtig schämen müssen … Mir ist das oft widerfahren, damals war es nur ein erstes Mal. Ich muß mich häufig so entsetzlich stark schämen – mich so in die Hölle hinunter schämen … Verstehst du denn, was ich meine, Barbara? Kannst du mich denn verstehen?«

      5

      Der Ehemann

      Ende August reiste das junge Ehepaar Höfgen mit Nicoletta von Niebuhr nach Hamburg. In der Villa der Frau Konsul Mönkeberg hatte Hendrik das ganze Parterre, bestehend aus drei Räumen, einer kleinen Küche und einem Badezimmer, gemietet. Die Einrichtung der großen und behaglichen Stuben wurde ergänzt durch einige Neuanschaffungen, für deren ziemlich erhebliche Kosten Geheimrat Bruckner aufkommen mußte.

      Nicoletta zog es vor, im Hotel zu wohnen. »Die spießbürgerliche Luft im Hause dieser Dame Mönkeberg kann ich nicht aushalten«, erklärte sie stolz und nervös. Barbara meinte versöhnlich, daß Frau Konsul doch auf ihre Art eine sehr brave und dekorative Person sei. »Jedenfalls vertrage ich mich glänzend mit ihr«, stellte sie fest. Frau Mönkeberg hatte ihr zum Einzug zwei junge Kätzchen geschenkt, eine schwarze und eine weiße, und erwies ihr überhaupt jede nur erdenkliche Artigkeit. »Ich bin froh, mein Kind, Sie in meinem Hause zu haben«, versicherte die alte Dame ihrer neuen Mieterin. »Wir gehören doch zu denselben Kreisen.« Frau Konsul, deren Vater Universitätsprofessor gewesen war, hatte in ihrer Jugend den Dr. Bruckner als Privatdozenten in Heidelberg gekannt. Sie lud Barbara zum Tee ins obere Stockwerk ein, zeigte ihr Familienphotographien und stellte sie ihren Freundinnen vor.

      Nicoletta spottete grimmig darüber, daß Barbara solche Einladungen akzeptierte. Sie ihrerseits empfing in ihrem Hotelzimmer Variétéakrobaten, Eintänzer und Kokotten – Hendrik zitterte bei dem Gedanken, in diesen originellen Kreis könnte durch einen unseligen, aber keineswegs unwahrscheinlichen Zufall Juliette, genannt »Prinzessin Tebab«, geraten. Mit wieviel Vergnügen würde Fräulein von Niebuhr die Schwarze Venus bei sich empfangen haben! Denn sie tat sich viel zugute auf ihren Snobismus der Exzentrizität und der Verworfenheit. »Die Leute, die mein Vater für wert hielt, seine Freunde zu heißen, werden auch für mich nicht zu schlecht sein«, pflegte sie erhobenen Hauptes jedem, der es hören wollte, zu versichern.

      Übrigens war nicht zu leugnen, daß Nicoletta um diese Zeit blendend in Form war. Alles an ihr schien gespannt; alles blitzte, verführte, knisterte wie geladen mit Elektrizität. Siegesgewisser denn je trug sie das kühne Jünglingshaupt mit der gewölbten Stirne, der großen, gebogenen Nase und den grellen Lippen, zwischen denen die Zähne funkelten. Die meisten männlichen Mitglieder des Künstlertheater-Ensembles waren nun schon ungeheuer verliebt in sie; die Motz hatte schelten und schluchzen müssen, weil Petersen wieder einmal unbeherrscht und draufgängerisch gewesen war: er hatte es sich nicht nehmen lassen, Nicoletta zu einem schrecklich teuren Abendessen ins Hotel Atlantic einzuladen. – Anlaß zur bittersten Verstimmung erhielt auch die Mohrenwitz, die sich daran gewöhnt hatte, dem schönen Bonetti als Ersatz für die spröde kleine Angelika zu dienen, und die ihre dämonischen Reize ausgestochen sehen mußte durch den schärferen, echteren und stärkeren Charme dieser Nicoletta. Was nützte es der strebsamen Rahel, daß sie sich die Lippen schwärzlich-violett schminkte, von ihren Augenbrauen überhaupt nichts mehr stehenließ und lange Virginiazigarren rauchte, obwohl ihr von ihnen übel wurde? Nicoletta ließ die Katzenaugen strahlen und zwang mittels hypnotischer Kräfte allen die Meinung auf, daß sie herrliche Beine habe – ähnlich jenen suggestiven indischen Märchenerzählern, die ihr verzaubertes Publikum dahin bringen, dort, wo nur blaue Luft ist, Palmen wachsen und Affen springen zu sehen.

      Obwohl Oskar H. Kroge Fräulein von Niebuhr im Grunde nicht leiden konnte, hatte er ihr – auf dringenden Rat seines Freundes Schmitz, der behauptete, daß die Leute »so etwas« sehen wollten – die Hauptrolle in der ersten Herbstnovität anvertraut: Nicoletta spielte in einem französischen Reißer die tragische Demimondaine, die am Schluß des dritten Aktes von einem ihrer Geliebten auf offener Szene ermordet wird. Den jungen Mörder hatte Bonetti darzustellen, dessen vor lauter Blasiertheit und Eitelkeit angewidertes, sehr hochmütiges Mienenspiel vorzüglich zu dieser Rolle paßte; der Zuhälter, der das Aussehen eines großen Herrn hat, im Grunde aber ein gemeiner Geselle ist, war Höfgen; während Frau von Herzfeld, die das Stück übersetzt und bearbeitet hatte, die Regie führte. »Sie werden in diesem Machwerk einen noch größeren Erfolg haben als in ›Knorke‹«, prophezeite sie Nicoletta, der gegenüber sie ein mütterliches Interesse an den Tag legte, seitdem ihre Eifersucht, Hendrik betreffend, sich auf eine andere Person hatte konzentrieren müssen. »Dieser Ansicht bin ich in der Tat auch«, versetzte scharf und kühl Nicoletta. »Eine Leistung, wie ich sie morgen abend hinlegen werde, dürfte man in Hamburg kaum je gesehen haben.«

      »Unberufen, toi toi toi – aber mir scheint, wir werden das Stück mindestens dreißigmal hintereinander geben können«, schmunzelte Schmitz, wobei er mehrfach abergläubisch auf Holz klopfte.

      Der Vorhang war gefallen, der Beifall tobte durchs Haus. Die Niebuhr wurde immer wieder gerufen: ihre Todesszene hätten die Leute am liebsten gleich wiederholen lassen. Wirklich waren Nicolettas Schreie und Gesten im höchsten Grade erschütternd gewesen, als Rolf Bonetti den Revolver gegen sie hob. Der Schuß kracht, die tragische Kurtisane stürzt, verrenkt die Glieder, heult auf, hält sterbend eine ausführliche Rede, in welcher sie dem eifersüchtigen Liebhaber im besonderen und den Männern im allgemeinen die bittersten und wirkungsvollsten Vorwürfe macht, betet, noch einmal heult, stirbt.

      Die Kritiken am nächsten Tage waren ein Chorus der Begeisterung. Alle Zeitungen schienen sich darin einig, daß Nicolettas Leistung von ungewöhnlichem Rang sei. »Nicoletta von Niebuhr am Beginn einer großen Laufbahn«, stand als Überschrift auf der ersten Seite der Mittagszeitung, die am meisten gelesen wurde. In diesem Sinne wurde auch an die Berliner Blätter depeschiert. Vor der Kasse des Künstlertheaters standen die Menschen schon am Vormittag Schlange, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen war. Die nächsten fünf Vorstellungen des effektvollen Dirnendramas waren ausverkauft.

      Nicoletta aber hatte am Mittag nach der Premiere von Theophil Marder folgendes Telegramm bekommen: »Verlange von dir, daß sofort zu mir kommst stop verbiete daß dich länger als Schauspielerin prostituierst stop männliches Ehrgefühl in mir protestiert gegen deine Erniedrigung stop disziplinierte Frau hat bedingungslos total genialem Mann zu gehören, der sie zu sich hinaufziehen will stop erwarte dich morgen am Bahnhof stop falls in entscheidender Situation versagst und Ankunft unter welchem Vorwand auch immer verzögerst, betrachte dich als definitiv verworfen von mir, dem Weltgewissen, Theophil.«

      Nicoletta entließ herrisch einige Ballettmädchen und Eintänzer, die sich eingefunden hatten, um ihr zum Erfolg zu gratulieren. Sie rief Höfgen an und erklärte ihm mit dürren Worten, daß sie in einer Stunde nach Süddeutschland abzureisen gedenke. Hendrik erkundigte sich, ob sie witzig sein wolle oder irrsinnig geworden sei. Sie erklärte trocken: keines von beiden. Vielmehr verzichte sie auf ihr Engagement und auf ihre Karriere als Schauspielerin überhaupt. Die Rolle in dem französischen Dirnenstück könne man ohne viel Schwierigkeit umbesetzen, Rahel Mohrenwitz habe sich gewiß schon vorbereitet. Ihr, Nicoletta, aber sei auf der Welt nur noch eines wichtig: Theophil Marders Liebe. Die disziplinierte Frau gehöre bedingungslos total an die Seite des genialen Mannes, der sie zu sich hinaufziehen wolle – behauptete Fräulein von Niebuhr, zu Höfgens Überraschung, am Telefon.

      Hendrik, dem das Entsetzen fast die Stimme raubte, murmelte: »Du bist krank. Ich nehme mir ein Taxi und komme zu dir.« Zehn Minuten später stand er mit Barbara im Zimmer Nicolettas, die beim Kofferpacken war.

      Das edle und empfindliche Oval von Barbaras