Todesvoting. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173541
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deprimiert. Obwohl er Sex haben durfte, hatte er keinen. Welche Verschwendung von Lebenszeit, dachte er betrübt.

      „Worüber wollten Sie mit mir sprechen?“, fragte der Abt, der gleich neben der großen Tür stand und sichtlich auf die beiden Kriminalinspektoren gewartet hatte und riss Rodrigo aus seinem Gedankenspiel. Sofort spürte er die Hitze in seinem Gesicht und wusste, dass er dunkelrot angelaufen war. Er schämte sich, in heiligen Hallen und in Gegenwart eines Gottesmannes über Sex nachgedacht zu haben. Einen ganz kurzen Moment fürchtete er sogar, dass dieser seine Gedanken gelesen hatte.

      „Wir würden uns gerne mit Ihnen über Pater Pius unterhalten und auch mit ihm persönlich sprechen, falls er im Haus ist. Der Mann am Telefon hat mir nämlich nur gesagt, ein Gespräch mit ihm wäre nicht möglich.“

      Der Abt legte seinen Kopf schief und sah ihn an. „Pater Pius wurde vor einigen Wochen von unserem Herrn in seiner unendlichen Gnade abberufen. Er ist unwürdig von uns gegangen, aber wir behalten ihn dennoch in liebevoller Erinnerung. Dass wir nicht gerne über seine Person sprechen, werden Sie verstehen. Er möge in Frieden ruhen.“

      Rodrigo sah ihn kurz ungläubig an, erhob sich jedoch sofort und reichte dem Abt die Hand. „Das tut mir aufrichtig leid, bitte entschuldigen Sie die Störung. Vielen Dank für Ihre Zeit. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.“ Rodrigo war unsicher, was man in einer solchen Situation zu einem so hohen Würdenträger sagte und fühlte sich plötzlich ziemlich unwohl.

      In diesem Moment wandte sich Kevin mit ziemlich schroffer, selbstsicherer Stimme an den Abt. „Entschuldigen Sie bitte, aber wir haben noch ein paar Fragen, auch wenn er tot ist. Oder gerade, weil er tot ist.“

      Rodrigos Kopf schnellte zu Kevin und er starrte ihn entrüstet an. Dann packte er ihn blitzschnell an der Schulter, drehte ihn zum Ausgang und schob ihn wortlos vor sich her.

      Der Abt lächelte gekünstelt. „Grüß Gott, die Herren.“ Dann schloss sich auch schon das schwere Eisentor des Klosters hinter den Ermittlern und die heile Welt der Mönche war wiederhergestellt.

      „Was sollte das jetzt werden?“, keifte Rodrigo seinen Kollegen an. Versuch’ mal, ein Auto mit einem Zahnstocher zu knacken. Das ist das gleiche hirnrissige Vorhaben wie den Abt unter Druck setzen zu wollen. Du musst abschätzen können, wo Druck angebracht ist und wo nicht. Hier jedenfalls nicht!“

      Er stieg ins Auto und schnitt Kevin gleich das erst Wort ab, als dieser Luft holte um etwas zu entgegnen oder sich zu rechtfertigen. „Wenn es um die Ehre der Kirche und seiner Mitbrüder geht, kannst du Druck vergessen. Die Gottesmänner setzen alles daran, ihren weißen Schein zu wahren. Wir müssen an die Sache mit Pater Pius anders herangehen. Wie, weiß ich allerdings noch nicht, aber wir werden einen Weg finden. Hätten wir jetzt Druck auf den Abt ausgeübt, wären vermutlich all die anderen Wege für die Zukunft versperrt gewesen.“

      Er startete den Wagen und fuhr los ohne seinen Partner anzusehen. Kevin sank auf dem Beifahrersitz zusammen und dachte über die Worte seines Chefs nach. Doch noch ehe er entschieden hatte, ob er seiner Meinung nach recht hatte oder nicht, hob dieser schon wieder den Zeigefinger und fuchtelte damit vor seiner Nase herum.

      „Und außerdem können wir uns eine Dienstaufsichtsbeschwerde nicht leisten. Heutzutage beschwert sich doch gleich jeder über uns, wenn wir unsere Arbeit gewissenhaft machen.“ Er schnaubte, denn beim letzten Fall hatte es mehrere solcher Beschwerden gegeben und er hatte sogar die Innenrevision wegen einer seiner Mitarbeiterinnen am Hals. Die Zeiten waren auch für Bedienstete der Kriminalpolizei sehr hart geworden.

      Kevin wollte schon seine Meinung äußern, behielt sie aber lieber für sich. Er würde erst dann wieder reden, wenn Gonzales das Thema gewechselt hatte. Diese Taktik hatte sich auch bei seiner Freundin als goldener Weg bewährt.

      Während sich die beiden die Abfuhr des Abtes geholt hatten, führte Dr. Hans Gruber das zweite Gespräch mit dem Ehemann des Entführungsopfers. Er fühlte ihm wegen einer möglichen Beteiligung oder wegen einer Auftragserteilung an jemand Dritten kräftig auf den Zahn. Er formulierte bereits gestellte Fragen um und überprüfte sehr genau, ob die Antwort mit der letzten übereinstimmte. Er nahm ihn in die Zange und drehte ihn so lange durch die Mangel, bis er geistig erschöpft war. Hans war nun klar, dass Toby nichts mit der Entführung zu tun haben konnte. Und er wusste auch, dass es im Ehebett schon des längeren nicht mehr stimmte. Er verhielt sich nach eigener Aussage für den Geschmack seiner Ehefrau viel zu gehemmt und sie meinte, in ihrem Leben etwas Essenzielles zu versäumen. Sie war der Typ Abenteuer, er der Typ Hamsterrad. Damit war der Hintergrund ihrer Seitensprünge und Affären geklärt, jedoch nicht der Hintergrund ihrer Entführung. Hans bedankte sich bei Toby und verspürte bei der Verabschiedung noch immer dieses wohlbekannte, leichte Kribbeln im Schritt. Das sexuelle Versagen des Ehemannes hatte ihm ein Gefühl der Überlegenheit gegeben und somit auch schon wieder den Tag versüßt. Bestens gelaunt verließ er das schmucke Vorstadthaus mit dem gepflegten Garten und fuhr zurück ins Dezernat um dort seinen Bericht über diese Befragung zu verfassen

      .

      „Darf ich dich etwas ganz Persönliches fragen?“ Kevin sah seinen Boss nicht an, sondern starrte nur durch die Windschutzscheiben.

      Rodrigo schnaufte. „Frag mich und du wirst sehen, ob du eine Antwort oder meine Faust auf deine Nase bekommst“, bellte er lachend und fand den Witz so gelungen, dass er mit seinen Händen aufs Lenkrad trommelte. Kevin hingegen fühlte sich davon etwas eingeschüchtert.

      „Na dann lieber nicht. Meine Freundin steht nämlich auf meine fein geschnittene Nase edelster Herkunft!“, konterte er und lächelte.

      „Wieso sprichst du eigentlich unsere Sprache so gut? Beinahe akzentfrei. Nur wenn du wie ein alter Seebär fluchst, kommt der mexikanische Akzent so richtig deutlich zu tragen.“

      Kevin hielt sich schützend beide Hände vor die Nase und ging auf dem Beifahrersitz in Deckung.

      „Meine Großeltern sind in jungen Jahren hierher ausgewandert, waren aber nach Mexiko zurückgekehrt als die Nazis begonnen hatten, ihr Drittes Reich zu gründen, sagen wir mal so. Meine Eltern zogen mich und meine Schwester Lucìa spanisch auf, unsere Großeltern sprachen Deutsch mit uns. Lucìa hat sogar Deutsch und Spanisch studiert und ist Lehrerin geworden. Nur ich war zu doof um diese grandiose Grundlage beruflich zu nutzen. Ich bin eben ein burro estùpido, ein dummer Esel.“

      „Die meisten von uns sind froh, dass du ein burro estùpido bist. Wer weiß, wen sie uns sonst als Boss vor die Nase gesetzt hätten. Vielleicht den launischen Friedman von der Sitte, der auf jeden Chefsessel so scharf ist wie eine Schlange auf eine fette Ratte. Oder diese altbackene Klaringer, die eine ganze Minute braucht um eine Antwort auf eine noch so simple Frage zu geben. Oder…“

      „Ruhe!“, unterbrach ihn Rodrigo schroff und drehte das Autoradio um einige Stufen lauter.

      „Die Vierunddreißigjährige wurde gestern am frühen Vormittag auf offener Straße in einen weißen Lieferwagen unbekannter Marke gezerrt und seither fehlt von ihr jede Spur. Falls jemand den Vorfall beobachtet hat und von der Polizei noch nicht vernommen wurde, der möge sich bitte dringend bei der nächsten Polizeidienststelle oder unter der Nummer 0555/23896 melden. Und nun zum Wetter. Die Aussichten für…“

      Rodrigo drehte wieder leiser und nickte zufrieden. Er hatte den kurzen Text gestern an die interne Pressestelle weitergegeben um noch weitere potenzielle Zeugen zu gewinnen. Irgendjemand sieht immer irgendetwas…

      Kevin sah Rodrigo skeptisch an. „Jetzt werden sich wieder die ganz Wichtigen melden und dem Telefondienst die Zeit stehlen“, seufzte er. Rodrigo zuckte mit den Achseln, entgegnete aber nichts. Kevin war mit seinen zweiunddreißig Jahren lang genug bei seiner Truppe um zu wissen, wie es für gewöhnlich lief und dass die meisten Anstrengungen umsonst waren.

      5

      Bell Springer lag auf dem kahlen Boden eines kleinen Raumes. Es roch ziemlich muffig und vielleicht auch nach Mäuseköttel. Sie hatte bislang noch nie die Exkremente von Mäusen gerochen, stellte sich aber vor, dass sie so riechen könnten. Schwaches Licht