Todesvoting. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173541
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stehenden Beamten versammelt und sahen Rodrigo erwartungsvoll an. Rasch ließ er seinen Blick durch die Runde schweifen und auf Ralf Penz, dem grauhaarigen Oberboss liegen.

      „Wir haben gerade die Meldung über eine weitere Entführung von der Stadtpolizei erhalten. Ein Mann um die vierzig wurde vor einer knappen viertel Stunde in der Nelson-Mandela-Straße 11 in einen weißen Lieferwagen gezerrt. Ganz unspektakulär. Tür auf, Mann rein, Tür zu. Und weg war der Wagen mit einem zusätzlichen und vor allem unfreiwilligen Passagier mehr an Board. Eine Zeugin, die mit ihrem Kinderwagen im Park unterwegs war, hat die Polizei verständig. Dieses Mal gibt mehrere Zeugen und einer von ihnen kennt sogar die entführte Person; zumindest vom Namen her.“

      Er ließ seine Worte etwas wirken, sodass jeder auch wirklich begreifen konnte, was geschehen war. Er wusste, dass er seine Leute nicht mit einem gewaltigen Informationsfluss zumüllen durfte, auch wenn er noch Kenntnis von etlichen Details mehr hatte.

      Rodrigo stieß hörbar die Luft aus. „Natalie Springer und er haben den gleichen Entführer?“, sagte er mehr als er fragte, denn für ihn lag diese Tatsache eigentlich schon auf der Hand. Ralf Penz nickte. „Es sieht zumindest ganz so aus, im Moment spricht alles dafür. Deshalb bekommst du auch diesen Fall. Ich möchte keine Paralleluntersuchungen von einem anderen Team laufen lassen. Dabei kommt ihr euch nur in die Quere und dass mit dir nicht gut Kirschen essen ist, wenn es um Ermittlungen geht, weiß nicht nur das gesamte Universum, sondern auch noch jede einzelne Gottheit außerhalb.“

      Die Truppe lachte und Rodrigo zielte mit seiner zu einer Pistole geformten Hand auf den Oberboss.

      Einer der Gründe, weshalb Ralf Penz den großgewachsenen Mexikaner als Abteilungschef eingesetzt hatte, war dessen lockerer Umgang mit den Mitarbeitern. Penz setzte auf einen legeren, lockeren, vertrauensvollen, intensiven Umgang miteinander und dafür war Rodrigo genau der richtige Mann. Eine Frau eignete sich dafür keinesfalls; zumindest kannte er nicht eine einzige legere, lockere Frau. Und falls er jemals eine kennen lernen würde, so gäbe er auf der Stelle sein Junggesellenleben auf.

      Rodrigo stand auf und stellte sich vors Whiteboard, auf dem die Daten von Natalie Isabell Springer in roten Lettern prangten.

      „Danke, wir werden diesen Fall mit links lösen. Du kannst das andere Team in den Urlaub schicken“, witzelte er, lachte dabei jedoch nicht. Seine Gedanken waren bereits bei der zweiten Entführung.

      „Wir wiederholen unsere Arbeit genau so, wie sie der Täter wiederholt hat. Jeder von euch kennt seinen Aufgabenbereich und jeder weiß, dass er auch hier sein Bestes geben muss. Wenn wir den Fall innerhalb einer Woche lösen, gebe ich einen aus.“

      Die Kollegen applaudierten, standen währenddessen auf und gesellten sich zu ihren kleinen Einheiten, die sie bereits zur Auffindung von Bell gebildet hatten. Ohne zurückzublicken verließen sie den kleinen Besprechungsraum, denn sie waren schon völlig in ihren neuen Fall vertieft.

      Rodrigo war auch schon im Türrahmen, als er eine schwere Hand auf seiner Schulter spürte. Ralf sah ihn aus müden Augen an und seufzte. „Wird das jetzt so weitergehen? Müssen wir uns alle zwei Tage um eine neue Entführung kümmern? Wie siehst du das? Ich habe so etwas von anderen Dezernaten noch nie gehört und auch selbst noch nicht erlebt.“

      Rodrigo sah ihm tief in die Augen, als ob er darin die Lösung finden könnte.

      „Es tut mir echt leid, aber ich kann derzeit noch gar nichts sagen. Ich fühle zu dem Fall noch nichts, denke noch nicht an übermorgen und spiele auch noch nicht mit einem Täterprofil. Zuerst muss ich etwas über den Mann wissen, dann können wir uns gerne darüber unterhalten. Aber fang schon mal zu beten an, dass wir bei den beiden eine gemeinsame Grundlage finden, die außergewöhnlich und eine Entführung wert ist.“

      Ralf nickte und steuerte sein Büro an. Fälle weit jenseits der Routine bereiteten ihm seit jeher grauenvolle Magenschmerzen. Er war schon viel zu alt und viel zu ausgebrannt, um sich noch solchen Herausforderungen zu stellen. Mit einem weiteren Seufzen ließ er sich in seinem Drehstuhl nieder und starrte den Kunstdruck von Salvador Dalí an der Wand an. Es war eine gute Entscheidung, auch diesen Fall Rodrigo zu überlassen, dachte er und widmete sich wieder seinem Bericht.

      Rodrigo steuerte die für die Erstaufnahme der Entführung zuständige Polizeidienst-stelle an und parkte seinen Wagen frech auf dem reservierten Parkplatz des zuständigen Kommandanten. Niemand konnte ihm deshalb etwas anhaben, denn hierher kam er vermutlich nicht so rasch wieder. Er wies sich vor der Tür an der Kamera aus und ließ sich direkt zur Hauptzeugin in den Vernehmungsraum, der eigentlich ein recht kleiner Pausenraum des Personals war, bringen. Sie saß eingeschüchtert vor einer Tasse Kaffee, umklammerte die Henkel ihrer Handtasche, die sie auf dem Schoß stehen hatte und zuckte leicht zusammen, als sie Rodrigo durch den Türrahmen treten sah. Seine Statur schien ihr Angst einzuflößen, obwohl er sie noch im Türrahmen breit anlächelte. Er schätzte sie auf Mitte bis Ende sechzig, pensioniert, alleinstehend in einer kleinen Mietwohnung und auf kurze Gespräche auf der Straße angewiesen. Sie machte den Eindruck, als hätte sie in ihrem nun doch schon recht langen Leben noch nicht vieles gesehen, das von der Norm abwichen war; und dann rückte das Schicksal gleich mit einer Entführung in nächster Nähe an. Das nannte man echt die Härte des Lebens.

      In dem kurzen Vorgespräch bestätigte die ältere Dame ziemlich genau Rodrigos Einschätzung ihre Person betreffend. Etwas triumphierend lächelte er und kam dann auf den Vorfall direkt zu sprechen.

      „Ich bin da der Straße lang gegangen, nich? Und da war der junge Mann da vor mir. Er is links direkt am Ende vom Gehsteig gegangen, nich? Weil da is so ein Einkaufswagen von dem Supermarkt quer übern Gehsteig gestand und der Mann ist nach links ausgewichen, ging ja so auch gar nich anders. Und dann kommt da so‘n Auto, ein großer Wagen, so ein Kastenwagen, reißt die Seitentür auf, die geht so nach hinten auf, nich? Und zieht den armen Kerl mit einem Satz hinein. Der Wagen fährt los, die Tür knallt zu und das wars auch schon. Aus die Maus.“

      Sie sah ihn mit großen Augen erwartungsvoll an. „Erkannt hab ich so niemanden und der Mann in dem Wagen der war total ganz schwarz angezogen. Auch die Haube war so schwarz und der Rollkragen bis zur Nase hochgezogen, nich? Da war nur‘n kleiner Spalt Haut frei aber die war weiß. Aber so richtig weiß. Hellweiß, sie kapieren, nich?“

      Rodrigo nickte zufrieden. Es handelte sich ganz offensichtlich um denselben Täter, davon konnten sie jetzt ausgehen.

      Er bedankte sich für ihre Kooperation und zollte ihr für ihre grandiose Beobachtungsgabe aufrichtigen Respekt. „Ach“, winkte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Ich hab zwei Kinder großgezogen und alle zwei beide sind Autisten. Da lernt man, so auf alles achtzugeben, nich? War eine harte Schule aber ich liebe die beiden alten Deppen noch immer. Sind ja doch meine Jungs und bleiben auch meine, nich?“ Sie zwinkerte ihm zu. Nun war sie nicht mehr die verschüchterte ältere Dame. Jetzt zeigte sie eine Menge an Selbstbewusstsein, das sie für ihre Kinder immer haben musste.

      Rodrigo unterhielt sich noch kurz mit ihr, doch es war nichts mehr zu holen. Sie hatte alles erzählt, was sie wusste.

      Der Mann, der den Namen des Entführten kannte, wartete im Vorraum und wurde noch in den Pausenraum geführt, ehe die Dame weg war. Die beiden sahen einander an, kannten sich aber offensichtlich nicht. Die Polizisten waren offensichtlich nur noch darauf aus, die Vernehmung hinter sich bringen und wieder unter sich sein. Einen Fremden in ihrem Polizeiposten zu haben, war ihnen unangenehm, denn er störte die Routine, die sie allesamt heiß liebten.

      „Der Mann heißt Mike Cooper und arbeitet als Security bei Held & Partner, bei dieser Anwaltskanzlei in der Nelson-Mandela-Straße. Ich liefere dort immer Pakete aus und wir haben hin und wieder ein paar Worte miteinander gequatscht. Die ganzen Securities dort tragen Schilder mit dem vollen Namen drauf und meine Schwägerin Emilie ist auch eine geborene Cooper, deshalb habe ich mir den Namen gemerkt. Sind aber nicht miteinander verwandt die zwei.“

      Der Mann sah Rodrigo an, als würde er für diese Auskunft einen fetten Orden erwarten.

      „Worüber haben sie beide denn gesprochen, wenn Sie die Pakete ausgeliefert hatten?“, wollte er wissen und notierte sich erst jetzt den Namen des mutmaßlich