Todesvoting. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173541
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ihn dieser Mann irgendwie sexuell an, obwohl er sich mit ihm Sex keinesfalls vorstellen konnte. Oder etwa doch?

      Um nicht vollständig von seinen Gedanken irre gemacht zu werden verließ er die Toilette und setzte sich wieder an den alten Tresen. „Du, dein Angebot ehrt mich, aber ich bin total erledigt. Der Job, du weißt schon. Heute ist es mir echt schon zu spät. Aber gib mir deine Handynummer und ich rufe dich in den nächsten Tagen an. Was hältst du davon?“

      Benjamin nickte, schrieb seine Nummer auf ein Blatt Papier und übergab ihn seinem Gast. Rodrigo griff zu aber Benjamin ließ ihn nicht los, sondern sah ihm nur tief in die Augen. „Ich mag deinen mexikanischen Akzent; sehr sogar. Also melde dich, okay?“, sagte er breit lächelnd und zwinkerte ziemlich langsam mit einem Auge. Damit ließ er das Papier los und bediente einen anderen Gast. Rodrigo leerte sein Glas, zwinkerte Benjamin ebenfalls, aber absichtlich unverbindlich, zu und verließ noch immer etwas nachdenklich die Bar. Als er sich in seinen Wagen setzte, fühlte er sich plötzlich gar nicht mehr so einsam und verloren.

      Auf dem Weg zu seiner Wohnung war er sogar gut drauf und versuchte, den Leadsänger von Rammstein zu übertönen. Er öffnete das Fenster und sang lautstark ‚du hast’ mit und powerte sich damit noch mehr auf. Er fühlte sich so energiegeladen wie schon seit längerem nicht mehr und das tat ihm verdammt gut.

      Doch mit seiner Laune ging es steil bergab, als er vor seiner Wohnung keinen Parkplatz finden konnte. Er drehte das Radio ab, denn die Musik machte ihn nun nervös. Langsam fuhr er die Straße entlang, bog links ab, dann wieder links und ein drittes Mal links. Jetzt stand er wieder vor dem Eingang und hatte keinen Parkplatz gefunden. Und er hatte überhaupt keine Lust darauf, mitten in der Nacht mehr als einen Kilometer zu Fuß zu gehen. Also fuhr er langsam wieder an und machte sich auf den Weg zur zweiten Runde. Wieder nichts. „Verdammt!“, rief er mit gedämpfter Stimme und versetzte dem Lenkrad einen Hieb mit beiden Fäusten. Dann fuhr er weiter.

      Nach der dritten Runde um den Block sah er am Ende der Straße einen Wagen vom Randstein wegfahren. „Ja!“, stieß er erfreut aus und trat aufs Gas. Endlich hatte seine nervenaufreibende Suche ein Ende und er konnte sich in wenigen Minuten in der Badewanne entspannen. Er freute sich auf das Blubbern der eingebauten Düsen, auf das warme Licht des Led-Wechslers, das sein Badezimmer abwechselnd in rotes, blaues, grünes und gelbes Licht tauchte. Dazu würde er sich die weichen Klänge Vivaldis über die Deckenlautsprecher anhören und seine angespannten Nerven beruhigen. Genau das hatte er sich verdient; richtig verdient.

      Doch kurz bevor er an der freien Parklücke angekommen war, bog ein Wagen am Ende der Straße ein, setzte den Blinker und stand zwei Sekunden später auf seinem Parkplatz.

      „Maldito cabròn, du verdammter Drecksack!“, fluchte er lauthals und schlug erneut mit beiden Fäusten auf das Lenkrad. Er trat hart auf die Bremse und wurde kurz nach vorn geschleudert. Er stieß hart die Luft aus, nahm er den Gang heraus, zog die Handbremse an, schloss die Augen und legte den Kopf ein wenig nach hinten an die Nackenstütze. Nach dem dritten tiefen Atemzug hatte er sich so weit im Griff, dass er an dem gemeinen Parkplatzdieb vorbeifahren konnte ohne ihm auf der Stelle eine Kugel durchs Knie zu jagen. Dennoch war er versucht, stehen zu bleiben, auszusteigen und ihm zumindest deutlich seine Meinung zu sagen. Aber er beließ es bei einer kurzen Bremsung und einem tiefen Einatmen. Dann kreiste er weiter um seinen Block und fand nach der sechsten Umrundung doch endlich eine Parklücke. Sie war zwar viel zu klein, doch er stellte den Wagen einfach ein wenig quer, sodass der hintere Teil auf die Straße hinausragte. Sollte ihn doch ein Streifenpolizist anzeigen; er würde diesen Strafzettel ganz einfach aus dem Computer verschwinden lassen. Offiziell natürlich, nicht etwa auf illegalem Weg. Das kam bei der Polizei so gut wie nie vor. Bei diesem absurden Gedanken musste er lächeln. Aber klar doch!

      Als er um die Ecke bog, stieß er beinahe mit einem Mädchen zusammen. Klein und zierlich stand sie da in ihren viel zu hohen High Heels und sah etwas verängstigt die dunkle Straße hinunter. Sie wartete ganz offensichtlich auf Kundschaft. Sofort waren die mühsame Parkplatzsuche sowie der drohende Strafzettel vergessen. Er blieb stehen und musterte sie von oben bis unten. Dann nahm er eine Haarsträhne und legte sie langsam über ihre Schulter. „Bist du für diesen miesen Job nicht ein bisschen zu jung?“, fragte er sanft und leise, um sie nicht zu erschrecken. Sie zuckte dennoch zusammen. „Ich… ich bin achtzehn“, stammelte sie so leise, dass Rodrigo sie beinahe nicht verstehen konnte. Er lächelte. „Du kannst maximal sechzehn sein. Wer hat dich auf die Straße geschickt? War es dein Vater? Dein Bruder? Bist du drogensüchtig?“ Der Kommissar sah sie nun etwas strenger an, während sie versuchte, mit der alten Backsteinmauer zu verschmelzen um darin zu verschwinden.

      „Hey!“, rief eine Stimme aus der Dunkelheit. „Die Kleine macht’s dir nicht umsonst. Entweder du zahlst ordentlich oder haust sofort ab!“

      Rodrigo wirbelte herum, hob blitzschnell seinen Ellbogen an und ließ ihn mit halber Kraft auf den Kiefer des Mannes krachen, der ihn von hinten attackieren wollte. Der Angreifer verlor sofort das Gleichgewicht, taumelte noch zwei unsichere Schritte nach hinten und krachte im nächsten Moment auf den Asphalt des Gehwegs.

      Rodrigo sah in das Gesicht des Mannes, beugte sich vornüber und zog ihn an den Haaren hoch. Dann schleuderte er ihn gegen die Wand, wo gerade noch das Mädchen gestanden hatte. Sie hatte bereits die Flucht ergriffen und war nicht mehr zu sehen. „Joker, du elender Drecksack! Du schickst jetzt schon Minderjährige auf den Strich?“ Rodrigo verpasste ihm einen weiteren Hieb mit dem Ellenbogen ins Gesicht, dann drückte er den Zuhälter am Hals mit dem Unterarm an die Mauer und hielt ihm seinen drohenden Zeigefinger vor die Nase. „Ich sage es dir jetzt zum zweiten und allerletzten Mal: lass deine dreckigen Finger von der Zuhälterei, du Wixer! Das Mädel wirst du ab sofort in Ruhe lassen und falls du noch andere Damen hast, auch sie. Ich behalte dich ab sofort im Auge und wenn ich dich noch ein einziges Mal dabei erwische, kommst du nicht mehr so glimpflich wie jetzt davon. Hast du mich verstanden?“, zischte er leise, aber sehr bedrohlich in das Ohr des jungen Mannes.

      Joker nickte. „Ja, verstanden.“

      Rodrigo sah ihm in die Augen, nahm seinen Unterarm vom Hals des Zuhälters und verpasste ihm einen Fausthieb zum Abschied. Das Nasenbein brach laut knackend und zwei seiner Zähne landeten mit einem grausigen Klickgeräusch auf dem Boden. Joker stöhnte laut auf und sackte an der Wand in sich zusammen. Der Kommissar wollte ihm noch einen Tritt verpassen, verzichtete jedoch darauf. Bevor er ging, drehte er den blutenden Mann zur Seite und seinen Kopf nach unten, sodass er nicht an seinem eigenen Blut erstickte. Dann rief er einen Krankenwagen und machte sich auf die Suche nach dem Mädchen.

      Zwei Blocks weiter saß die kleine Gestalt, die nun noch viel winziger als zuvor wirkte, auf der Lehne einer Parkbank und hatte das stark geschminkte Gesicht zwischen ihren Knien verborgen. Der Kommissar setzte sich neben sie und hielt sofort ihr Handgelenk fest. Wie erwartet, wollte sie sich sofort aus dem Staub machen, doch sie wurde durch seinen eisernen Griff daran gehindert.

      „Lass mich los, du Scheißkerl, ich rufe die Polizei“, quietschte sie unsicher und schlug mit der freien Hand auf ihn ein. Die Panik war in ihr Gesicht gemeißelt.

      „Spar dir die Mühe, ich bin von der Polizei. Und glaub nicht, dass ich dir etwas Böses antun will. Im Gegenteil. Ich will, dass du eine Zukunft hast, ein Leben. Mit diesem Dreckskerl Joker machst du dir alles kaputt und zwar in Windeseile. Du kannst nicht mal bis drei zählen und schon pumpst du dich mit Drogen voll, weil du den Sex mit den alten, ungewaschenen, stinkenden Drecksäcken, deren Tochter oder Enkeltochter du sein könntest, nicht erträgst. Und für diese Drogen gehst du dann anschaffen. Dir bleibt nichts zum Leben und deine Zukunft besteht nur noch aus ekelerregendem Sex und der Gier nach dem nächsten Schuss. Ist es das, was du willst? Ist es das wirklich?“

      Sie sah ihn mit großen Augen verwundert an, dann starrte sie auf ihre Schuhe. „Joker meinte, ich könnte das große Geld machen, weil ich so jung bin. Ich müsste nur ein paar Monate arbeiten und hätte dann für den Rest meines Lebens ausgesorgt. Die Männer stehen sich’s nun mal auf junge Mädchen.“

      Rodrigo ließ ihr Handgelenk los und starrte in die Ferne. Er hatte ihr Vertrauen erlangt und machte sich keine Sorgen, dass sie weglief. „Weißt du, es wird immer Drecksäcke wie Joker geben, die auf Kosten der anderen leben.