Todesvoting. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173541
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dann ist es auch nicht wahr. Merk dir das. Wisch dir den Kleister aus dem Gesicht und geh zur Schule. Schließ‘ eine Ausbildung ab, dann spuckst du nur noch auf Typen wie Joker. Und zwar mit Recht. Alles klar?“

      Das Mädchen nickte und versuchte, ihre Tränen zurück zu halten. Rodrigo stand auf, legte ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter, drehte sich um und ging langsam weg. Nach zwei Schritten hörte er noch ein ehrlich klingendes „Danke“. Nun fühlte er sich wieder gut. In ihm hatte sich soeben ein kleines Flämmchen entzündet, das ihn wärmte.

      Den Weg in seine Wohnung konnte er sogar ein wenig genießen und kurz überlegte er, den Barmann anzurufen. Im Moment wäre ihm nach Gesellschaft gewesen und nach unverfänglichen Gesprächen ohne an Entführung, Mord und Totschlag denken zu müssen. Ja, das konnte er in diesem Augenblick gut gebrauchen und er holte sein Handy aus der rechten Tasche seiner Jeans. Dann kramte er in seiner Brieftasche nach der Nummer, fand sie recht rasch und wählte. Doch noch ehe die Verbindung zustande kam, legte er hektisch auf. Erst jetzt erinnerte er sich daran, dass der Barmann vermutlich schwul war und ihn aller Wahrscheinlichkeit nach verführen wollte. Ein leiser Schauer rieselte über seinen Rücken und er steckte das Handy wieder ein. Nein, flüsterte er in die stille Nacht hinein und schüttelte den Kopf, als hätte er ein reales Gegenüber. Ich bin für ein solches Experiment noch nicht bereit. Vielleicht später, aber jetzt noch nicht. Mit diesem Gedanken vergrub er die Hände in den Taschen seiner Jeans und stieg die Treppe nach oben zu seiner Wohnung.

      4

      Um die Morgenbesprechung in Gang zu bringen klatschte Gonzales in die Hände. „Wer hat etwas zu beichten, wer hat etwas mitzuteilen? Zum Ersten, zum Zweiten…?“

      Die KollegInnen sahen ihn mit ausdruckslosen Gesichtern an und zuckten teilweise mit den Schultern. Das Ergebnis fiel ziemlich ernüchternd aus. Die Leute vom Nachtdienst hatten keine neuen Anhaltspunkte von dem oder den Entführern und auch nicht auf den Aufenthaltsort des Opfers gefunden. Auch der weiße Lieferwagen konnte nicht sichergestellt werden. Die erneute Auswertung der Überwachungskameras war ebenfalls ein Schlag ins Wasser. Sie hatten faktisch nichts, außer diesem Lüstling Pater Pius und das war vermutlich eine ziemlich dünne Fährte, wenn sie überhaupt eine war. Natürlich war es durchaus angebracht, auch Ordensleute zu verdächtigen, aber zumeist waren sie doch ehrbare Bürger, die sich hinter Klostermauern vor der rauen, lauten Welt versteckten und sie als ihre Schutzschilde benutzten.

      Rodrigo sah in die Runde und fixierte kurz Lisa Willinger, deren Wangen sich abrupt dunkelrot färbten und der Kloß in ihrem Hals beinahe sichtbar wurde. Rodrigo gefiel es, sie mit einem einzigen Blick verlegen zu machen und lächelte innerlich. „Habt ihr gestern bei der Befragung der Hausbewohner auch daran gedacht, nach Fotos und Selfies, die zu dieser Zeit gemacht wurden, zu fragen?“

      Lisa schluckte schwer und fixierte einen Punkt auf dem Boden vor ihren Füßen. „Nun… na ja….“

      Mehr musste sie nicht sagen, denn ihre wenigen Worte sagten alles. Rodrigo atmete schwer aus. „Du weißt, was das heißt, muchacha“, sagte er mit selbstsicherer Stimme und wandte sich daraufhin sofort dem Kriminalpsychologen zu um seiner Kollegin keinen Raum für eine Antwort oder Frage zu lassen. Damit förderte er ihr eigenständiges Denken, denn er hasste es, für jeden einzelnen Kollegen das individuelle Kindermädchen zu spielen.

      „Gibt es neue psychologische Erkenntnisse, die du uns präsentieren kannst? Wir bräuchten dringend etwas Greifbares. Der Fall ist im Moment noch ohne jegliche Substanz, wie ein Luftgebilde, absolut nicht greifbar. Hätte es nicht noch zwei Zeugen gegeben würde ich meinen, Frau Miller hat sich diese Entführung nur eingebildet und ihre Freundin vögelt gerade munter mit einem Priester, Bauarbeiter oder Arzt in der Gegend herum.“ Er schickte dem letzten Satz ein schwaches Lächeln nach, doch niemand im Team fand es wirklich witzig.

      Dr. Gruber schüttelte den Kopf. „Dieser Fall ist wirklich sehr eigenartig, weil’s weder Motive gibt, noch geht es um Geld oder Einfluss. Ein gehörnter Ehemann lässt seine Frau normalerweise nicht entführen, damit sie sich wieder auf die Ehe besinnt. Er schlägt sie, droht ihr oder verlässt sie. Aber entführen? Das passt nicht. Noch dazu passt es nicht zu Toby Springer. Aber ich werde mich noch mal mit ihm unterhalten und ihm ein paar Fallen stellen. Mal sehen, ob er aus diesem Gespräch unbeschadet herauskommt.“

      Das Team hatte zwar zugehört, ihm aber keine Ehrerbietung gezollt. Das war kein guter Tag für Hans Gruber.

      „Okay“, sagte Rodrigo entschlossen und beendete damit die Informationsrunde. Er klatschte erneut in die Hände und erhob sich mit Schwung von seinem Stuhl. „Wir müssen uns bei diesem Fall eben noch mehr anstrengen als sonst. Einige von Euch wissen, was sie zu tun haben, die Restlichen bleiben hier und arbeiten an einem Brainstorming. Wir brauchen im Moment jede Idee und sei sie noch zu abwegig. Reißt Euch am Riemen, Leute, wir müssen Bell finden. Und zwar rasch und lebend.“

      Lisa Willinger lehnte sich zu ihrem Sitznachbarn Kevin. „Gonzo ist heute wieder mal besonders lustig“, flüsterte sie ihm zu und sah ihn verschwörerisch an. Doch dieser hatte an Intrigen kein Interesse und stand auf, als hätte er ihre Worte nicht gehört. Er wollte sich nicht zwischen zwei Fronten werfen, denn das konnte echt fatal enden.

      Rodrigo hielt seiner Truppe die Tür auf und verabschiedete sich von jedem; nur Kevin hielt er an der Schulter fest. „Du kommst mit mir ins Kloster und betest dort zehn Ave Maria. Ob du willst oder nicht“, scherzte er und warf seinen Kaffeebecher in den Recyclingbehälter. „Diese verfluchten Bastarde! Wer hat schon wieder eine Getränkedose in den Kaffeebecherbehälter geworfen? Ich werde eine Überwachungskamera installieren lassen, dann ist es mit dem Umweltschädigen vorbei!“, keifte er sichtlich ernsthaft böse.

      Kevin sagte nichts. Er wusste, wann er bei seinem Chef besser den Mund halten sollte. Ging es um ein Menschenleben oder um die Umwelt, dann kam man ihm besser nicht zu nahe. Sonst konnte man mit dem großen Mexikaner über alles reden, diskutieren und ihn sogar attackieren. Das hielt er gut aus. Was er nicht aushielt, waren Unachtsamkeiten, Lügen und Umweltzerstörung.

      Auf dem Weg ins Kloster wandte sich Kevin an seinen Boss. „Welchen Grund könnte es geben, der dich in diese altehrwürdigen Gemäuer treiben könnte? Für ein paar Jahre oder gar ein Leben lang.“

      Rodrigo sah den jungen Kollegen nicht an. Er dachte nur an dessen Frage, Er starrte durch die Windschutzscheibe und ließ sich mit der Antwort ausreichend Zeit. „Der einzige und somit auch sehr schwerwiegende Grund wäre die Angst vor dem Leben. Klosterbrüder- und schwestern leben in einer heilen Welt, sofern sie sich nicht in die Mission sofern sie sich nicht in die Mission nach Afrika oder Asien begeben. Sie konfrontieren sich nicht mit Problemen im zwischenmenschlichen Bereich und sind somit einerseits keine gereiften Persönlichkeiten würde ich mal sagen.“

      Kevin nickte. Eigentlich war diese Frage nur ein Denkanstoß für die Ermittlungsarbeit und keine persönliche Frage. Er wollte sich in das Leben der Klosterbrüder ein wenig hineinversetzen Rodrigo fand die Frage jedoch genial.

      Wortlos parkte er den Wagen vor den alten Klostermauern und läutete an. Als hätte der Ordensbruder bereits hinter der Tür auf sie gewartet, öffnete er nur wenige Sekunden nachdem der letzte Ton verklungen war. Der ältere Pater hieß sie mit offensichtlich gespielter Herzlichkeit willkommen, als er die Dienstmarken sah und führte sie stumm durch mehrere Gänge.

      Im Konvent herrschte Grabesstille. Die Kühle der dicken Mauern empfing die beiden Ermittler wie ein großes Tuch, die sie leicht fröstelten ließ. Rodrigo fragte sich, ob es bloß die Mauern waren, die die kühle Temperatur ausstrahlten oder nicht doch der Pater, der noch immer stumm vor ihnen ging.

      Der Priester führte die beiden Ermittler in einen Besprechungsraum, der durchaus als Prunksaal durchgehen konnte. Rodrigo legte den Kopf in den Nacken und bewunderte sprachlos die farbenprächtige Decke sowie die dicken, goldenen Säulen und beneidete den Konvent um die prunkvolle Ausstattung. Mit Erstaunen betrachtete er die dicken, goldenen Säulen und beneidete den Konvent um die wertvollen Gemälde aus Öl, die vermutlich aus dem siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert stammten. Sein Besprechungsraum wurde vom ganzen Dezernat genutzt, war mit