Todesvoting. Karin Szivatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Szivatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173541
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nach und schüttelte den Kopf. Dann stand er auf, bedankte sich für die reibungslose Zusammenarbeit, nahm die Akte vom Tisch und machte sich auf den Weg ins Dezernat um eine fähige Gruppe zur Auffindung von Natalie Isabell, ‚Bell’ Springer zusammen zu stellen. Die Zeit drängte, denn das Opfer war womöglich in Lebensgefahr. Im Moment zählte nicht nur jede Stunde, sondern jede Minute. Je frischer die Spur war, desto größer war die Chance, das Opfer zu finden. Rodrigo holte sich die Liste der Mitarbeiter und überprüfte, wer von ihnen an keinem anderen Fall arbeitete. Sorgfältig studierte er jeden einzelnen Namen, notierte immer wieder einen davon und filterte somit all jene heraus, die gut zusammenarbeiten konnten und sich auch so richtig engagierten.

      Bereits zwei Stunden später stürmte die vierzehnköpfige Truppe aus dem Besprechungsraum und verteilte sich in drei Gruppen in alle Himmelsrichtungen und dazwischen. Team Alpha sollte mögliche Zeugen der Entführung finden. Sie mussten sich Wohnung für Wohnung vorarbeiten, an jede einzelne Tür klopfen um mit den Bewohnern zu sprechen. Das waren geschätzte neunhundert Befragungen, wenn man für jeden Haushalt drei Personen rechnete. „Guten Tag, Lisa Willinger mein Name, wir untersuchen eine vermeintliche Entführung, die heute um dreizehn Uhr drei vor Ihrem Haus stattgefunden hat. Haben Sie etwas gesehen oder…. Bla bla bla.“ So uninteressant konnten Ermittlungsarbeiten sein, aber sie waren nötig. Lisa Willinger und ihre Kollegen ließen sich davon jedoch nicht entmutigen. Ihnen war durchaus bewusst, dass sie durch diesen zähen Anfang hindurch mussten um irgendwann direkt an den wirklich interessanten Ermittlungen teilnehmen zu dürfen. Aber sie alle waren noch jung und neu in der Abteilung. Somit fiel ihnen die langweilige Knochenarbeit ohne Lohn, Ruhm und Ehre zu.

      Team Beta sprach mit Passanten und den Verkäuferinnen der umliegenden Geschäfte. Sie kümmerten sich auch darum, Kassetten von Überwachungskameras mitzunehmen, beziehungsweise digital gespeicherte Aufzeichnungen ans Dezernat zu übermitteln. Team Gamma war bereits in der nächsten Liga und durfte sich mit dem Ehemann, den Eltern, den Freunden, Verwandten und Arbeitskollegen des Opfers über mögliche Motive der Entführung unterhalten. Auch die Vermögensverhältnisse der Entführten wurden dabei im Groben überprüft. Dieses Team wurde vom Kriminalpsychologen Dr. Hans Gruber geleitet. Bei Freunden und Verwandten von Entführungsopfern musste man mitunter sehr vorsichtig und sensibel vorgehen und sehr viel psychologisches Wissen sowie Einfühlungsvermögen besitzen.

      Ein internes Team übernahm die Auswertung der Überwachungsbänder, ein anderes machte sich im Register für KFZ-Anmeldungen auf die Suche nach allen weißen Lieferwagen. Aber ohne auch nur einen Teil des Kennzeichens zu kennen, führte diese Spur praktisch ins Nichts. Es war völlig aussichtslos, aber dennoch mussten sie ihr nachgehen.

      Kurz vor zwanzig Uhr versammelte sich das gesamte Team im Besprechungsraum. Auf dem Flipchart stand in roten Lettern ‚Natalie ‚Bell’ Springer’, darunter ‚32 Jahre’, ‚verheiratet mit Toby Springer’.

      Hans Gruber, der Psychologe, meldete sich als Erster mit den Ergebnissen seiner Befragung. „Im Großen und Ganzen hat sie bis jetzt ein normales Leben geführt. Sie hat einen Ehemann, einen normalen Job, keine besonderen Hobbys, etliche Freunde. Aber in einem Punkt war oder ist sie alles andere als gesellschaftsangepasst.“

      Er legte eine kurze Pause ein, um sich der Aufmerksamkeit des gesamten Teams sicher sein zu können. „Sie hatte in den letzten vier Jahren ein reges Sexualleben – und zwar außerhalb ihrer Ehe!“

      Erneut arbeitete er mit dem Stilmittel einer Pause. Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und von allen angesehen zu werden. Dabei verspürte er ein Ziehen und Kribbeln in seinem Schritt, auf das er unheimlich stand. Es war keine Erektion, aber so etwas Ähnliches und er konnte davon nicht genug bekommen. Manchmal war dieser Erfolgsorgasmus für ihn weitaus erfüllender als ein sexueller Orgasmus. Er schloss kurz die Augen, genoss das Ziehen, atmete schwer aus und fuhr dann fort.

      „Diese sehr vertrauliche und äußerst delikate Information kommt von ihrer besten Freundin Alexa Miller. Toby Springer, ihr Ehemann, wusste von einem Liebhaber, vielleicht auch noch von einem zweiten. Laut Aussage von Frau Miller hatte Natalie im Lauf der Zeit jedoch sechs Liebhaber, einer davon war ein katholischer Priester. Mit letzterem hatte Bell zwar keinen Geschlechtsverkehr, aber sie umgarnte den Ordensmann und versuchte, ihn auf die Abwege der Sünde zu locken. Vermutlich ging es ihr hierbei um den Sieg über Gott und den Glauben und weniger um das Ausleben ihrer Sexualität.“

      Er setzte erneut eine Pause ein und hoffte, es würden gleich mehrere Beamte eine bestimmte Frage stellen. „Wieso ein Sieg über Gott?“, fragte Lisa Willinger und noch drei ihrer Kollegen. Da war er, der Weg zum Erfolgsorgasmus! Sie hatten ihn ihm nicht verwehrt. Ganze drei Sekunden lang genoss er diese Frage, dann fühlte er sich bemüßigt, die Lösung zu präsentieren.

      „Der Priester hat sein Leben Gott gewidmet und dafür strenge Auflagen erhalten. Wenn sie, das Menschenkind, nun fähig war, den Priester zum Sex zu verführen, würde er seine Ehe mit Gott brechen und sie an die erste Stelle seines Lebens setzen. Somit hätte sie einen Sieg über Gott errungen.“

      Die meisten nickten zustimmend und bewundernd. Sein Innerstes entflammte und der Psychologe genoss seine kleine Perversion in vollen Zügen, deren er sich vollends bewusst war.

      Rodrigo Gonzales sah ihn nachdenklich an. „Und? Hat sie es geschafft, ihn zu verführen? Hätte er deshalb ein Motiv, sie zu entführen? Wenn er schon Sex hatte, so kann er doch auch jemanden entführen… wenn mal eine Sünde begangen ist, dann kann man doch gleich weitermachen, oder?“

      Philipp aus der letzten Reihe rieb sich schmunzelnd die Hände. „Er hat sie entführt und hält sie jetzt in einem Keller als seine Sexsklavin gefangen. Er ist auf den Geschmack gekommen und holt nun alles nach, was er sich jahrelang verboten und vorenthalten hat. Im Keller feiert er jetzt Sexorgien, bis er wundgescheuert ist!“ Das gesamte Team drehte sich zu ihm um und lachte.

      „Willst du dich dem ehrenwerten Pater vielleicht anschließen? Gegen einen flotten Dreier hast du doch nichts einzuwenden, oder?“, warf Henrik ein und zog damit die Aufmerksamkeit des Teams auf sich.

      Gonzales lächelte und freute sich, dass das Team einander vertraute und guter Dinge war. Die Gruppendynamik funktionierte hervorragend.

      Der Psychologe ließ das Team noch eine Weile herumalbern, erhob aber dann doch wieder seine Stimme und fuhr fort. „Wir wissen nur, dass er Pater Pius heißt und dem Konvent der Franziskaner im hiesigen Kloster angehört. Während er ihr die Beichte abgenommen hatte, haben sie sich kennen gelernt. Mehr weiß ich im Moment auch nicht. Aber dieser Pater ist auf alle Fälle einen näheren Blick wert. Und ich werde mich noch eingehender mit dem Ehemann beschäftigen. Ich denke zwar nicht, dass er wegen ihrer Untreue etwas damit zu tun hat, aber man kann nie wissen. Eine Entführung passt da aber so gar nicht ins Spiel. Das war’s von meiner Seite her. vielen Dank.“

      Dr. Gruber blieb noch kurz stehen, sonnte sich im Mittelpunkt und setzte sich dann wieder. Sein Auftritt für den heutigen Tag war vorbei; und er hatte sich gelohnt.

      Nun ergänzten die anderen Teams noch ihre Auswertungen, aber es kam nicht viel dabei heraus. Sie war weder vermögend noch hatte sie einen so wichtigen Job, als dass man sie aufgrund von Geheimnissen oder Kennzahlen entführen hätte können. Sie trieb sich nicht mit finsteren Gestalten herum und sie konsumierte oder verkaufte vermutlich auch keine Drogen. Somit war kein echtes Motiv ersichtlich und das mit den Seitensprüngen war nun doch ziemlich dünn.

      Dieser Fall würde sicher zu den schwierigsten zählen, aber Rodrigo Gonzales liebte gerade diese. Es waren Herausforderungen, die er jedes Mal gerne wieder von neuem annahm. Er hatte seine Heimat Mexiko vor sieben Jahren der Liebe wegen verlassen und wurde schon nach zwei Jahren wieder von dieser Liebe verlassen. Seither stürzte er sich mehr oder minder in seine Arbeit, denn für eine neue Beziehung war er noch nicht bereit.

      Rasch fasste er alles noch einmal stumm zusammen, dann verteilte er die weiteren Aufgaben an sein Team. Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, täglich neu zu überprüfen, ob seine Leute auch ihren Fähigkeiten nach effektiv genug eingesetzt waren. Fixe Partnerschaften lehnte er ab, obwohl es sich meist ergab, dass immer wieder die gleichen zusammenarbeiteten; Talente änderten sich eben nicht. Aber er wollte, dass sich jedes Zweier-