Oblomow. Iwan Alexandrowitsch Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Alexandrowitsch Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175385
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zu werden.

      Seine gesellschaftliche Laufbahn wollte ihm besser gelingen. In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Petersburg, in seiner ersten Jugend, belebten sich seine ruhigen Gesichtszüge häufiger, die Augen leuchteten lange vor Lebensfeuer, ihnen entströmten Strahlen von Licht, von Hoffnung und von Kraft. Er regte sich wie die anderen auf, hoffte, freute sich über jede Kleinigkeit und litt auch um einer jeden Kleinigkeit willen. Doch das war schon lange her, noch in jener zarten Periode, in welcher man in jedem Nebenmenschen einen aufrichtigen Freund sieht, sich fast in jede Frau verliebt und bereit ist, einer jeden Hand und Herz anzubieten, was manche auch ausführen, um dann das ganze übrige Leben darüber zu trauern. In diesen seligen Tagen fielen auch Ilja Iljitsch nicht wenig weiche, samtene, ja selbst leidenschaftliche Blicke aus den Augen der Schönen zu, außerdem sehr häufig ein vielversprechendes Lächeln, zwei, drei unprivilegierte Küsse und noch mehr freundschaftliche Händedrücke, die bis zu Tränen schmerzten.

      Er ließ sich übrigens niemals von den Schönen gefangennehmen, war niemals ihr Sklave und nicht einmal ihr sehr fleißiger Arbeiter, schon deshalb nicht, weil mit der Annäherung an Frauen viel Scherereien verbunden sind. Oblomow beschränkte sich häufiger auf ein Anbeten aus der Ferne, in ehrerbietiger Entfernung. Das Schicksal führte ihn selten in der Gesellschaft mit einer Frau zusammen, daß er für ein paar Tage aufflammen und sich für verliebt halten konnte. Infolgedessen entwickelten sich seine Liebesverhältnisse nicht zu Romanen. Sie blieben gleich im Anfang stehen und ließen sich an Unschuld, Einfachheit und Reinheit von der Liebe irgendeiner erwachsenen Pensionärin nicht überbieten.

      Am meisten mied er jene bleichen, traurigen Jungfrauen, die größtenteils schwarze Augen haben, in denen sich die »qualvollen Tage und nicht ganz schuldlosen Nächte« widerspiegelten, Jungfrauen mit von niemand gekannten Leiden und Freuden, mit blauen Ringen unter den Augen, Jungfrauen, die immer etwas anzuvertrauen und zu sagen haben und die, wenn es dazu kommt, erbeben, in plötzliche Tränen ausbrechen, dann den Hals des Freundes plötzlich mit den Armen umschlingen, ihm lange in die Augen, dann gen Himmel schauen und sagen, daß ihr Leben von einem Fluch bedroht sei, und manchmal in Ohnmacht fallen. Er wich ihnen ängstlich aus. Seine Seele war noch rein und jungfräulich; sie erwartete vielleicht ihre Liebe, ihre Zeit, ihre pathetische Leidenschaft, und später hörte sie mit den Jahren scheinbar zu warten auf und verzweifelte.

      Noch kühler verabschiedete sich Ilja Iljitsch von dem Haufen seiner Freunde. Gleich nach dem ersten Brief seines Dorfschulzen von den Rückständen und der Mißernte vertauschte er seinen nächsten Freund, den Koch, mit einer Köchin, verkaufte dann die Pferde und schickte dann seine übrigen »Freunde« fort.

      Fast nichts übte auf ihn eine genügende Anziehungskraft aus, um ihn aus dem Hause herauszulocken, und er setzte sich mit jedem Tage immer mehr und ständiger in seiner Wohnung fest.

      Zuerst fiel es ihm schwer, den ganzen Tag angekleidet zu verbringen; dann wurde er zu faul, auswärts zu speisen, außer bei sehr nahen Verwandten, meistens bei ledigen Kameraden, bei denen man die Krawatte ausziehen und die Weste aufknöpfen durfte, es sich sogar »bequem« machen und eine Stunde lang schlafen konnte. Bald wurden ihm auch die Abende lästig. Er mußte einen Frack anziehen und sich täglich rasieren. Er hatte irgendwo gelesen, nur die Morgendünste wären gesund, während die Abenddünste schadeten, und begann sich vor Nässe zu fürchten. Trotz allen diesen Grillen gelang es seinem Freunde Stolz, ihn unter Menschen zu bringen; aber Stolz verreiste oft aus Petersburg nach Moskau, nach Nischnij-Nowgorod, in die Krim und auch ins Ausland, und ohne ihn gab sich Oblomow gänzlich seiner Abgeschlossenheit und Einsamkeit hin, aus welcher ihn nur etwas Außerordentliches, das sich vom gewöhnlichen Gang seines Lebens scharf abhob, aufscheuchen konnte; doch etwas Ähnliches kam nicht vor und war auch nicht vorauszusehen.

      Außerdem war zu ihm mit den Jahren eine kindliche Schüchternheit zurückgekehrt, und weil er die verschiedenartigen äußeren Erlebnisse nicht mehr gewohnt war, erwartete er von allem, was außerhalb der Sphäre seines äußeren Lebens lag, Gefahr und alles Böse.

      Ihn erschreckte zum Beispiel nicht der Riß im Plafond seines Schlafzimmers. Er hatte sich daran gewöhnt; es fiel ihm auch nicht ein, daß die stets geschlossene Luft seines Zimmers und das beständige Zuhausesitzen für seine Gesundheit beinahe verderblicher waren als die nächtliche Feuchtigkeit und daß die tägliche Überfüllung des Magens eine Art von progressivem Selbstmord bedeutete. Doch er hatte sich daran gewöhnt und fürchtete das alles nicht. Doch Bewegung, Leben, viele Menschen und Trubel waren ihm etwas Ungewohntes. Er fühlte sich in der Menschenmenge beengt; er stieg mit der schwankenden Hoffnung, glücklich ans Ufer zu gelangen, ins Boot und erwartete, wenn er im Wagen fuhr, die Pferde würden scheu werden und umschmeißen. Manchmal überlief ihn eine nervöse Angst. Er fürchtete sich vor der ihn umgebenden Stille und wußte oft selber nicht, warum es ihn kalt überlief. Es kam vor, daß er ängstlich in eine dunkle Ecke schielte, in der Erwartung, seine Phantasie würde ihm einen Streich spielen und ihm eine übernatürliche Erscheinung zeigen.

      Das war das Ende seiner gesellschaftlichen Laufbahn. Er wies mit einer trägen Handbewegung alle seine Jugendhoffnungen von sich, die ihn betrogen hatten oder die er betrogen hatte, all die zarten, traurigen und lichten Erinnerungen, die manchem das Herz noch im Alter klopfen machen.

      Sechstes Kapitel

      Was macht er denn zu Hause? Liest er? Schreibt er? Lernt er? Ja, wenn ihm ein Buch oder eine Zeitung in die Hand kommt, liest er. Wenn er von irgendeinem merkwürdigen Werk hört, erwacht in ihm der Wunsch, es kennenzulernen; er sucht danach, bittet, ihm das Buch zu bringen; und wenn man es bald bringt, nimmt er es vor und beginnt sich eine Vorstellung über den Gegenstand zu bilden; nur noch ein einziger Schritt, und er würde denselben beherrschen; wenn man aber nach einer Weile hinsieht, ruht er schon wieder, apathisch auf die Zimmerdecke blickend, und das Buch liegt, nicht zu Ende gelesen und unverstanden, neben ihm. Die Abkühlung erfaßt ihn noch schneller als die Begeisterung. Er kehrt nie mehr zu dem verlassenen Buch zurück. Und dabei hatte er wie die andern, wie alle, bis zum fünfzehnten Jahr im Pensionat gelernt; dann entschlossen sich die alten Oblomows nach langem Kampf, Iljuscha nach Moskau zu schicken, wo er, ob er wollte oder nicht, den Lehrkursus bis zu Ende verfolgen mußte. Sein schüchterner, apathischer Charakter hinderte ihn daran, seine Faulheit und seine Launen vor fremden Leuten, in der Schule, wo man zugunsten von verwöhnten Muttersöhnchen keine Ausnahme machte, ganz zu äußern. Er saß notgedrungen in gerader Haltung in der Klasse da, hörte zu, was die Lehrer sagten, weil er nicht anders durfte, und lernte mit Mühe, schwitzend und seufzend seine Aufgaben.

      Er überschritt niemals die Zeile, unter welcher der Lehrer mit dem Nagel einen Strich gezogen hatte, stellte ihm keinerlei Fragen und forderte keinerlei Erklärungen. Er begnügte sich damit, was im Hefte stand, und äußerte auch dann keine lästige Neugierde, wenn er nicht alles verstand, was er hörte und lernte. Wenn es ihm irgendwie gelang, ein Buch, das Statistik, Geschichte, politische Ökonomie hieß, zu bewältigen, war er ganz zufrieden. Wenn ihm aber Stolz Bücher brachte, welche er noch außer dem Gelernten lesen sollte, blickte Oblomow ihn lange schweigend an. »Auch du, Brutus, bist gegen mich«, sagte er seufzend und nahm die Bücher vor. Ein so übermäßiges Lesen erschien ihm unnatürlich und lästig. Wozu sind denn alle diese Hefte, auf welche man eine Menge Papier, Zeit und Tinte verwendet? Wozu sind die Schulbücher? Wozu sind endlich die sechs, sieben Jahre des Einsiedlertums, all die Strenge, die Strafen, das Einsperren und Quälen mit Aufgaben, das Verbot zu laufen, herumzutollen und lustig zu sein, wenn noch nicht alles zu Ende ist? Wann soll man denn leben? fragte er sich wieder. Wann soll man denn endlich dieses Wissenskapital, dessen größten Teil man im Leben gar nicht verwenden kann, in Umsatz bringen? Was werde ich zum Beispiel mit politischer Ökonomie, mit Algebra und Geometrie in Oblomowka anfangen? Und die Geschichte macht einen nur niedergeschlagen. Man lernt und liest, daß die Stunde der Trübsal gekommen ist, daß der Mensch unglücklich ist; er sammelt seine Kräfte, arbeitet, läuft hin und her, leidet furchtbar und müht sich ab, und das alles, um sich lichte Tage vorzubereiten. Jetzt kommen sie, und die Geschichte könnte ausrasten. Aber nein, es kommen wieder Wolken, das Gebäude stürzt zusammen, man muß wieder arbeiten und sich abmühen ... Die lichten Tage bleiben nicht, sie flüchten, und das Leben fließt und fließt immerzu weiter und wird immer wieder umgebaut.

      Die ernste Lektüre ermüdet ihn. Den Denkern