Er setzte den Hut auf und wandte sich der Türe zu. Oblomow besänftigte sich sofort.
»Du solltest in ihm meinen Freund ehren und dich über ihn vorsichtiger ausdrücken – das ist alles, was ich verlange; ich glaube, das ist kein so großer Dienst!« sagte er.
»Einen Deutschen ehren?« sagte Tarantjew mit der größten Verachtung, »wofür denn?«
»Ich habe dir schon gesagt, wenigstens dafür, daß er mit mir zusammen aufgewachsen ist und mit mir zusammen gelernt hat.«
»Das will viel heißen! Man hat mit vielen zusammen gelernt!«
»Wenn er hier wäre, hätte er mich schon längst von allen Scherereien befreit, ohne dafür Porter oder Champagner zu verlangen ...« sagte Oblomow.
»So! Du machst mir Vorwürfe! So mag der Teufel dich zugleich mit deinem Porter und Champagner holen! Da hast du das Geld ... Wo hab' ich es hingelegt? Ich habe ganz vergessen, wohin ich diese verfluchten Scheine gesteckt habe.«
Er zog irgendein fettiges, beschriebenes Papier hervor.
»Nein, das sind sie nicht! ...« sagte er. »Wo hab' ich sie hingelegt? ...«
Er durchstöberte seine Taschen.
»Müh dich nicht so ab, laß das!« sagte Oblomow. »Ich werfe dir nichts vor, ich bitte dich nur, von einem Menschen, der für mich so viel getan hat, auf eine anständigere Art zu sprechen ...«
»Der für dich so viel getan hat«, entgegnete Tarantjew zornig. »Wart nur, er wird noch mehr für dich tun, höre nur auf ihn!«
»Warum sagst du mir das?«
»Wenn dich dein Deutscher ausgeraubt haben wird, dann wirst du wissen, ob man einen Russen, einen Landsmann, durch irgendeinen Landstreicher ersetzt ...«
»Hör einmal, Michej Andreitsch ...« begann Oblomow.
»Ich habe schon genug gehört, ich habe schon genug Kränkungen von dir erduldet! Gott sieht, wie oft du mich beleidigt hast ... Sein Vater hat in Sachsen wohl nicht einmal Brot genug gehabt, und ist dann hergekommen, um hier seine Nase zu rümpfen.«
»Warum läßt du die Toten nicht in Ruh'? Was hat der Vater verschuldet?«
»Sie haben beide Schuld, der Vater und der Sohn«, sagte Tarantjew düster. »Mein Vater hat mir nicht ohne Grund geraten, diesen Deutschen aus dem Wege zu gehen, und er hat doch genug Menschen in seinem Leben gesehen!«
»Warum gefällt dir zum Beispiel der Vater nicht?« fragte Ilja Iljitsch.
»Weil er ohne Mantel und Galoschen in unser Gouvernement gekommen ist und dann dem Sohne auf einmal so viel vermacht hat; was heißt das?«
»Er hat dem Sohne nur vierzigtausend zurückgelassen. Das hat er zum Teil als Mitgift von seiner Frau erhalten, und das andere hat er sich dadurch erworben, daß er die Kinder unterrichtet und das Gut verwaltet hat; er hat ein hohes Gehalt bezogen ... Du siehst, daß der Vater ganz unschuldig ist. Und was hat der Sohn verbrochen?«
»Das ist ein lieber Bursch! Er hat aus den vierzigtausend des Vaters plötzlich ein Kapital von dreihunderttausend gewonnen, hat im Amt den Hofratstitel erreicht und ist außerdem gelehrt ... Jetzt reist er noch dazu herum! Er muß überall mit dabei sein! Wird denn ein echter, guter Russe das alles tun? Ein Russe wird sich irgend etwas auswählen und wird dabei langsam, bedächtig und allmählich vorgehen, nicht so wie dieser da! Wenn er noch bei der Akzise wäre, dann wäre es ja begreiflich, wovon er reich geworden ist; er hat aber auch das nicht gemacht, es ist alles so gekommen, als hätte es der Wind hereingeblasen! Das ist nicht ganz richtig zugegangen! Ich würde solche Leute dem Gerichte übergeben! Und jetzt treibt er sich Gott weiß wo herum!« fuhr Tarantjew fort. »Warum reist er in fremden Ländern herum?«
»Er will lernen, alles sehen und wissen.«
»Lernen? Hat er denn noch zu wenig gelernt? Was will er denn lernen? Er lügt, glaube ihm nicht; er betrügt dich vor deinen Augen wie dein Dorfschulze. Was er da glauben machen will! Wird denn ein Hofrat lernen? Du hast in der Schule gelernt, lernst du aber jetzt? Lernt er denn?« Er zeigte auf Alexejew. »Oder sein Verwandter? Welche anständigen Leute lernen denn? Sitzt er denn dort in einer deutschen Schule und lernt seine Aufgaben? Er lügt! Ich habe gehört, er ist hingefahren, sich eine Maschine anzusehen und zu bestellen. Das wird wohl ein Schraubenstock für russisches Geld sein! Ich würde ihn ins Gefängnis stecken ... Er hat auch mit Aktien zu tun ... Oh, diese Aktien sind nichts als Schwindel!« Oblomow lachte auf.
»Was grinst du? Habe ich etwa nicht recht?« sagte Tarantjew.
»Lassen wir das!« unterbrach ihn Ilja Iljitsch. »Geh in Gottes Namen, wohin du wolltest, und ich werde mit Iwan Alexeitsch alle diese Briefe schreiben und werde versuchen, meinen Plan rasch aufzuzeichnen. Das geht dann auf einen Schlag ...«
Tarantjew ging ins Vorzimmer, kam aber plötzlich zurück.
»Ich habe ganz vergessen! Ich bin heute früh mit der Absicht fortgegangen, dich um etwas zu bitten«, begann er, schon gar nicht mehr grob. »Man hat mich für morgen zu einer Hochzeit eingeladen. Rokotow heiratet. Laß mich deinen Frack anziehen, Landsmann; der meinige ist ein wenig schäbig ...«
»Aber das geht ja nicht!« sagte Oblomow, bei dieser neuen Forderung die Brauen furchend, »mein Frack paßt dir nicht ...«
»Er paßt mir; wieso sollte er mir nicht passen!« unterbrach ihn Tarantjew. »Erinnerst du dich, ich habe deinen Rock anprobiert; er war wie für mich genäht! Sachar! Sachar! Komm mal her, altes Rindvieh!«
Sachar brummte wie ein Bär, kam aber nicht.
»Rufe ihn, Ilja Iljitsch! Schau, wie er ist!« klagte Tarantjew.
»Sachar!« rief Oblomow.
»Oh, daß euch alle ...« ertönte es im Vorzimmer zugleich mit dem Sprung von der Ofenbank.
»Nun, was wollen Sie?« fragte er, sich an Tarantjew wendend.
»Gib meinen schwarzen Frack her!« befahl Ilja Iljitsch, »Michej Andreitsch wird zusehen, ob er ihm paßt; er muß morgen zu einer Hochzeit ...«
»Ich gebe den Frack nicht her«, sagte Sachar mit Bestimmtheit.
»Wie wagst du es, wenn dein Herr dir befiehlt?« schrie Tarantjew. »Warum steckst du ihn nicht in den Narrenturm, Ilja Iljitsch?«
»Das fehlte noch, den alten Mann in den Narrenturm zu stecken! Sachar, gib den Frack her, sei nicht eigensinnig!«
»Ich gebe ihn nicht her!« sagte Sachar kühl, »er soll uns zuerst unsere Weste und unser Hemd zurückgeben, die sind jetzt schon fünf Monate bei ihm auf Besuch. Er hat es ebenso wie jetzt zu einem Namenstag genommen, und wir haben die Sachen nicht wiedergesehen. Ich gebe den Frack nicht her!«
»Nun, adieu! Zum Teufel mit euch!« schloß Tarantjew zornig und wandte sich zur Tür, indem er Sachar mit der Faust drohte. »Vergiß also nicht, Ilja Iljitsch, ich miete für dich die Wohnung, hörst du?« fügte er hinzu.
»Nun gut, gut!« sagte Oblomow ungeduldig, um ihn loszuwerden.
»Schreibe unterdessen alles so, wie es sich gehört«, sprach Tarantjew weiter, »und unterlasse es nicht, dem Gouverneur mitzuteilen, daß du zwölf Kinder hast, ›eines kleiner als das andere‹. Und um fünf Uhr soll die Suppe auf dem Tisch sein! Warum hast du keine Piroge bestellt?«
Doch Oblomow schwieg; er hörte ihm schon längst nicht mehr zu und dachte mit geschlossenen Augen an etwas anderes. Als Tarantjew fort war, herrschte im Zimmer zehn Minuten lang eine absolute Stille. Oblomow war durch den Brief des Dorfschulzen und den bevorstehenden Umzug verstimmt und außerdem durch Tarantjews Schwadronieren ermüdet. Endlich seufzte er auf.
»Warum schreiben Sie denn nicht?« fragte Alexejew leise.
»Ich würde Ihnen die Feder beschneiden.«
»Beschneiden Sie sie und gehen Sie dann in Gottes