»Nun, dann adieu«, sagte Tarantjew, wieder seinen Hut aufsetzend.
»Ach, du mein Gott! Der Dorfschulze schreibt hier, daß die Einnahmen um zweitausend geringer sind, und er will noch Porter haben! Nun gut, kaufe Porter.«
»Gib Geld!« sagte Tarantjew.
»Dir bleibt ja noch der Rest vom Zehnrubelschein!«
»Und die Droschke in die Wiborgskajastraße?«
Oblomow nahm noch einen Rubel heraus und steckte ihm denselben ärgerlich zu.
»Dein Dorfschulze ist ein Schwindler, das muß ich dir vor allem sagen«, begann Tarantjew, den Rubel in die Tasche steckend, »und du glaubst ihm, du Schlafmütze. Siehst du, was er für ein Lied singt! Von Dürre, Mißernte, Rückständen und von den fortgelaufenen Bauern. Er lügt, das ist alles gelogen! Ich habe gehört, daß man in unserer Gegend, in Schumilowskoje, mit der vorjährigen Ernte alle Schulden bezahlt hat, und bei dir ist plötzlich Dürre und Mißernte. Und Schumilowskoje ist nur fünfzig Werst von deinem Gut entfernt; warum ist denn das Getreide dort nicht ausgebrannt? Was er sich noch ausdenkt: Rückstände! Warum hat er denn nicht aufgepaßt und hat alles vernachlässigt? Woher sind die Rückstände? Gibt es denn in unserer Gegend keine Arbeit oder keinen Absatz? So ein Dieb! Ich würde es ihm schon zeigen! Und die Bauern sind deswegen fortgelaufen, weil er sich von ihnen wohl ordentlich hat bezahlen lassen und ihnen dann zu flüchten erlaubt hat; es ist ihm nicht im Traum eingefallen, dem Kreisrichter zu klagen.«
»Das ist unmöglich«, sagte Oblomow, »er gibt sogar die Antwort des Kreisrichters so natürlich wieder ...«
»Ach, du verstehst gar nichts. Alle Schwindler schreiben natürlich – das kannst du mir glauben! Da sitzt zum Beispiel«, fuhr er auf Alexejew hinweisend fort, »eine ehrliche Seele, das reinste Schaf, wird er so natürlich schreiben? – Niemals. Aber sein Verwandter, der ein Schwein und eine Bestie ist, der bringt es fertig. Und auch du kannst es nicht. Ja, dein Dorfschulze ist also schon darum eine Bestie, weil er so natürlich und geschickt schreibt. Schau mal, wie er sich die Worte ausgesucht hat: ›in ihren früheren Wohnort wieder einsetzen‹.«
»Was soll ich denn mit ihm machen?« fragte Oblomow.
»Setze ihn sofort ab.«
»Wen soll ich denn an seine Stelle setzen? Ich kenne ja die Bauern nicht. Ein anderer wird vielleicht noch schlimmer sein. Ich war schon zwölf Jahre nicht mehr dort.«
»Du mußt selbst ins Dorf fahren; das geht nicht anders; verbringe dort den Sommer und komm im Herbst direkt in die neue Wohnung. Ich werde schon anordnen, daß sie bis dahin fertig ist.«
»Eine neue Wohnung! Allein aufs Gut fahren! Was für übertriebene Maßregeln du vorschlägst!« sagte Oblomow unzufrieden. »Nein, um nicht zum Äußersten zu greifen und einen Mittelweg einzuschlagen ...«
»Nein, Bruder Ilja Iljitsch, du wirst ganz zugrunde gehen. Ich würde an deiner Stelle das Gut längst verpfändet haben und mir dafür ein anderes oder hier ein Haus an einem guten Platze kaufen; das ist dein Gut wert. Und dann würde ich auch das Haus verpfänden und mir ein anderes kaufen ... Wenn ich dein Gut hätte, würde man schon von mir hören.«
»Höre auf zu prahlen und denke dir etwas aus, wie ich alles erledigen kann, ohne auszuziehen und ohne aufs Gut zu fahren ...« bemerkte Oblomow.
»Wirst du dich denn einmal vom Fleck rühren?« fragte Tarantjew, »schau dich nur einmal an: wozu taugst du? Was hat das Vaterland von dir für einen Nutzen? Du kannst nicht einmal aufs Gut fahren!«
»Es ist jetzt noch zu früh, hinzufahren, laß mich erst meinen Plan zu Ende bringen ... Weißt du, Michej Andreitsch«, sagte Oblomow, »fahre du hinüber. Du bist mit der Sache vertraut, kennst auch die Gegend; und ich würde mit dem Reisegeld nicht geizen.«
»Bin ich denn dein Verwalter?« entgegnete Tarantjew stolz, »ich bin es auch gar nicht mehr gewohnt, mit Bauern umzugehen.«
»Was soll ich dann tun!« sagte Oblomow nachdenklich. »Ich weiß wirklich nicht ...«
»Schreibe doch dem Kreisrichter; frag ihn, ob ihm der Dorfschulze von den flüchtigen Bauern erzählt hat!« riet Tarantjew, »und bitte ihn, bei Gelegenheit auf dein Gut zu kommen; schreibe auch dem Gouverneur, er soll dem Kreisrichter auftragen, ihm mitzuteilen, wie sich der Dorfschulze benimmt. ›Ich bitte Euer Wohlgeboren um väterliche Teilnahme, schauen Sie mit barmherzigem Auge auf das mir drohende, unabwendbare Unglück herab, das durch die eigenmächtige Handlungsweise des Dorfschulzen verursacht wurde, auf den endgültigen Ruin, dem ich mit meiner Frau und meinen unmündigen, ohne jede Aufsicht und ohne ein Stück Brot zurückbleibenden zwölf Kindern rettungslos verfalle ...‹«
Oblomow lachte.
»Woher werde ich so viel Kinder nehmen, wenn man verlangt, daß ich sie zeigen soll?« fragte er.
»Schreibe nur: mit meinen zwölf Kindern; man wird das hingehen lassen und keine Erkundigungen einziehen, das wird ›natürlich‹ klingen. Der Gouverneur wird den Brief seinem Sekretär übergeben, und du schreibst zu gleicher Zeit auch ihm, natürlich mit einer entsprechenden Einlage – er wird dann die nötigen Anordnungen treffen. Und bitte auch deine Nachbarn darum, wen hast du dort?«
»Dobrinin ist in der Nähe«, sagte Oblomow, »ich habe ihn hier oft gesehen; er ist jetzt dort.«
»Schreibe auch ihm, bitte ihn recht schön darum: ›Sie werden mir dadurch einen unschätzbaren Dienst erweisen und werden mich, wenn Sie als Christ, als Freund und als Nachbar handeln, sehr verpflichten‹; und lege diesem Brief irgendein Petersburger Ge schenk ... vielleicht Zigarren bei. So mußt du handeln, wenn du etwas verstehen willst. Du bist ein verlorener Mensch! Ich würde meinen Dorfschulzen schon tanzen lassen, ich würde es ihm zeigen! Wann geht die Post dorthin ab?«
»Übermorgen.«
»Setz dich also hin und schreibe sofort.«
»Die Post geht doch erst übermorgen, warum soll ich also gleich schreiben?« bemerkte Oblomow, »das kann ich ja auch morgen tun. Und höre einmal, Michej Andreitsch«, fügte er hinzu, »führe deine ›Wohltaten‹ zu Ende; ich werde noch irgendeinen Fisch oder Geflügel zum Mittagessen bestellen.«
»Was denn noch?«
»Setz dich hin und schreibe. Wieviel Zeit brauchst du denn, um drei Briefe zu verfassen? Du erzählst das so ›natürlich‹ ...« fügte er, ein Lächeln verbergend, hinzu, »und Iwan Alexeitsch würde es abschreiben ...«
»He! Was sind das für Einfalle?« antwortete Tarantjew, »ich soll schreiben! Ich schreibe sogar im Amt schon seit drei Tagen nicht; sowie ich mich hinsetze, fängt mein linkes Auge zu tränen an; ich bin wohl in den Zug gekommen, und auch der Nacken wird mir steif, wenn ich mich bücke ... Oh, du Faulpelz! Du gehst zugrunde, Bruder Ilja Iljitsch, und das für nichts und wieder nichts!«
»Ach, wenn doch Andrej bald kommen würde!« sagte Oblomow, »er würde alles in Ordnung bringen.«
»Was du dir da für einen Wohltäter ausgesucht hast!« unterbrach ihn Tarantjew, »einen verfluchten Deutschen, einen durchtriebenen Schwindler ...«
Tarantjew hatte den Ausländern gegenüber einen instinktiven Widerwillen; in seinen Augen war ein Franzose, ein Deutscher, ein Engländer gleichbedeutend mit Schuft, Betrüger, Übervorteiler oder Räuber. Er machte nicht einmal einen Unterschied zwischen den Nationen, sie waren in seinen Augen alle gleich.
»Hör einmal, Michej Andreitsch«, sagte Oblomow strenge, »ich möchte dich bitten, in deinen Ausdrücken vorsichtiger zu sein, besonders wenn du von einem mir nahestehenden Menschen sprichst ...«
»Von einem nahestehenden Menschen!« entgegnete Tarantjew haßerfüllt, »ist er denn mit dir verwandt? Er ist doch ein Deutscher.«
»Er steht mir näher als alle Verwandten; ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen, habe mit ihm gelernt und werde solche Schimpfworte nicht erlauben