Sachar sah alle Herrschaften und Gäste, die zu Oblomow kamen, etwas von oben herab an und bediente sie, reichte ihnen Tee usw. mit einer gewissen Herablassung, als wollte er sie fühlen lassen, welche Ehre für sie der Aufenthalt bei seinem Herrn sei. Er wies sie recht grob ab. »Der Herr ruht«, sagte er, den Ankömmling hochmütig vom Kopf bis zu den Füßen musternd. Manchmal begann er plötzlich statt der Klatschgeschichten und Verleumdungen Ilja Iljitsch in den Laden- und Haustorversammlungen übermäßig zu loben, und dann hatte sein Entzücken keine Grenzen. Er begann alle Eigenschaften des Herrn aufzuzählen, seinen Verstand, seine Freundlichkeit, Freigebigkeit und Güte; und wenn es seinem Herrn an Eigenschaften für das Loblied mangelte, lieh er sie sich bei anderen aus und schmückte ihn mit Vornehmheit, Reichtum oder außerordentlicher Macht. Wenn er dem Hausbesorger, dem Verwalter oder sogar dem Hausbesitzer Angst machen wollte, nahm er immer seinen Herrn zu Hilfe. »Wart nur, ich sag's dem Herrn«, drohte er, »dann kriegst du's schon!« Für ihn gab es auf der ganzen Welt keine größere Autorität. Aber die äußerlichen Beziehungen Sachars zu Oblomow waren immer feindseliger Art. Sie waren während ihres Zusammenlebens einander überdrüssig geworden. Ein intimes tägliches Zusammensein zweier Menschen geht weder an dem einen noch an dem anderen spurlos vorüber; es gehört von beiden Seiten sehr viel Lebenserfahrung, Logik und Herzenswärme dazu, um nur die gegenseitigen Eigenschaften zu würdigen, ohne durch die Fehler zu verletzen und sich verletzt zu fühlen. Ilja Iljitsch kannte schon die eine unschätzbare Eigenschaft Sachars, dessen Anhänglichkeit, und hatte sich daran gewöhnt, indem er seinerseits auch glaubte, es könnte und dürfte nicht anders sein; da er diesen Vorzug ein für allemal für etwas Selbstverständliches hielt, konnte er ihn nicht mehr würdigen, ertrug aber trotz seiner Gleichgültigkeit allem gegenüber Sachars unzählige kleine Fehler nicht mit Geduld. Wenn Sachar trotz der Ergebenheit seinem Herrn gegenüber, wie sie den Dienern in alten Zeiten eigen war, sich von diesen durch moderne Fehler unterschied, hegte auch Ilja Iljitsch seinerseits, obwohl er Sachars Anhänglichkeit innerlich schätzte, nicht mehr jene freundschaftliche, fast verwandtschaftliche Zuneigung zu ihm, wie sie in früheren Zeiten die Herrschaften für ihre Diener empfanden. Er erlaubte sich, manchmal einen ernsthaften Streit mit Sachar zu beginnen. Auch er machte sich seinem Diener lästig. Nachdem Sachar in seiner Jugend im herrschaftlichen Haus als Lakai gedient hatte, wurde er zum Beaufsichtiger Ilja Iljitschs ernannt und hielt sich seitdem nur für einen Luxusartikel, für ein aristokratisches Zubehör des Hauses, das zur Aufrechterhaltung des Glanzes und der Würde der alten Familie bestimmt, aber durchaus kein Gegenstand des täglichen Bedarfes war. Darum tat er gar nichts mehr, wenn er seine Pflichten erfüllt hatte und den jungen Herrn des Morgens angekleidet und des Abends ausgekleidet hatte. Seine angeborene Trägheit wurde durch die Erziehung, die er als Lakai genossen hatte, noch verstärkt. Er machte sich unter der Dienerschaft wichtig und gab sich nicht die Mühe, den Samowar aufzustellen oder die Fußböden zu fegen. Entweder döste er im Vorzimmer vor sich hin oder ging in die Gesindestube und in die Küche plaudern, oder er stand auch mit auf der Brust verschränkten Armen ganze Stunden lang am Haustor und blickte mit schläfriger Nachdenklichkeit um sich. Und nach einem solchen Leben wälzte man ihm plötzlich die schwere Last auf die Schultern, das ganze Haus in Ordnung zu halten! Er mußte den Herrn bedienen, mußte fegen und putzen und Gänge machen! Alles das verlieh seinem Charakter einen düstern Anstrich und rief in ihm Grobheit und Härte hervor; darum brummte er auch jedesmal, wenn die Stimme des Herrn ihn seine Ofenbank zu verlassen nötigte. Aber trotz dieser äußeren Barschheit und Unfreundlichkeit besaß Sachar doch ein weiches, gutes Herz. Er liebte es sogar, seine Zeit mit Kindern zu verbringen. Man sah ihn oft auf dem Hof und am Haustor mit einem ganzen Kinderhaufen. Er versöhnte sie, neckte sie, arrangierte ihnen Spiele oder saß einfach da, hielt auf jedem Knie ein Kind, während irgendein Knirps noch von rückwärts seinen Hals umfaßte oder ihn an seinem Backenbart zupfte.
Auf diese Weise störte Oblomow Sachar durch das immerwährende Beanspruchen seiner Dienste und seiner Anwesenheit, während sein Herz, sein geselliger Charakter, seine Liebe zur Untätigkeit und sein ewiges, unstillbares Bedürfnis zu kauen ihn bald zur Gevatterin, bald in die Küche, bald in den Laden und zum Haustor hin zogen.
Sie kannten einander lange und lebten lange beisammen. Sachar hatte den kleinen Oblomow auf dem Arm getragen, und Ilja Iljitsch hatte ihn noch als einen jungen, beweglichen, gefräßigen und schelmischen Burschen gekannt. Das alte Band zwischen ihnen war unzerreißbar. Ebenso wie Ilja Iljitsch ohne Sachars Hilfe weder aufstehen, noch schlafen gehen, noch sich kämmen, anziehen und Mittag essen konnte, konnte sich auch Sachar keinen andern Herrn als Ilja Iljitsch denken und sich keine andere Existenz vorstellen als diese, die darin bestand, daß er ihn ankleidete, fütterte, ihm Grobheiten sagte, ihn betrog und belog und dabei innerlich doch anbetete.
Achtes Kapitel
Nachdem Sachar hinter Tarantjew und Alexejew die Tür geschlossen hatte, setzte er sich nicht auf die Ofenbank, in der Erwartung, der Herr würde ihn gleich rufen, da er gehört hatte, daß Ilja Iljitsch zu schreiben vorhatte. Doch in Oblomows Arbeitszimmer war alles still wie in einem Grab. Sachar sah durch eine Spalte hinein, und was bot sich seinen Blicken dar? Ilja Iljitsch lag auf dem Sofa und stützte den Kopf auf die Handfläche; vor ihm lag ein Buch. Sachar öffnete die Tür.
»Warum liegen Sie wieder?« fragte er.
»Störe mich nicht; du siehst, ich lese!« sagte Oblomow lakonisch.
»Es ist Zeit, daß Sie sich waschen und schreiben«, sagte Sachar, ohne sich abweisen zu lassen.
»Ja, es ist wirklich Zeit«, sagte