Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände). Magda Trott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magda Trott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754953730
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auch dir eine große Freude zu bereiten, wenn er uns vier Wochen an die See schickt. Wir wollen ihm dafür doch auch recht dankbar sein.«

      »Das sind wir auch«, sagte Goldköpfchen, indem es an der Unterlippe nagte. »Aber – die blaue Kette möchte ich so gern haben.«

      »Du bekommst die blaue Kette nicht«, klang es fest und energisch von den Lippen der Mutter.

      Eine kleine, trotzige Falte zeigte sich aus der Stirn des jungen Mädchens.

      »Im übrigen gehst du jetzt mit den Brüdern zum Strande. Ihr könnt die Burg fertigbauen, ich komme etwas später nach.«

      »Der Martin gräbt immer nur Höhlen, weil er den ganzen Tag Indianer spielt.«

      »Du gehst sofort mit den Brüdern zum Strand, Bärbel, kein Wort weiter!«

      Da wußte Goldköpfchen, daß es keine Widerrede mehr gab. Sie wäre viel lieber ins Nachmittagskonzert gegangen, noch dazu, da man heute zwischen den einzelnen Musikstücken im Freien tanzte. Sie tanzte nun einmal für ihr Leben gern, aber die Mutter duldete es nicht, daß sie jedesmal diese Tanznachmittage besuchte.

      So rief sie ziemlich herrisch nach den Brüdern, die begeistert vor ihr hereilten, um recht rasch wieder an den Strand zu kommen und ihre Räuberhöhle fertigzustellen.

      »Ich kann schon bis hinter den Bauch in die Höhle hineinkriechen«, plauderte Martin, »und heute graben wir so tief, daß auch noch die Beine reinrutschen.«

      Bärbel hörte kaum hin, sie hatte nur Ohren für die Musik, die vom Kurpark herübertönte. Ach, wie glücklich waren doch alle die, die hier tanzen durften; sie aber mußte als Kindermädchen mit an den Strand.

      »Wir laufen voran!«

      Weg waren die beiden Brüder.

      Bärbels Schritte verlangsamten sich mehr und mehr. Schließlich blieb sie an dem Zaune stehen, der den Kurgarten von der Promenade abgrenzte.

      Ein herrlicher Boston begann soeben. Es zuckte Bärbel in den Füßen. Die Brüder gruben ja doch nur an ihrer Höhle, sie würden die Schwester nicht vermissen. Die Kurkarte trug sie stets bei sich. Wenn sie nur einen einzigen Tanz auf dem Podium mittanzte, niemand würde es merken.

      Noch zögerte sie. Sie wußte genau, daß sie den ausdrücklichen Wünschen der Mutter entgegenhandelte. Aber wenn sie nicht einmal die blaue Kette bekam, wollte sie doch heute wenigstens einmal tanzen.

      Es zog sie mit aller Gewalt zu dem Platze hin. Sie reichte dem Kurdiener ihre Karte, sie näherte sich mit Herzklopfen dem Podium.

      Da war es ihr, als käme von der Promenade her ein dumpfer Ton. Noch ein zweiter folgte, ein dritter. Bärbel blieb stehen und schaute rückwärts. Sie erblickte zwei Männer, die jeder einen tanzenden Bären vor sich hertrieben. Nach dem klirrenden Ton des Tamburins tanzte Meister Petz täppisch umher.

      Ein Bär! – Bärbel stand plötzlich regungslos da. Durch die Straßen Dillstadts war auch einmal ein Bär gegangen. Oh, das war schon lange her. Damals war sie noch ein kleines Schulmädchen gewesen, das gerade nachgesessen hatte.

      Das liebliche Mädchenantlitz erglühte. Jener Bär damals war der Anfang von vielen schrecklichen Stunden gewesen. Sie hatte die Mutter belogen, war dann von ihrem Mitschüler Georg Schenk arg bedroht worden. Sie sollte Geld schaffen. Sie hatte die fünfzig Pfennige fortgenommen und das Hausmädchen in schlimmen Verdacht gebracht.

      Ein Zittern durchlief Goldköpfchens Körper. Es starrte auf den tanzenden Bär, stürmte plötzlich aus dem Kurgarten hinaus, hin zum Strande.

      Sie sah nur Kuno; und als er Bärbel erblickte, stürzte er ihr weinend entgegen.

      »Die Höhle ist soeben zusammengepurzelt, – der Martin ist futsch!«

      Aus dem Sande ragten nur zwei Stiefel hervor. In der nächsten Sekunde begann Bärbel fieberhaft zu wühlen, und wenige Augenblicke später zog sie den stark verstörten Bruder aus dem Sandhaufen hervor.

      Als er furchtbar zu schimpfen begann, hätte Bärbel am liebsten vor Freude geweint. Aber sie lachte krampfhaft und bekam dafür von Martin mehrere derbe Püffe.

      »Ach du«, sagte sie glücklich, indem sie den Bruder an sich riß, »ich bin so glücklich, daß du wieder da bist!«

      Nun begann Martin zu weinen, denn jetzt erst kam es ihm zum Bewußtsein, daß er in dem Sande hätte ersticken können. Aufs neue ergoß sich eine Flut von Scheltworten über Bärbel und Kuno.

      Und dann saß Bärbel still und versonnen in der Burg und atmete von Zeit zu Zeit schwer auf. Was wäre geschehen, wenn sie den einzigen Tanz getanzt hätte? Damals hatte ihr die gute Mutter verziehen, als sie den Bär vorgeschützt hatte. Heute wäre namenloses Elend über die Wagnersche Familie gekommen, wenn sie ihrem Verlangen nachgegeben hätte.

      Nun schämte sich Goldköpfchen. Wenn die Mutter ihr eben verbot, zu tanzen, mußte sie sich fügen.

      Es gab nicht einmal Vorwürfe daheim. Frau Wagner glaubte, daß die Knaben vorweggelaufen wären, und Bärbel konnte ihnen im Galoppschritt nicht nach. Und selbst, wenn sie sich absichtlich auf der Strandpromenade ein wenig verweilt hatte, durfte sie darüber auch nicht schelten. Ein großes Unglück war verhütet worden, die Knaben würden in Zukunft vorsichtiger sein.

      In den nächsten Tagen arbeitete Bärbel sehr fleißig an der großen Decke, die sie der Mutter zum Geburtstag schenken wollte, denn dieser Tag fiel noch in die Ferienzeit. Bärbel fühlte sich der Mutter gegenüber recht schuldig und nahm sich vor, Frau Wagner doppelt durch diese schöne Handarbeit zu erfreuen.

      Wenn sie aber so still an ihrer Arbeit saß, nagte doch manches an ihrer Seele. Das eine war die blaue Kette, das andere die verkürzte Ferienzeit. Bärbel wagte aber nicht mehr davon zu reden, sie fürchtete den strengen Ton der Mutter. Außerdem war der Vater inzwischen eingetroffen, man hatte manches Tanzvergnügen mit ihr besucht, aber Bärbel konnte nicht genug bekommen.

      Als sie eines Tages wieder, bepackt mit der großen Decke, zum Strande gehen wollte, um dort ungestört zu arbeiten, sah sie an einer leeren Bank eine kleine, schwarze Ledertasche hängen.

      »Wieder einer, der etwas vergessen hat!« Neugierig nahm sie die Tasche an sich, öffnete sie und erblickte darin zehn Zehnmarkscheine. »Ach – muß das eine Reiche sein, die hundert Mark in der Handtasche mit herumschleppt! – Wenn ich doch ein einziges Mal hundert Mark hätte!«

      Und während Bärbel die Scheine immer wieder durch die Finger gleiten ließ, träumte sie von seidenen Kleidern, einer blauen Kette, dem bunten Bademantel und einer grellgelben Badekappe.

      »Mumpitz«, sagte sie seufzend, »das ist ja nicht mein Eigentum. Aber wenn die reiche Frau die Tasche aus dem Bureau abholt, wird sie mir sicher einen fabelhaften Finderlohn geben. Dann kaufe ich mir doch die blaue Kette. Die Mutti wird dann auch nichts mehr dagegen haben.«

      Wieviel Finderlohn würde sie wohl bekommen? Ganz bestimmt doch zehn Mark. – Vielleicht gab man ihr auch zwanzig. Vielleicht sagte die Betreffende auch, daß ihr an dem Gelde gar nichts liege. Denn wenn man hundert Mark alltäglich mit sich herumträgt, mußte man furchtbar reich sein.

      Sorgsam steckte Bärbel alles in die Tasche zurück. Es war wohl am besten, sie ging gleich nach dem Fundbüro.

      Aber da stürmte ihr auch schon ein junges Mädchen entgegen.

      »Meine Tasche, meine Tasche!«

      Voller Staunen betrachtete Bärbel die Erregte. Lieber Himmel, hatte die ein hageres Gesicht und so ein einfaches Kleid. Die sah doch gar nicht aus, als ob sie sehr reich sei.

      Bärbel versteckte die gefundene Tasche auf dem Rücken.

      »Sie werden einsehen, mein Fräulein, daß ich zuerst ein Verhör mit Ihnen anstellen muß, ehe ich Ihnen die Tasche zurückgeben kann.«

      Mit fliegendem Atem schilderte die andere, was sich in der Tasche befände, so daß Bärbel keinen Zweifel mehr hegen konnte, daß sie die rechtmäßige Besitzerin vor sich