Sein Pech nahm einfach kein Ende. Eine Woche war vergangen, seit Antoine mit seinem Vierzigtonner in Richtung Südspanien gestartet war, schwer beladen mit Maschinenteilen. Jetzt befand er sich mit einer Ladung Gipskartonplatten auf dem Rückweg.
Sein Fuß trat das Gaspedal durch bis auf das Bodenblech, er wollte am späten Nachmittag zu Hause sein, um seinen kleinen Sohn vor dem Schlafengehen wenigstens einmal kurz in den Armen halten zu können. Ein schwaches, kaum spürbares Vibrieren im Lenkrad kündigte an, dass sich dieser bescheidene Wunsch in Luft auflösen sollte. Die Unruhe steigerte sich ziemlich schnell zu einem Schlingern, verursacht von einem Reifenschaden am Auflieger. Die Bewegungen des Lastzuges in den Rückspiegeln kontrollierend, rettete sich Antoine mit langsamer Geschwindigkeit auf einen kleinen Parkplatz. So blieb es ihm immerhin erspart, den Reifen mitten im Verkehr auf der Straße wechseln. Aber der Austausch kostete ihn viel Zeit, zu viel, um noch pünktlich heimzukommen. Damit war nun auch der sechste Wochentag verdorben.
Mit seiner Frau telefonierte er per Handy, sie reagierte wie erwartet verschnupft auf die Ankündigung, dass es wieder einmal spät werden würde.
Auch sein Versprechen, den Lastzug nur schnell auf dem Hof der Spedition zu parken, vermochte ihre Stimmung nicht aufbessern.
Jetzt waren ihm auch noch die Zigaretten ausgegangen. Als reichte sein Pech nicht, fuhr er in eine Gewitterfront hinein. Zunächst nur ein paar vereinzelte, dicke Tropfen, die auf die Frontscheibe klatschten, steigerte sich der Regen schnell zu einem nicht enden wollenden, kräftigen Schauer.
Antoine verließ bei der nächsten Raststätte die Autobahn, auf die paar Minuten würde es nun nicht mehr ankommen.
Er suchte sich einen der wenigen freien Plätze, schloss die Fahrertür ab und lief durch den Regen zum Gebäude. Der Zigarettenautomat stand im Eingangsbereich, hastig zog er sich eine Schachtel. An dem Hinweisschild mit dem Pfeil zur Toilette blieb er kurz stehen, neigte grübelnd den Kopf. Der Fernfahrer entschied sich gegen den Toilettenbesuch und beeilte sich, zurück in sein Führerhaus zu gelangen. Das T-Shirt und seine dunklen Haare waren auf dem kurzen Weg patschnass geworden. Er strich sich durch die Frisur und trocknete die Hände an seiner Jeansjacke, die neben dem Sitz hing.
Als die Zigarette brannte, startete er den Motor, schob den Gang hinein und fuhr los. Schwerfällig setzte sich der Sattelschlepper in Bewegung und reihte sich wieder in den schwachen, nächtlichen Verkehr der A 31 ein. Er befand sich jetzt unmittelbar vor Metz. Gleich darauf glitten schemenhaft die Lichter der Stadt an den von den Regentropfen glitzernden Seitenscheiben vorbei.
Ein paar Kilometer hinter Metz wechselte der Lastzug die Autobahn. Die Fahrt ging weiter auf der L’Autoroute de L’Est, die er an der zweiten Abfahrt, gleich hinter Argancy verlassen würde.
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Der Mann hielt den Kleintransporter mitten auf der Autobahnbrücke an. Durch den heftigen Regen waren die Lichter der wenigen Fahrzeuge, die unter ihm die Autoroute befuhren, nur als verzerrte Punkte zu erkennen. Bessere Bedingungen für sein Vorhaben konnte er sich kaum wünschen. Jeder, der jetzt noch unterwegs war, interessierte sich nur dafür, einigermaßen trocken nach Hause zu kommen. Niemand würde sich für einen mit einer Reifenpanne liegen gebliebenen Kastenwagen scheren, geschweige denn anhalten und bei dem Regen seine Hilfe anbieten.
Es war ein makaberer Zufall, dass Felix die letzte Fahrt seines Lebens ausgerechnet in dem mit Werkzeugen und Ersatzteilen vollgepackten Transporter eines Klempners unternahm. Schließlich arbeitete er selbst auch in diesem Beruf.
Aber er bekam es ohnehin nicht mit, bewusstlos lag er auf dem Boden des Fahrzeugs, in dem schmalen Gang zwischen den Regalen.
Dem Mann, der ihn in diesen Zustand versetzt hatte, war es nur unter äußersten Anstrengungen gelungen, ihn in diese Position zu bugsieren.
Der Fahrer schaute sie noch einmal lauernd nach allen Seiten um, zog sich die Kapuze über den Kopf und stieg aus.
Er ging nach hinten, öffnete die rechte Heckklappe und löste von oben die Flügelschraube des Reserverades, das unter dem Wagenboden hing. Endlich ließ es sich aushaken und klappte nach unten. Er musste es hin und her bewegen, bis es sich aus der Halterung herausziehen ließ. Gut sichtbar lehnte er es an das Heck. Jeder vorbeifahrende Fahrer würde es im Scheinwerferlicht wahrnehmen können, damit erübrigten sich neugierige Fragen. Vom nicht nachlassenden Regen mittlerweile völlig durchnässt, trat er an die rechte Seite des Transporters. Wieder schaute er sich um.
Aber es war weit und breit niemand zu sehen, der den Plan durchkreuzen und Felix Schicksal abwenden konnte. Auf der kleinen Straße war kein Auto mehr unterwegs. Unten auf der Autobahn war der Verkehr ebenfalls spärlich geworden, gelegentlich zog ein Lastzug in einer Gischtwolke monoton seine Bahn.
Mit einem metallischen Geräusch öffnete sich die Schiebetür. Das Opfer lag zusammengekrümmt auf dem schmuddeligen, von derben Handwerkerschuhen geschundenen Fußboden. Es stöhnte schwach, das linke Bein zuckte. Als wolle Felix aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen, zurückkehren ins Leben. Aber sein Mörder ging auf Nummer sicher. Wieder krachte der Totschläger auf den Kopf, diesmal auf die Schläfe. Es gab ein sattes Aufschlaggeräusch, das sogar den trommelnden Regen übertönte. Dabei hinterließ das teuflische Werkzeug kaum Spuren. Kein Blut, nicht einmal kleine Tropfen, nur eine Rötung.
Auch die würde bald verschwunden sein.
Das Zucken des Beines unterblieb augenblicklich, Felix dämmerte seinem Tod entgegen.
Am Fuß wollte er ihn aus dem Wagen ziehen, aber das andere Bein knickte ein, der Körper verkeilte sich und bewegte sich schließlich keinen Millimeter weiter. Keine Chance, er musste hineinklettern und über den Mann treten. Nur so konnte er den Oberkörper anheben und ihn aufrichten. Die Schultern festhaltend bugsierte er ihn weiter, bis die Füße zur geöffneten Schiebetür zeigten. Schließlich sah es so aus, als hätte sich Felix für eine kurze Pause in den Wagen gesetzt und an das Regal gelehnt. Der Transporter war so dicht an den Straßenrand gefahren worden, dass die aufgeklappte Hecktür gegen das Brückengeländer stieß. Damit war nach hinten ein akzeptabler Sichtschutz vorhanden. Jetzt musste nur noch die Beifahrertür geöffnet werden und er befand sich wie in einem kleinen Separee, von beiden Seiten der kleinen Landstraße vor neugierigen Blicken geschützt. Die Fahrer auf der Autobahn unter ihm konnten wegen des Regens und der Dunkelheit nicht erkennen, was sich gerade auf der Brücke über ihnen abspielte. Durch die Seitenscheibe des Fahrerhauses hindurch beobachtete der Mann den Verkehr, der die Autoroute in Richtung Osten befuhr. Er wartete mit aller Seelenruhe auf einen Lastzug, der über eine weite Strecke allein angefahren kam. So ließ er mehrere Fahrzeuge, die ihm ungeeignet schienen, passieren. Dann endlich näherte sich in einiger Entfernung ein Lastwagen, dahinter blieb die Autobahn auf einer langen Strecke dunkel, kein anderer Wagen war in gleicher Richtung unterwegs. Auf dem Dach des Führerhauses brannte ein ganzes Lichterband von zusätzlichen Halogenscheinwerfern, das Fahrzeug wirkte wie eine rollende Leuchtreklame.
Der Mann bewegte sich jetzt schneller.
Der Mörder beugte sich in den Transporter, ergriff Felix’ Arm und zog sich den Mann wie einen Sack auf die Schulter. Dann drückte er sich aus der Hocke in den Stand und machte zwei Schritte zum Geländer. Er drehte sich wieder nach hinten, um durch die Scheibe den Laster zu beobachten. Aber der war bereits im toten Winkel verschwunden und nicht mehr zu sehen.
Angestrengt lauschte er auf das Fahrgeräusch des Lastzuges.
Dann ließ er Felix los und gab dem rutschenden Körper mit einer schnellen Schulterbewegung zusätzlichen Schwung. Das Gewicht des Körpers verschwand, der Bewusstlose fiel hinunter ins Dunkel.
Keine Sekunde zu früh. Schon war das Rauschen der Reifen auf dem nassen Asphalt zu hören. Das Motorengeräusch des Lasters wurde durch die kurze Brückendurchfahrt verstärkt.
Der Aufprall des Körpers ging für den Mann auf der Brücke in dieser Geräuschkulisse unter. Er schaute sich für einen kurzen Augenblick das nun folgende Schauspiel an. Über sein markantes Gesicht glitt der Hauch eines zufriedenen Grinsens.
Dann schloss er die Seitentüren, hob das Reserverad