Jahr der Ratten. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017168
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immer weiter zurück, bis sie sich isoliert vorkam. Seit Anfang des Jahres war ihr Ehemann wieder Zivilist, der Armeedienst war endlich beendet. Er arbeitete nun in dem kleinen Handwerksbetrieb ihres Vaters, einem Installateur. Ihr gemeinsames Leben sollte jetzt wieder in geordneteren Bahnen verlaufen.

      Marguerite, die Gastgeberin, eine attraktive Rothaarige mit üppigen Rundungen, verwöhnte ihre Gäste mit einem exzellenten Menü.

      Nach dem Essen wurden Zigaretten angezündet, Musik lief im Hintergrund. Bei Rotwein und Cognac wurde die Stimmung immer ausgelassener. Marguerite war es dann auch, die an der Stereoanlage hantierte. Plötzlich dröhnte laute Partymusik durch den Raum und übertönte die Gespräche.

      Die ersten Paare tanzten auf der schmalen Fläche zwischen dem Wohnraum und dem Esszimmer. Auch Felix und Odette drehten ein paar Runden, setzten sich aber bald wieder an den Tisch. Es dauerte nicht lange und die angeheiterte Gastgeberin zog Felix mit einem verlockenden Grinsen einfach vom Tisch weg. Odette registrierte es mit zusammengekniffenen Brauen. Nach einem Tanz versuchte sie, Blickkontakt mit ihrem Mann aufzunehmen, aber der reagierte nicht und tanzte ausgelassen weiter. Marguerites Ehemann saß ihr gegenüber und schien ihren Unmut bemerkt zu haben. Er verwickelte sie in ein Gespräch und lenkte sie damit eine Weile ab. Als sie wieder herüberschaute und registrierte, was sich auf der Tanzfläche abspielte, zogen sich ihre dunklen Augen zu wütenden Schlitzen zusammen.

      Die Tanzpartnerin ihres Mannes hatte die Vierzig schon vor Jahren überschritten und war damit deutlich älter als die anderen Damen, die gerade an die Dreißig heranreichten. Vielleicht setzte sie deshalb zur Steigerung ihres Selbstwertgefühls ihre unübersehbaren Reize gezielt ein. Mit ihrem eng anliegenden schwarzen Kleid schmiegte sie sich dicht an Felix, der ihre Hüfte mit beiden Händen umfasste und dabei schon viel zu tief nach unten gerutscht war. Der Kopf der Frau war leicht nach hinten gestreckt, ihr Mund lächelte verführerisch. Es hatte den Anschein, als präsentiere sie ihm ihr Dekolleté auf dem Silbertablett. Felix stierte wie hypnotisiert auf die Brüste. Odette holte tief Luft und sah Marguerites Ehemann vorwurfsvoll an, der verlegen lächelte.

      Die Musik wurde schneller und die Rothaarige drehte auf. Im Rhythmus der Musik schüttelte sie ihren Körper von oben nach unten durch und rieb dabei ihre Brüste aufreizend an Felix Oberkörper.

      Das war zu viel für die gebürtige Südfranzösin, sie explodierte förmlich. Odette knallte ihr Glas auf den Tisch, dass die Flüssigkeit heraus schwappte und einen hässlichen Fleck auf der Tischdecke hinterließ. Während die Anwesenden sie verdutzt anstarrten, sprang sie auf, griff ihre Handtasche und schoss los. Elodie und Danielle liefen noch hinterher und versuchten, sie im Flur zurückzuhalten, aber es war längst zu spät. Es gab nichts mehr zu retten. Odette hatte beschlossen, wütend zu sein.

      Im strömenden Regen liefen die beiden zum Wagen, der weiter vorn am Straßenrand parkte. Sie tippelte mit kleinen, schnellen Schritten vorweg, die Handtasche hielt sie dabei wie einen schützenden Baldachin über dem Kopf, er lief wie ein begossener Pudel hinter ihr her. Bemüht, sie einzuholen und ihr die Wagentür zu öffnen, damit die Frisur nicht noch weiter ruiniert wurde und er überhaupt keinen Zugang mehr zu ihr fand. Felix hatte zunächst gar nicht wahrhaben wollen, dass für sie der Abend gelaufen war, noch bevor er richtig angefangen hatte. Schließlich war er sich keiner Schuld bewusst, er hatte doch nur getanzt.

      „Fahr endlich“, brüllte sie ihn an, als er sie bittend anschaute und keine Anstalten machte, den Motor zu starten.

      Die ersten Meter saßen sie nebeneinander und sprachen kein Wort. Bis er an einer Kreuzung anhalten musste und wieder herüberschaute.

      „Sie ist eine Nutte“, zischte Odette. „Sie hat eine Familie und macht sich an dich ran.“

      „Bitte, das kannst du nicht ernst meinen. Wir haben doch nur getanzt.“

      „Aber wie. Du hast sie mit deinen Augen ausgezogen. Es fehlte nicht viel und du hättest sie auf der Tanzfläche gef... .“

      Der Rest des Satzes ging in Schluchzen unter, dicke Tränen zerstörten das Make-up und liefen über ihr Gesicht, sie vergrub es in den Händen. Felix legte seine Hand vorsichtig auf ihren linken Arm, aber sie stieß ihn mit Schwung weg.

      „Ich werde dieses Haus nie wieder betreten. Ich will diese ..., diese Person niemals wiedersehen.“

      Den Rest der kurzen Fahrt schwiegen sie. Nur der Regen prasselte monoton auf die Scheiben, untermalt von den gleichmäßigen Geräuschen der Scheibenwischer.

      Das Ehepaar bewohnte einen pavillonähnlichen Bungalow, einige Schritt weit von der Straße entfernt, war er nur über einen Fußweg zu erreichen.

      Gewöhnlich hielt Felix deshalb in Höhe des Weges und ließ seine Frau aussteigen. Er fuhr anschließend den Wagen in die Garage, die sich direkt neben dem Gehweg befand.

      Der Renault rollte am Bordstein aus. Er stand noch nicht ganz, da flog bereits die Beifahrertür auf.

      Trotz des Regens, der auf das Blechdach prasselte, ließ sich der Streit zweier Menschen vernehmen.

      Eine Frau in Abendgarderobe sprang aus dem Wagen. Eine kleine, untersetzte Frau mit einem kräftig ausladenden Hinterteil und zu kurzen, viel zu kurzen, stämmigen Beinen, alles andere als eine Traumfigur.

      Sie lief, die Handtasche zum Schutz der Frisur über den Kopf haltend, den Weg entlang bis zum Haus. Kurz vor dem Haus erwischte sie mit ihrem Pumps eine tiefe Wasserlache und hüpfte ein paar Schritte auf einem Bein. Der Wagen blieb unverändert stehen. Erst als sie im Haus verschwunden war, setzte er sich wieder in Bewegung. Der Renault wurde vor die Garageneinfahrt rangiert. Eine Fernbedienung ließ das Tor nach oben schwingen. Dann fuhr der Wagen schwungvoll hinein, der Motor erstarb.

      Die Ankunft des Ehepaares war von einer dunklen Gestalt beobachtet worden. Den Kopf von einer Kapuze geschützt, schlich sich diese Person im Schutz des Regens heran und lauerte jetzt neben der Außenmauer auf das Herauskommen des Fahrers. Das Klappen der Fahrertür ließ auf sich warten. Plötzlich heulte der Motor wieder auf, genauso schwungvoll wie zuvor wurde das Fahrzeug nun rückwärts aus der Garage herausgefahren. Der Unbekannte fluchte und sprang hektisch in ein Gebüsch, um nicht von den umherirrenden Scheinwerfern erfasst zu werden. Die Rückleuchten verschwanden in der Dunkelheit, während sich das Tor schloss.

      Unverrichteter Dinge zog sich der Mann wieder in den weißen Kastenwagen zurück, der wenige Meter entfernt am Straßenrand stand.

      Durch die beschlagenen Scheiben war zu erkennen, dass die Kapuze nach hinten geschlagen wurde und die Gestalt in dem Sitz nach unten rutschte, bis sie gerade noch über das Armaturenbrett herausschauen konnte. Die Person schien sich auf eine längere Wartezeit einzurichten.

      Keine fünfzehn Minuten später tauchte der Renault wieder auf, stand wartend vor dem aufschwingenden Garagentor und fuhr gleich darauf wieder hinein. Wieder wurde der Motor abgestellt, eine Tür klappte.

      Felix stieg aus.

      Einen billigen Blumenstrauß in Klarsichtfolie, für Odette hastig an der nächsten Tankstelle besorgt, hielt er in der linken Hand.

      Er drückte auf den innenliegenden Schalter.

      Als er wegen des herunterlaufenden Tores gebückt aus der Garage heraustrat, traf ihn ein Schlag völlig unvermittelt auf den Hinterkopf. Die Wucht war so stark, dass er benommen einige Schritte nach vorn taumelte und langsam in die Knie sackte. Bevor er sich mit der Hand abstützen konnte, traf ihn der mit Blei gefüllte Lederbeutel ein weiteres Mal hart am Kopf. Er verlor augenblicklich das Bewusstsein und fiel auf den nassen Asphalt.

      Der Versöhnungsstrauß, zu einem letzten Gruß verkommen, lag achtlos auf dem Asphalt. Nachdem der schwere Körper in den Lieferwagen gewuchtet war, beförderte ein Tritt die Blumen weiter in die Gosse, wo das Regenwasser sie mitspülte, bis sie am Gitter des nächsten Gullys hängen blieben.

      ****

      „Merde“.

      Antoine Baudan schüttelte verärgert den Kopf und zerquetschte mit seiner rechten Pranke die leere Gitanes Schachtel. Er schleuderte sie wütend quer durch das Führerhaus