“Silke ist nett, keine Frage – ich bin nicht sicher, ob wir so viele Gemeinsamkeiten haben.”
“Du meinst, sie hat die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen?”
“Arme Silke, sie hat dir doch nichts getan.” Magnus dachte an Silkes rosig-süße Fruchtkaugummi-Erotik, die ihn nicht unbeeindruckt gelassen hatte.
“Sie mochte Metallica nicht. Das reicht.”
“Du hast recht, das ist ein Problem.” befand Magnus kritisch.
“Es wäre toll, wenn sie sich in einen Kasten Bier verwandeln, nach dem Abspritzen.”
“Ich dachte, du glaubst an die große Liebe?” Magnus hatte es nicht fassen können, als Maik ihm das einmal im Suff gestanden hatte. Er wäre dafür sogar bereit, hatte er gelallt, von Actionfilmen auf französische Gesprächsorgien umzusteigen.
“Ja, später. Jetzt müssen wir die Sau raus lassen, Alter. Wir sind jung, gebildet und schön. Später wollen sie nur noch unser Geld.”
Magnus seufzte.
“Manchmal denke ich, ich sollte Geld dafür nehmen, dass ich mir deine Sprüche anhöre.” “Arschloch.” “Selber Arschloch.” Beide versuchten, möglichst dreckig zu lachen.
Eva war enttäuscht. Sie hatte keine Goldmünzen erwartet, aber mehr als einen Haufen Papier. Keine silbernen Löffel, keine alte Spieluhr, keine Fotos. Die Unterlagen in dem Koffer wirkten so aufregend wie ein Stapel alter Schulhefte. Das Hakenkreuz auf der obersten Mappe machte das Ganze so unsympathisch, dass sie gar nicht wissen wollte, um was es da ging. Sie öffnete mit spitzen Fingern den Pappdeckel. Ein Brief, englisch, an Albert Slane von einem Herrn Müller. Die Tinte des großen Confidential-Stempels war verblasst. Sie klappte den Deckel wieder zu. Am Rand des Koffers steckte ein Bündel Briefe. Eva nahm es heraus – ungefähr zwanzig Umschläge in unterschiedlichen Größen und Farben, sie waren mit Paketkordel verschnürt. Auf dem obersten las sie den Namen der Adressatin, Anna Brandt in Frankfurt. Absender war ein Georg Drache, anscheinend bei allen. Sie legte die Briefe zurück und nahm sich vor, morgen nochmal einen Blick darauf zu werfen. Langsam klappte sie den Koffer zu. Gleich würde es klingeln, Julius hatte schon das Feuer angemacht, sie roch den Anzünder. Sie stand auf und besah sich im Spiegel, zog ihre Jeans zurecht, prüfte den Sitz ihrer Bluse. Sie entschied sich, noch einen Knopf zu öffnen. Dann machte sie ihn wieder zu. Dann öffnete sie ihn wieder. Einmal noch die Haare hinter die Ohren klemmen. Die Ohrringe passten zur Bluse. Der Armschmuck war unpraktisch, aber das war egal. Irgendwie musste sie ja gegen Silke anklimpern.
Erst als sie nach unten ging und auf dem Weg in den Garten durch die Türklingel gebremst wurde, fiel ihr auf, was an den Briefen interessant war.
Sie waren ungeöffnet.
“Hallo.” sagte Magnus. Diesmal bekam Eva einen Kuss auf die Wange. Ohne zu wissen, dass es Benetton war, mochte Magnus ihr Parfüm. Er hatte seine Gitarre mitgebracht. “Hi.” grüßte Maik. Er stutzte bei Evas Anblick. Sie ging auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. “Kommt.” sagte sie. Magnus folgte ihr. Maik blieb noch eine Weile benommen stehen. Ein Kribbeln am Hals – Shampoo, Creme, was auch immer, er war bezaubert. Er tastete nach seinen Zigaretten und versuchte, seine Haare doch noch zu bändigen.
Auf der Terrasse machte Julius sich am Grill zu schaffen. Silke lümmelte bereits auf einer gepolsterten Liege. Davor lagen rosafarbene Flip-Flops. Kettchen und Ringe schmückten ihre Ohrläppchen, Hand- und Fußgelenke, ihre Finger und sogar ihre Zehen. Unter dem dünnen T-Shirt zeichneten sich die Brustwarzen ab.
“Na?” Maik stellte sich neben Julius.
“Na?”
“Was gibt es denn Gutes?”
“Fleisch.”
Maik sah hinüber zu Silke, die davon nichts mitbekam.
“Das sehe ich.”
Julius folgte seinem Blick, grinste still und fachte die Glut mit einem Pappdeckel an.
“Hallo Magnus.” hauchte Silke und gab ihm einen Kuss auf die Wange, als er sich zu ihr auf die Liege setzte. Maik winkte sie nur.
“Wollen wir eine Wette abschließen?” flüsterte Maik Julius zu.
“Ich bin zwar klein, aber nicht doof. Hier ist ja wohl alles klar. Fehlt nur noch, dass sie fragt, ob sie ihm ein Bier bringen kann.”
“Schade, ich hätte ein paar Mark extra gut gebrauchen können. Wo ist hier die Toilette?”
“Direkt beim Eingang, links. Licht ist außen.”
“Danke.”
Maik ging hinein. Vielleicht ließ sich an seiner Frisur noch etwas machen. Er wollte gut aussehen. Im Flur blieb er an einer Wand voller Fotos hängen. Säuglinge, Evas Eltern am Strand, beim Spielen mit ihrer Tochter, Julius auf dem Schoss einer älteren Frau. Maik dachte an sein Zuhause. Dort hingen nur Bilder, die angeblich gute Wertanlagen waren und Besucher beeindruckten. Er war immer neidisch gewesen, wenn jemand auf eine kleine Schwester aufpassen musste oder mit einem großen Bruder drohen konnte. Andächtig schlenderte er ins Esszimmer. Der lange Tisch sah benutzt aus. Krümel, Stifte, beschriebene Notizzettel, ein aufgeschlagenes Buch und eine halb abgebrannte Kerze. Hier wurde gemeinsam gegessen und diskutiert, nicht nur an ein paar Festtagen im Jahr. Bestimmt gab es hier kein gutes Porzellan nur für Gäste. Wenn sein Vater mit den Goldrand-Tellern prahlte, wollte Maik ihn am liebsten anschreien, dass er ein Versager war, wenn er sich keine komplett goldenen Teller leisten konnte.
Das Esszimmer öffnete sich zum Wohnzimmer. Maik schritt wie durch eine Kirche. Links am Fenster stand ein lederner Sessel, darauf eine zerlesene Zeitung, beschienen von einer Stehlampe aus Messing. Die Überschrift auf der Zeitung fiel Maik ins Auge. Ein Bild vom alten Gringo, darunter das Foto eines Ölgemäldes. Die Rubrik hatte einen unaussprechlichen Titel, der mit Feullio … irgendwas begann. Hinten in der Ecke stand ein Klavier. Wer wohl spielte? Natürlich kein weißer Flügel wie daheim, natürlich.
Es roch nach Pfeifentabak, auf einem Beistelltisch sah Maik einen Aschenbecher und zwei Pfeifen liegen. Er mochte den Geruch, viel lieber als den der Zigarillos seiner Mutter. Das hier war anscheinend die Arbeitsecke von Herrn Siebeling. Was auch immer er hier machte, es fand inmitten der Familie statt. Sein eigener Vater schloss sich gern ein. In seinem Arbeitszimmer glotzten stumm die ausgestopften Ergebnisse seiner Jagdleidenschaft von den Wänden. Ein aus einem Elefantenfuß gefertigter Papierkorb sollte Rücksichtslosigkeit und Stärke symbolisieren. Goldgefasste Schnitzereien aus Elfenbein machten auch dem Dümmsten klar, dass der Sohn des Hauses ein armer Tropf war.
Maik war durch, dort ging es in die Küche. Er konnte Eva durch die offene Tür sehen. Sie band gerade die braunen Haare zu einem Zopf zusammen, dann beugte sie sich wieder über die Arbeitsplatte und schnitt eine Zucchini. Der Klang ihrer Armreifen fuhr ihm direkt ins Herz. Er sah ihr zu, eine, zwei Zucchinis lang, genoss leidend den Anblick ihrer nass glänzenden Hände, hing an jeder ihrer Bewegungen. Jetzt waren Karotten dran. Er hielt es nicht mehr aus.
“Kann ich dir helfen?” fragte er.
Eva erschrak.
“Äh, nein. Es sei denn, du bist passionierter Gemüseaufschneider.”
“Aufschneider ja, Gemüse nein.”
Eva sah ihn verwundert an, dann schnitt sie weiter.
“Das wundert mich nicht, ist dein Vater nicht … so eine Art Metzger?”
Maik seufzte.
“Ja, Fleischproduzent offiziell. Metzger ist aber auch richtig, zumindest hat er das mal gelernt. Ich …” weiter kam Maik nicht, Magnus stand in der Tür.
“Kommt ihr? Das Fleisch ist fertig. Julius ist ein echter Meister-Griller.”
Maiks und Evas Blicke trafen sich kurz. Dann sah sie sein T-Shirt – Bier formte diesen schönen Körper. Sie fand, dass er traurig aussah, das Lächeln