Ein Bild vom alten Gringo. Tilman Weysser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilman Weysser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783738032253
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      Als sie später in Evas Zimmer auf dem Boden saßen, hatte Julius sich schon ins Bett verabschiedet.

       “Sag mal, ist dein Bruder …” Maik merkte, wie ihn der Mut verließ, denn Eva sah nicht so aus, als ob sie seiner Frage wohlgesonnen wäre.

       “Also, ich …”

       “Was denn?” Eva hob die Augenbrauen.

       “Ach nichts.”

       “Du hattest doch den ganzen Tag Gelegenheit, ihn selbst zu fragen.”

       Maik wurde rot. Mit Eva war wirklich nicht gut Kirschen essen.

       “Wusstest du, dass deine Oma Nazi ist?” wollte Silke wissen.

       “Darüber haben wir nie gesprochen. Sie ist nicht … kann sie ja schlecht einfach so fragen. Oder doch, warum eigentlich nicht.”

       “Genau, dann frag sie auch …” Maik entging nur knapp dem Fettnäpfchen, wozu Oma denn die Knarre brauchte.

       “Was?” wollte Eva wissen.

       “Nichts.” versuchte Maik seine Frage vergessen zu machen. Er überlegte fieberhaft, dann kam ihm der rettende Gedanke. “Na, bei welchem Panzerhersteller sie ihre Möbel gekauft hat. An dem Schrank hab’ ich mir fast die Zähne ausgebissen.”

       “Hättest ja das Brecheisen nehmen können, warum kaust du auch drauf herum.” bemerkte Magnus.

       Eva wünschte sich plötzlich, Magnus bei den Schultern zu packen und ihn kräftig zu schütteln. Silkes Knie blieb immer in Kontakt mit seiner Hüfte. Außerdem beunruhigten sie Maiks Blicke. Er hatte offenbar kein Interesse an Silke. Mit seiner Militärjacke und den Bundeswehrstiefeln sah er nicht gerade vertrauenswürdig aus. Um ihn abzulenken schlug sie vor, den Koffer zu öffnen.

       “Kein Problem.” verkündete Maik. Er brauche nur eine Haarnadel. Eva gab sie ihm und er machte sich daran, in den Schlössern herumzustochern.

       “Wie lange habt ihr noch Ferien?” wollte Silke von Magnus wissen.

       “Diese Woche und dann noch die nächste. Ende des Monats geht es zurück in die Schweiz.”

       “Macht ihr nächstes Jahr auch Abitur?”

       Magnus nickte.

       “Leider.” brummte Maik, der noch immer mit dem Schloss zu gange war.

       “Wieso leider?” fragte Eva.

       “Schule ist gar nicht so schlecht. Wenn es vorbei ist, muss ich vermutlich in die Firma einsteigen. Vielen Dank.”

       “Wo ist die Firma?” fragte Silke, um irgendetwas zu sagen.

       “Steinbach.” murmelte Maik konzentriert.

       “Und, Internat? Wie ist das so?” Für Silke unvorstellbar, in einer Schule zu wohnen.

       “Ganz OK eigentlich. Sind halt viele Durchgeknallte da mit superreichen Eltern, das nervt manchmal. Maik und ich, wir haben glaube ich Glück gehabt, oder? Maik, sag ja.” Maik tat es. “Was denn für Superreiche, kennt man die?” Silke war fasziniert. “Managersöhne von Ikea und Müller Milch, eine Tochter von Mugabe haben wir da, eine Enkelin von de Gaulle, eine Verwandte von Bismarck …” “Ich meine jemand, den man so kennt.” unterbrach Silke Magnus. “Die kennt man doch.” Magnus warf Eva einen fragenden Blick zu. “Also, berühmte Prinzen oder so was haben wir glaube ich derzeit nicht im Angebot. Maik?” “Nein, keine Prinzen.” Maik verlor das Interesse an dem Koffer. “Ein uraltes Ding, so was war kein Bestandteil meiner Verbrecher-Ausbildung.” Magnus versuchte sein Glück. Es dauerte keine Minute. Mit einem hörbaren Klack schnappte das erste Schloss auf. Das zweite war zäher. Magnus bohrte fast zehn Minuten darin herum, dann gab auch er es auf.

      Nach einer Stunde taten Bier und Müdigkeit ihre Wirkung. Die Jungs machten sich auf den Heimweg.

       “Sehen wir euch noch mal?” wollte Silke wissen. “Vielleicht morgen?”

       “Keine schlechte Idee.” log Magnus, denn jetzt wollte er erst einmal ins Bett und am liebsten zwei Tage durch schlafen. Der Gedanke, morgen wieder Kartons zu wuchten, schmeckte ihm gar nicht. Aber das war auch eine Gelegenheit, Eva wiederzusehen.

       “Ich rufe an, wenn wir wach sind. OK, Eva?”

       Sie nickte.

       “Vielen Dank nochmal, ihr beiden.” Sie brachte Magnus und Maik zur Haustür und sah dem Wagen einen Moment nach. Dann bereitete sie das Gästezimmer für Silke vor, die inzwischen den Fernseher eingeschaltet hatte. Formel Eins verpasste sie nie. Eva setzte sich zu ihr, steckte die verbogene Haarnadel in das noch verriegelte Schloss des Koffers und bewegte sie hin und her. “Die Frisur ist doch total bescheuert.” Silke mochte Tina Turner nicht, die auf Platz eins war. “Mir egal, ehrlich gesagt. Besser als das ewige Gedudel von … ups.” Eva erschrak, als es plötzlich Klack machte.

      *****

      2. Unschuld

      Frankfurt, August 1935

      Gustav liebte seine kleine Schwester. Quietschend vor Vergnügen saß Maria in dem Bollerwagen, in dem er sie rumpelnd durch den Garten zog, um den steinernen Tisch herum, einmal ums ganze Haus, dann gleich noch einmal, sie wollte immer weiter fahren. Es störte ihn nicht, dass sie als Lohn für die Fahrt kräftig an seinen Haaren zog, wenn er sie aus dem Wagen hob und an die Hand nahm. Sie war noch wacklig auf den Beinen. Vom ersten Tag, als die Mutter erlaubt hatte, dass er ins Schlafzimmer kam nach der langen Nacht, nach dem Schreien und dem aufgeregten Hin- und Her-Rennen, als er sie da winzig liegen sah, war er in sie vernarrt. Einmal hatte er seiner Mutter gesagt “Gut hast du das gemacht, ab heute kümmere ich mich um sie. Ich nehme sie jetzt.” Da hatte Gustavs Mutter ihn freundlich angeschaut, “Du bist erst fünf Jahre alt. Wie willst du denn auf sie aufpassen? Ich bin doch da für sie.” Er hatte in das runzlige Gesichtchen gesehen, das von einer kleinen weißen Haube umrahmt friedlich schlief. Dann hatte er entschlossen aufgeschaut und gesagt “Ich helfe dir, Mama”. Sie war einverstanden gewesen. Nur der Vater hatte etwas zu schimpfen gehabt. Anscheinend mochte er Maria nicht so gern, weil sie ein Mädchen war. Vater schimpfte ein paar Tage mit seiner Mama, dann weinte sie und war ganz traurig.

      Auch wenn sie nicht weinte, sah Gustavs Mutter manchmal traurig aus, sogar wenn sie lachte. Da waren dann Gäste im Haus, Leute in bunten Kleidern, die mit Stiefeln durch die Halle klapperten und knallten. Das fand Gustav gut, wenn sie die Schuhe zusammen schlugen. Zack! Aber er fürchtete sich auch und versteckte sich meistens unter der Treppe. Er passte ganz gut durch das winzige Türchen, das in einen kleinen Raum für das Lagern von Koffern führte. Wenn er da drin saß, konnte er alles hören, was gesprochen wurde. Am allerbesten war, dass er durch die Ritzen zwischen den Brettern sehen konnte, direkt in das Esszimmer. Meistens waren die Gäste laut, riefen und lachten. Dann war Gustav froh, dass er versteckt war – es war ihm doch ein bisschen zu unheimlich. Einen der Herren, die da kamen, fast einmal die Woche, den fand Gustav besonders unheimlich, weil er so groß war, und dick war er auch. Der rote Kopf sah immer so aus, als würde er gleich platzen oder herunterfallen, so eng saß der Kragen. Obendrauf waren wenige Haare, aber sehr gut gekämmt. Der Herr hatte eine Uniform an, in grau. Vorne hingen allerlei bunte Metallsachen an ihm dran, sogar ein Schwert hatte er dabei. Davor hatte Gustav am meisten Angst, sein Vater aber überhaupt nicht. Auch Gustavs Mutter schien das gar nicht zu stören, wenn der große laute Mann da war, obwohl er doch ein Schwert hatte. Er fasste Gustavs Mutter immer am Kinn, wenn der Vater nicht hinsah, aber Gustav sah es ganz genau. Er beobachtete seine Mutter, wie sie da saß, mitlachte, immer wieder aufstand, obwohl es doch die Dienstboten gab, wie Vater sie anherrschte. Dann schaute sie kurz ernst, und dann lachte sie wieder. Nach einem solchen Abend hatte er seine Mutter auch einmal ans Kinn gefasst, als sie ihn ins Bett brachte. Sie hatte seine Hand weggenommen und ihn gefragt, warum er das macht. “Weil ich dachte, du magst das gern”, hatte Gustav gesagt und das hatte seine Mutter schon wieder traurig gemacht. Sie war sehr schwer zu verstehen, fand er.

      Eine Sache war sehr gut daran, wenn der Mann mit dem Schwert kam. Am nächsten Tag gab es in der Küche