Die Stunde der Politiker. Michael Kern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237230
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Und dafür wurden alle Geschäfte landesweit geschlossen, achtzig Millionen Menschen in Quarantäne gesperrt, Kinder und Studenten blockiert und Geschäftstreibende in ihrer Existenz zumindest bedroht. – Wegen sechshundert „Grippe- … äh, Coronatoten“ in sechs Wochen? Die Leute konnten von ihren Politikern gar nicht genug eingesperrt, gemaßregelt werden, damit sie sich ein bisschen sicherer fühlten.

      „Wir müssen alles, was wir nicht unbedingt zum Leben brauchen, einstellen. Deshalb werden alle Geschäfte außer Lebensmittelläden, Apotheken und Drogeriemärkte geschlossen. Es gilt ab morgen eine strikte Ausgangsbeschränkung“, hatte der Söder noch vor allen anderen seiner Bayern verkündet. Denn es war nicht nur die Zeit der Präsidenten und Gesundheitsminister gekommen. Nein, jetzt wurde sich jeder seiner persönlichen politischen Wichtigkeit und Macht bewusst. Und je kleiner das Fürstentum, desto größer der Machthunger. Der Kurze im großen Österreich, auch einem vom Virus am schrecklichsten heimgesuchten Land, mit schon schier unglaublichen einhundert Toten Ende März (mal schauen in der Langzeitstatistik, ob 2020 nicht als eines der Jahre mit den wenigsten Todesfällen eingehen wird ...), hatte als erster die schärfsten Ausgangssperren in gewohnt erstklassiger staatstragender, medial bestwirkender Aufmachung verkündet. Immerhin, eine ganze Woche vor den Bayern! „Worauf wartet Deutschland noch? Wann werden sie es auch endlich begreifen?“, lauteten die Schlagzeilen der enorm intellektuellen, gekrönten österreichischen Landespresse. Deswegen konnte der Söder doch auch gar nicht damit warten oder sich sogar solidarisch mit den anderen Kanzlernachfolgekandidaten zurückhalten, bis die Mutti Merkel wieder den ganzen Medienruhm absahnen würde. Sie brauchte ihn ja eh nicht mehr, weil ihr eine mögliche Wiederwahl erspart blieb. Also, da musste er schon zusehen, dass er der erste Landesfürst war, der seinem Land den größtmöglichen Schutz durch das Auslösen des Katastrophenalarms bot.

      Aber Moment mal. War das nicht derselbe Mann, der fünf Tage zuvor noch in ganz Bayern die Kommunal- und Gemeinderatswahlen mit immerhin einigen Millionen Wählern und Zehntausenden Wahlhelfern hatte durchziehen lassen? Na ja, bei diesem „Mini-Event“ konnte doch keiner infiziert werden, oder? Gerade eine Gemeinderatswahl? Wo klar war, dass ein paar Wochen später in den meisten größeren Städten und Landkreisen dann noch mal Stichwahlen notwendig werden würden? Und ausgerechnet solche Gemeinderatswahlen waren also dann so unbedingt lebensnotwendig? Weil es nicht vollkommen egal war, ob in München oder in Hinterstinkenbrunn der Bürgermeister noch ein paar Monate länger im Amt blieb?

      „Die Maßnahmen, die wir am 13. getroffen haben, haben nicht zu der gewünschten Abschwächung des Anstiegs an Neuinfektionen geführt. Diese sind ganz im Gegenteil so massiv angestiegen, dass mir nichts anderes übrig bleibt als den Katastrophenalarm auszulösen und eine landesweite Ausgangsbeschränkung anzuordnen“, hatte der Söder dann am Sonntag, eine Woche nach den Kommunalwahlen, unter heftigem Blitzlichtgewitter verkündet. Und wie er es seinen Bayern verkündet hatte! Dieser Landesriese mit staatstragischer Miene, mit Ringen unter den Augen, noch mehr grauen Haaren, ja schlichtweg mit einem Gesicht, dem man ansah, dass dieser Mann für sein Volk eine Woche heroischen Kampfes ohne Schlaf hinter sich gebracht hatte. Weil er natürlich als erster Landesfürst seinem Image als Krisenmanager, als einer, der durchgreift, der Verantwortung zeigt, Stärke und alles, was man sich sonst noch von einem Anführer wünscht, einen weiteren wichtigen Schub in Richtung seiner goldenen Zukunft in Berlin verliehen hatte. Und die Leute klatschen Beifall, schrien ''Hurra'', sangen auf ihren Balkonen den Nachbarn Lieder des Mutes zu, und suhlten sich in der historischen Bedeutsamkeit ihres Opfers der sozialen Abschottung.

      Peter kam aus dem Staunen nicht heraus. Wie gesagt, er war ja immer nur ein altmodischer, wenn auch guter Kopfrechner geblieben. Als solcher war er auf den Umgang mit einer begrenzten Menge relativ einfacher Zahlen beschränkt. Deshalb konnte er auch nicht begreifen, wie um alles in der Welt sich die Zunahme an gemeldeten Infizierten zwischen 15. und 20. – in fünf Tagen also – irgendwie hätte reduzieren können und sollen. Wenn erstens die Anzahl der Tests in diesem Zeitraum wesentlich erhöht wurde; zweitens vor fünf Tagen in Zehntausenden Lokalitäten in allen Städten und Gemeinden, Landkreis- und Gemeinderatswahlen für Millionen Bürger abgehalten wurden; und drittens am Wochenende zwischen dem 13. und 15. unter anderem Tausende Skiurlauber aus Österreich heimgekehrt waren, die aus Gebieten kamen, von denen man wusste, dass in den einschlägigen Ballermannberghütten von Ischgl zu Tausenden, auf gewünscht engstem Raum, zusammen mit seit Wochen infizierten Personen gesoffen, geschwitzt, gegrölt und was weiß ich noch alles wurde? Und all das bei einer mittleren Inkubationszeit bei Ansteckung mit Cov-2 von fünf Tagen! Also, so schwierig fand Peter diese Kopfrechnung nicht, dass sich daraus logischerweise ergab, dass wahrscheinlich vor allem in München und Umgebung die Zahl der Infizierten am 20. wesentlich höher sein musste als fünf Tage davor. Die Frage für Peter war eher, warum es nicht viel mehr Infizierte waren! Aber er dachte sich, dass die meisten Infizierten, da sie wahrscheinlich keinerlei ernst zu nehmende Symptome aufwiesen, gar nicht wussten, dass sie das Virus in sich trugen. Außerdem war es schier unmöglich, irgendwie irgendjemanden über eine der bekannten Hotlines zu erreichen, geschweige denn an einen Virustest zu kommen.

      Mit Taktik gewinnt man eine Schlacht – Mit Strategie einen Krieg

      „Die werden schon eine Strategie haben. Du glaubst doch nicht, dass die alle blöd sind, haben sie mich im Gemeinderat alle blöd niedergemacht“, hatte Theis wutschnaubend erzählt, als er damals am letzten Freitag im Januar spätabends von der Gemeinderatssitzung nach Hause gekommen war.

      „Und du hast ihnen natürlich geantwortet: Ja genau das glaub ich“, hatte Elena direkt wie aus der Pistole geschossen geantwortet.

      „Ja sicher, das ist doch meistens so. Entweder sie machen nix oder einen Blödsinn. So ist das schon in der Politik.“

      „Und das musst du natürlich ausgerechnet den Politikern aufs Brot schmieren. Und dann erwartest du dir von ihnen, dass sie dir dafür danken, weil du ihnen gezeigt hast, wie blöd sie sind. Und deshalb werden sie dann alles genauso machen, wie du es ihnen sagst.“

      „Nein, ganz so dumm bin ich natürlich nicht. Das ist mir auch klar, dass ich da schon diplomatisch vorgehen muss. Schließlich will ich ja was von ihnen. Also hab ich ihnen ein bisserl Honig ums Maul geschmiert, wie ihr hier so sagt. Ich hab ihnen halt erklärt, dass ich das schon verstehen würde, dass das ganz schwierig war für die da ganz oben. Weil es ja da so unendlich viel zu bedenken gibt, wenn man so viele Gesetze und Regeln beachten muss. Und weil man ja nicht einfach mir nix dir nix alle Grenzen schließen und die Leute alle einsperren konnte. Deshalb war es sicherlich auch für sie so schwierig, sich da jetzt auf so eine Virusepidemie vorzubereiten. Diese Vollidioten! Weil Krisen- oder Katastrophenplan gabs ja keinen mehr bei uns - so wie in Japan. Weißt, das ist, als ob du in einem hundert Meter hohen Hochhaus sitzt und keine Brandschutzordnung hast. Und damit eine Epidemie keine Pandemie wird, brauche ich eben, weil es nicht wie ein Erdbeben oder Brand ein plötzliches Ereignis ist, keinen Katastrophenplan, was ich mache, nachdem das Ereignis eingetroffen ist, sondern einen internationalen Plan, wie ich die Ausbreitung zur Pandemie und Katastrophe verhindern kann. Weil so ein Virus kennt keine Staatsgrenzen. Deshalb braucht’s eine Brandausbreitungsverhinderungsordnung. So wie du das auch bei jedem Brand machst, wo das erste Hauptaugenmerk nicht darauf liegt, das betroffene Gebäude zu retten, sondern erst mal zu verhindern, dass das Feuer sich auf die Nachbargebäude oder die umliegenden Waldgebiete ausbreiten kann. Dabei haben wir seit 2000 mit Vogel- und Schweinegrippe und dem SARS mindestens drei superähnliche Epidemien gehabt, die sich auch schon weltweit verbreitet hatten. Nur durch Glück, weil die Viren noch nicht gefährlich genug mutiert waren, ist damals eine katastrophale Pandemie wie die spanische Grippe nicht zustande gekommen. Ich bin mir sicher, da sind seitdem Millionen in allen möglichen Ländern ausgegeben worden für Studien, wie man sich als Nation da schützen und verhalten soll. Und was ist rausgekommen? Wo ist die Ausbreitungs-Brandschutzverordnung? Nix, nix, nix! Und jetzt sitzen sie da und beobachten die Entwicklung ganz genau, um sich aufs Beste vorzubereiten, um dann je nach Lage angemessen zu reagieren. – Dass ich nicht lache!“, hatte sich Theis förmlich in Rage geredet.

      „Und so diplomatisch hast du das dem Hermann und dem ganzen Gemeinderat erklärt?“, fragte Elena lächelnd.

      „Nein, natürlich