Die Stunde der Politiker. Michael Kern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237230
Скачать книгу
als sie nur noch telefonisch miteinander kommunizieren durften. Sie mussten natürlich lachen, weil sie dieses Synonym kannten, das Peter gerne zum Gefallen aller, auch bei sich selbst in der Firma benutzte. Ja, die Warzenschweine sehen oder riechen irgendeine Gefahr aus einer Richtung, reagieren sofort und rennen wild entschlossen davon. Alle anderen Warzenschweine in der Umgebung folgen dem nächsten, ohne zu wissen warum. Fünfzig Meter weiter bleiben sie dann stehen, weil sie nichts mehr riechen. Dieses Schauspiel wiederholt sich alle paar Minuten. Die Richtungen, in die sie laufen, lassen sich nicht vorhersehen und sind völlig wirr.

      „Ach, du übertreibst“, hatten aber die meisten Kollegen noch abgewiegelt, als der ganze Zauber losging. „Komm Peter, das ist höchstens Management by Nilpferd, wie immer und überall, wenn’s um was Großes geht. Da muss halt jeder von den Großkopferten das Maul so weit aufreißen, wie’s geht. Ja mei, was sollnsn‘ auch machen? Wenn die Virologen und Experten auch sagen, dass man jetzt einmal sofort alles unternehmen muss, um den exponentiellen Anstieg der Ausbreitung zu stoppen.“

      Es war ja toll, wenn diese, ach so logisch einleuchtende Schlussfolgerung wie ein Geistesblitz für alle Warzenschweinmanager und die, die ihnen so gerne folgten, klang. Die dann mit diesem Geruch in der Nase blind losrannten. Mit dem Bild des steilen riesigen Berges, der sich durch entschlossenes reaktives Handeln der Politiker und aller ihrer dafür unerlässlichen Erlässe, in diesen langen, flachen Berg verwandeln würde. Um mit aller Kraft sofort in Richtung maximale Abschottung von allen zu stürmen, durch maximale Absperrung von allem. Bis hin zum Individuum, das am besten mit Atemschutzmaske zu Hause am desinfizierten Sofa sitzen sollte. Um sich permanent im Fernsehen über die Schreckensnachrichten aus aller Welt so lange zu informieren, bis es gänzlich erniedrigt aus Angst und Schrecken vor dem Apparat niederkniete. Um betend seinen neuen Superheldenpolitkern für deren entschlossenes Handeln zu danken. Schwörend, dass man ihnen ab jetzt immer sofort folgen würde, wohin auch immer sie rennen mögen. Aber deshalb musste diese kurzsichtigste und primitivste aller Schlussfolgerungen noch lange nicht richtig sein!

      „Weißt du, alle Leute einsperren, bringt, glaube ich nichts. Du kannst ein Virus nicht einsperren und einen Pass hat es auch nicht, dass dir eine Grenzsperrung wirklich hilft“, hatte Theis Peter schon letzte Weihnachten, als sie sich noch bei Dora und Herbert zu Hause unterhalten hatten, erklärt.

      „Außer, wenn du es früh genug erkennst. Dann kannst du durch eine totale Absperrung die Virusepidemie noch lokal auf ein überschau- und kontrollierbares Gebiet begrenzen. Aber da musst du dann wirklich exakt verfolgen können, wer, wo infiziert ist und mit wem Kontakt hatte. Und du musst über genügend organisatorische Ressourcen und Maßnahmen verfügen, um diese Leute dann vom Rest der Bevölkerung sofort abzutrennen, um die Ausbreitung innerhalb des abgesperrten Gebiets nach und nach so rasch wie möglich abzutöten. Natürlich ist das Ganze auch nur dann erfolgreich, wenn die entsprechenden hygienischen Maßnahmen von allen Handelnden immer hundertprozentig eingehalten werden.“

      So hatte es Theis auch allen seit damals an einem der Weihnachtsfeiertage letzten Jahres immer wieder gebetsmühlenartig eingebläut. Dass es eben diese erfolgreiche lokale Eingrenzung damals gewesen war, plus die dann doch von den internationalen Hilfsorganisationen sichergestellten Hygienemaßnahmen, warum man zum Beispiel die Ebolavirus-Epidemie in Afrika immer wieder so rasch und gut eindämmen konnte, bis Medikamente oder ein Impfstoff verfügbar waren.

      Deshalb hatte ihm Theis dann Anfang April in Rage fast ins Telefon gebrüllt: „Solang das Virus noch nicht bei uns war, haben sie nix gemacht und einfach nur zugeschaut. Und dann, wenn das Virus auch ganz sicher, und endlich auch in jedem Land sich tausendfach verbreitet hat, sodass wir auch ganz sicher keine Chance mehr haben, alle Infizierten zu erwischen, dann riegeln sie alles ab, dann sperren sie alles zu, bis uns die Luft ausgeht, in der Hoffnung, dass das Virus dabei auch erstickt. Das ist Management by Warzenschwein pur, wie du immer so schön sagst! Was die jetzt mit diesem totalen Shutdown machen, kommt mir vor wie die erste Chemo beim Krebs. Da haben sie auch dem Patienten eine so tödliche Dosis reingehauen, in der Hoffnung, dass es dieser gerade noch überlebt, und der Krebs hoffentlich wohl daran stirbt.“ Peter musste natürlich herzlich lachen.

      „Als ob das der erste und einzige und schlimmste Virusausbruch auf der Welt wäre. Noch nie da gewesene tödliche Gefahr, dass ich nicht lache! Haben diese Idioten eigentlich schon mal was von Ebola gehört? Aber das war ja nur in Afrika! Und in Afrika, na ja, da können schon auch mal ein paar Millionen da wegen Hunger sterben, und dort wegen Bürgerkrieg, und irgendwo anders im Busch halt auch mal an einem Virus. “

      „Ja als Österreicher, der du ja jetzt mit deiner Elena auch einer bist, musst du wissen, dass schon unser Kaiser, also der Franz Joseph, seinerzeit zu seinen Untergebenen in so einer Situation gesagt hätte: Und wenn so was noch mal vorkommt, darf es aber nicht mehr passieren“, hatte Peter Theis scherzhaft unterbrochen. Aber dem war schon lange nicht mehr zum Scherzen zumute.

      „Nein, aber natürlich habe ich mich schon vor Weihnachten, noch im letzten Jahr gefragt, warum sie nicht einfach die Grenzen zu China schließen, so wie sie das auch in Sierra Leone und in den anderen Ländern seinerzeit bei Ebola gemacht hatten. Aber ich versteh‘ ja, dass das bei diesem Corona diesmal ganz was anderes war, und dass das mit China gar nicht ging mit dem Absperren wie mit irgendeiner Bananenrepublik in Afrika. Wegen eurer ganzen „Scheiß-Wirtschaft“ und der globalen Vernetzung. Weil ja sonst alles zusammenbricht, wenn irgendeine Schraube, die nur noch in China hergestellt wird, fehlt. Aber jetzt ist das plötzlich nicht nur möglich. Jetzt kann man auf einmal alle Grenzen, von allen Ländern, ohne große Vorwarnung, ohne politische Eskalation oder wirtschaftliche Beschränkung schließen? Und nicht nur die Grenzen zwischen Staaten, die nicht einmal mehr befestigte Grenzen haben, sondern auch irgendwelche unsichtbaren, gar nicht vorhandenen, undefinierten Grenzen. Zwischen Wien und Kärnten vielleicht, wenn’s sein muss? Oder wenn es irgendeinem Dorfpolitiker einfällt, auch zwischen Vorder- und Hinterstinkenbrunn, wie du das immer so schön sagst, und wozu? Um eine Pandemie aufzuhalten? Ja, das ist wirklich Management by Warzenschwein!“

      Am Ende gab er Peter natürlich recht, dass, wenn man jetzt durch mehr oder weniger diktatorische Maßnahmen, durch die man alle Menschen weltweit so gut es möglich war, durch alle möglichen Schranken und Verordnungen voneinander trennte und einsperrte, dass man dadurch sicherlich die Ausbreitung des Virus verlangsamte. Aber was würde das für ein Millionen Mal, weltweit verbreitetes Virus letztlich bedeuten? In der Kurve des flachen Berges, die sie uns so gerne zeigten? Ganz einfach: Dass wir uns monatelang, vielleicht ein Jahr lang oder zwei einsperren und voneinander abgrenzen mussten? Und dann? Wie sollte, wie konnte eine Welt funktionieren, in der alle Menschen getrennt voneinander, mehr oder weniger lokal eingesperrt, leben sollten? Aus dem Homeoffice ließen sich keine Erdbeeren ernten. Die Automobilfirmen konnten nicht für ein Jahr lang in Urlaub gehen. Sollten wir in dünn besetzten Restaurants nur noch flüssiges Essen mit Strohhalmen durch unsere Mundschutzbinden schlürfen?

      „Ja klar, auch wenn unsere Gesundheitssysteme jetzt schon kritisiert werden, weil wir sie zu Tode gespart haben, – wie wird das in Zukunft aussehen? Wenn wir wieder eine Wirtschaftskrise mit zehn oder zwanzig Prozent Arbeitslosigkeit bekommen? Da werden wir uns danach sehnen, noch mal so ein üppiges Gesundheitssystem zu haben wie noch vor einem Jahr. Denn auch, wenn ich euch Wirtschaftler nicht leiden kann als Mediziner, brauchen tun wir uns gegenseitig schon. Denn wenn gar keine Wirtschaft mehr funktioniert, dann können sie nur noch Management by Känguru praktizieren, die Politiker, und mit leerem Beutel große Sprünge machen“, erkannte Theis schon damals, als der ganze Verordnungswahnsinn bei uns erst so richtig losging.

      „Ja weißt’, natürlich glauben ihnen die Leute alle in so einer Krise plötzlich alles, den Herren und Damen Politikern, ganz egal wie kurzsichtig und widersinnig das ist, was sie jetzt da sagen und machen“, hatte Herrmann uns erzählt, dass sein Vater das ganz treffend, aus seinen Erfahrungen aus ähnlichen Situationen von früher, auf den Punkt gebracht hatte. Weil, wie er richtig festgestellt hatte, die meisten Menschen bei uns in den westlichen reichen Industrieländern, echte Not und Katastrophen nur noch aus dem Fernsehen kannten. Mit Chips und Bier in den klebrigen Fingern, wenn sie die schrecklichsten Nachrichten aus aller Welt schauten. Genüsslich lutschten sie Schokobonbons und schlürften süße Limo, während angenehm der Schauer des Grauens über ihren Rücken