Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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grande No. 18?!”

      “Na, playa grande No. 18 eben!”

      “Das soll wohl ein Witz sein”, erregte sich Thomas, “haben die da unten keine Straßennamen?! So viel Spanisch verstehe ich nämlich auch noch, dass playa grande großer Strand bedeutet. Oder willst du mir etwa weiß machen, dass die da achtzehn große Strände haben?”

      “Thomas?!”

      “Ja?”, knurrte dieser.

      “Thomas”, meinte Laetitia jetzt doch etwas verärgert, “du erinnerst dich... ich bin deine Tante, nicht wahr?!”

      “Ja, ‘tschuldigung Tantchen.”

      Oh, ein historisches Ereignis! wunderte sich Laetitia hocherfreut, Thomas McNamara entschuldigt sich. Das ist seit Jahren nicht mehr vorgekommen, jedenfalls nicht mir gegenüber. Das muss ihm aber sehr wichtig sein, diese Sache mit Jeremiahs Adresse.

      “Was Jeremiahs Telefonnummer angeht”, bemerkte die Tante, “will ich dich direkt vorwarnen. Er hat keinen Festnetzanschluss, sondern nur ein Mobiltelefon. Er sagte, das sei für ihn günstiger...”

      “Ach was”, unterbrach Thomas sie aufgebracht, “mein Herr Bruder schwimmt also schon so sehr im Geld, dass er es sich locker leisten kann, nur ein Mobiltelefon zu haben. Oder ist er etwa derart wichtig, dass er immer und überall erreichbar sein muss?!”

      “Thomas”, entgegnete Laetitia nun extrem verärgert, “wenn du mich noch einmal so anschnauzt, lege ich sofort auf. Dann kannst du dir einen Detektiv nehmen, um herauszufinden, wie du deinen Bruder erreichen kannst. Alles klar?”

      “Ja, alles klar”, befand Thomas jetzt doch ziemlich besorgt.

      “Okay”, fuhr Laetitia fort, “wenn du mich nämlich hättest ausreden lassen, hättest du erfahren, dass Jeremiah sich deshalb ein Mobiltelefon zugelegt hat, damit er nicht ständig an seinem Bootsverleih präsent sein muss, um Anfragen für Buchungen entgegenzunehmen. Und wozu dann noch zusätzlich einen Festnetzanschluss haben. Aber was seine Wichtigkeit angeht, so kann ich dich beruhigen. Er ist nicht so wichtig wie du. Schließlich arbeitet er ja mit seinem Bootsverleih in der ‘Spaßindustrie’ und ist obendrein sozusagen noch käuflich. Im Gegensatz dazu leistest du einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Welt und bist obendrein unbestechlich.”

      Irgendwie musste ich ihm das jetzt aufs Brot schmieren, dachte Laetitia, ich bin zwar sonst nicht so zynisch, aber es war die perfekte Gelegenheit. Schließlich musste er sich diese Kritik jetzt anhören, weil er ja noch nicht Jeremiahs Telefonnummer hat. Bin mal gespannt, ob er, sobald er diese Information hat, mir sozusagen noch einen reinwürgt.

      Ich könnte sie köpfen, dachte Thomas, sie nutzt die Situation scham­los aus, weil sie weiß, dass ich mich zusammennehme, um noch diese Telefonnummer zu bekommen.

      “Aber um nochmal auf das eigentliche Thema zurückzukommen”, bemerkte Laetitia, “meine Vorwarnung bezüglich des Mobiltelefons bedeutet, dass die Verbindung oft sehr schlecht ist. Manchmal hat man kein Netz oder so. Du kannst Jeremiah dann aber eine Nachricht in Josés Bar hinterlassen. Er geht da regelmäßig hin, eigentlich jeden Tag. Wenn einmal nicht, dann würde José ihm die Nachricht zukommen lassen.”

      Thomas wollte gerade Luft holen, aber Laetitia kam ihm in weiser Voraussicht zuvor.

      “Und damit du nicht denkst, dein Bruder wäre Alkoholiker, so sei dir gesagt, dass man das in Venezuela ein bisschen anders sieht, wenn man sich in einer Kneipe oder einer Bar trifft. Das hat was mit Geselligkeit zu tun und mit Familiengefühl. Man könnte es durchaus so formulieren, dass die Leute in San Juan Jeremiahs neue Familie sind. Und es sei ihm gegönnt, wo er doch in seiner Heimat leider eine nicht gerade angenehme Familiensituation hatte.”

      Laetitia konnte sich bildlich vorstellen, wie Thomas seinen Mund jetzt wieder zuklappte und musste schon etwas lächeln.

      Wie schnell kann man falsche Schlüsse ziehen, dachte sie, wenn man bestimmte Bilder im Kopf hat oder voreingenommen ist.

      “Und jetzt gebe ich dir mal eben die beiden Telefonnummern”, fügte sie noch an.

      Thomas notierte sich die Zahlen und wiederholte sie vorsichtshalber noch einmal. Bei Josés Nummer hatte er einen Zahlendreher drin und korrigierte ihn umgehend.

      “Ich halte es aber eher für unwahrscheinlich”, bemerkte er, “dass ich bei diesem José anrufen werde. Das muss nicht sein. Außerdem befürchte ich, dass meine Spanischkenntnisse dazu nicht ausreichen. Ferner habe ich mir überlegt, dass ein Überraschungsbesuch bei Jeremiah vielleicht ganz nett wäre. Könnte doch sein, dass er sich darüber freut, wenn ich so unvermutet auftauche und mich mit ihm versöhnen will.”

      “Ja, wenn du meinst”, entgegnete die Tante etwas unsicher.

      “Ja, ich denke, das ist eine gute Idee”, bestätigte Thomas, “und danke, Tantchen, dass du mir diese ausführlichen Informationen gegeben hast. Du hast mir damit sehr geholfen. Mach’s gut. Ich hab’ dich lieb.”

      Und damit legte Thomas einfach auf. Laetitia guckte etwas überrascht in den Hörer, aus dem nur noch ein leises “tüt, tüt, tüt” wimmerte.

      Thomas McNamara, murmelte sie fassungslos, wenn dir dein Vater Victor eine Sache beigebracht hat, dann ist es die, dass du absolut unverfroren lügen kannst, ohne an deinem Christsein zu zweifeln. Du hast in diesem Telefonat bestimmt ein halbes Dutzend Mal gelogen. Ich weiß schon, warum ich mit meinem Bruder nicht klar kam. Wie gut, dass Victor und ich uns aus dem Weg gehen konnten. Zumindest aber waren wir nicht verfeindet. Allerdings muss ich ehrlich sagen, dass du mir auch leid tust, Thomas. Wie konnte dich dein Vater nur derart fanatisieren? Auch wenn du dich unmöglich benimmst, so hast du doch einen guten Kern, das weiß ich. Du willst die Welt verbessern, indem du die Bösen bestrafst und die Gesetzesbrecher ins Gefängnis wirfst, aber du hinterlässt nur eine Fährte des Grauens. Wie schrecklich musst du unter Druck stehen, dass du mit so viel Energie deine Ziele verfolgst? Manchmal denke ich, dass du furchtbare Schmerzen hast, Thomas, und dass dich niemand heilen kann, weil du keinen an dich ranlässt. Eigentlich kann dich nur Gott heilen, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie er das machen will. Nicht dass ich Gott für unfähig halte, bei ihm ist nichts unmöglich. Aber Gott zwingt auch niemanden zu irgendetwas. Grundsätzlich ist der freie Wille, den er uns Menschen gegeben hat, ein unglaubliches Privileg, und gleichzeitig beinhaltet er eine hohe Verantwortung. Verantwortung für mich selbst und automatisch auch für meine Umwelt. Und da sind wir wieder bei Thomas. Er braucht eine neue Willenseinstellung, eine neue Überzeugung. Deshalb sollten wir uns gar nicht erst den Mund fusselig reden und Thomas überzeugen wollen, sondern Gott bitten, dass er diesen fanatisierten Mann heilt. Und genau das werde ich jetzt tun, auch wenn ich mir dabei ein bisschen schäbig vorkomme. Denn irgendwie wirkt das auf mich wie der letzte Notnagel. Das ist doch allgemein unsere Einstellung, wenn wir keinen Ausweg mehr sehen. Dann sagen wir: Jetzt hilft nur noch beten und hoffen. Und eine Sache kommt noch hinzu. Wenn ich ganz ehrlich in mich hineinhorche, muss ich zugeben, dass ich den Eindruck habe, dass es Gott gar nicht so wichtig ist, Thomas zu verändern. Es scheint ihn doch überhaupt zu interessieren, was mit Thomas passiert.

      Teil 1 – Kapitel 2

      “Wer ist der Mann auf dem Foto?!”, wollte Eugenio wissen.

      “Welcher?”, entgegnete Jerry, ohne aufzusehen.

      “Da, der hier!”, Eugenio hielt das Foto in Jerrys Richtung und deutete auf die Person, die er nicht kannte.

      Jerry seufzte, weil er keine Lust hatte, mit Eugenio Fotos zu begucken, während er Ausbesserungen an seinen Booten vornahm, legte aber den Pinsel beiseite.

      “Zeig mal. Welchen meinst du?!”

      “Na, den hier, der direkt neben dir steht!”

      “Oh nein, wo hast du das Foto her, Eugenio?!”, fuhr Jerry ihn an und wollte ihm das Bild aus der Hand reißen. Aber Eugenio war schnel­ler und zog die Fotografie blitzartig zurück.

      “Eugenio!”,