Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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ihr Chef Geschirr und Thermoskanne doch noch entdeckt hatte.

      “Na ja”, meinte Philip seufzend, “aber immerhin leben Sie beide ja noch.”

      “Falsch”, entgegnete Sally mit stoischer Ruhe, “wir sind inzwischen Zombies, nur noch ein Schatten unserer selbst. Und es kann jetzt verdammt eng für uns werden. Wer weiß, welche Kleinigkeit der Tropfen sein kann, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dann sind wir draußen.”

      “Na ja, ganz so einfach wird er Sie nicht feuern”, widersprach Philip, “schon aus reinem Eigennutz nicht. Schließlich müsste er dann neue Sekretärinnen einarbeiten. Das ist sehr mühsam und zeitintensiv.”

      “Korrekt”, knurrte Sally, “aber wie wär’s denn mal mit Konventionalstrafe, Gehaltskürzung oder kostenlos Mehrarbeit? Bestimmt fällt ihm dann irgendwas Passendes ein. Ach Philip, warum haben wir Sie nicht als Chef?!”

      “Nun, das könnte sich schon bald ergeben. Dr. McNamara und ich haben heute Nachmittag einen Termin auf einer Cocktailparty beim Bürgermeister von New York. Sie beide wissen ja, wie sehr unser Herr Richter solche Veranstaltungen hasst. Aber diese war ihm sehr wichtig, weil er sich bei einigen Leuten in Erinnerung bringen will, die ein Wörtchen bei der Berufung der zu besetzenden Stelle des Obersten Bundesrichters mitzureden haben.”

      “Sie meinen, er will den Herrschaften nur noch mal klarmachen, dass natürlich er der richtige Kandidat für den Posten ist?”, horchte Sally entzückt nach.

      “Genau.”

      Maggie und Sally waren hocherfreut.

      “Das ist doch mal ein ganz unvermutetes Geburtstagsgeschenk von Dr. Gnadenlos”, meinte Maggie und grinste Sally an.

      “Und das bedeutet, dass Sie seinen Posten bekommen, wenn er weggelobt wird?”, wollte Sally wissen.

      “Ja, er will sich dafür stark machen.”

      “Mit anderen Worten... er hat es schon beschlossen, und was Dr. Gnadenlos beschlossen hat, das geschieht, weil er es beschlossen hat”, kommentierte Maggie Philips Aussage.

      Philip musste grinsen.

      “Tja, dann darf er die Gerechtigkeit auf ewig im Namen tragen, weil er den Job auf Lebenszeit innehat”, seufzte Maggie, “Justice Dr. Thomas McNamara, Oberster Bundesrichter der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie das klingt.”

      “Und vor allem ist seine Gerechtigkeit dann frei von Sünde”, befand Sally spitz.

      “Sorry, aber ich kann dir da nicht folgen”, kommentierte Maggie die Bemerkung ihrer Kollegin.

      “Was meinen Sie denn damit?! Gerechtigkeit ist nie sündhaft, das ist doch völlig paradox!”, befand Philip irritiert.

      “Natürlich war meine Bemerkung ironisch gemeint”, entgegnete Sally fast schon brüskiert, “was ich aber meine, ist Folgendes: In seiner jetzigen Position ist er ‘Acting Justice’, und wir wissen, dass acting auch schauspielern bedeutet, wobei das in unserem Fall ja nicht so ist. Wie Dr. Gnadenlos über Schauspieler denkt, darüber brauchen wir nicht zu reden. Eigentlich ist es fast unglaublich, dass ein Mann, der einem Schauspieler derart ähnlich sieht, mehr oder weniger dieselbe Berufszeichnung hat. Wenn unser Dr. McNamara das wüsste, würde Harrison Ford in echte Gefahr geraten, weil es bei Dr. Gnadenlos bestimmt zu irgendeiner Kurzschlusshandlung kommen würde. Natürlich würde er ihn nicht umbringen, aber ich bin mir nicht so sicher, ob er sich nicht was einfallen ließe, um Ford an den Kragen gehen zu können. Vielleicht ist das ein bisschen übertrieben von mir, aber manchmal habe ich echt den Eindruck, dass er den Verstand verloren hat. Zumindest aber beschleicht mich das Gefühl, dass er durchaus bereit wäre, seine Kompetenzen zu überschreiten, wenn er damit irgendwelche Schwerbrecher ins Gefängnis bringen könnte. Von daher wäre er besser Staatsanwalt geworden als Richter.”

      “Sally, Sie haben Ihren Beruf verfehlt”, befand Philip ehrlich beeindruckt, “Sie hätten Kabarettistin werden sollen. Allerdings finde ich Ihre Behauptung, Thomas würde seine Kompetenzen überschreiten, wenn er die Chance hätte, Schwerverbrecher zu schnappen, sehr gewagt, um es mal vorsichtig auszudrücken.”

      “Dem kann ich nur beipflichten”, fügte Maggie an.

      Sally freute sich zwar über das Kompliment, aber gleichzeitig war sie auch frustriert.

      “Allerdings wäre es mir lieber, er würde als Oberster Bundesrichter nicht Justice Dr. Thomas McNamara heißen, sondern Righteousness Dr. Thomas McNamara”, bemerkte sie seufzend.

      “Und wo ist da der Unterschied?”, wollte Maggie wissen.

      “Auch wenn beide Begriffe ja Gerechtigkeit bedeuten”, erklärte Sally, “so klingt Righteousness mehr nach Richtigkeit bzw. etwas richtig machen, während sich Justice mehr wie die personifizierte Justiz anhört, sprich, jemand hat das Recht für sich gepachtet oder sollte man besser sagen, unser Dr. Gnadenlos hat das Patent auf das Recht?”

      Philip und Maggie waren verblüfft ob Sallys Schlussfolgerungen.

      “Und obendrein gehört es dann zu seinen Aufgaben, den Präsidenten zu überwachen”, fügte Sally noch an, “und im Überwachen ist unser Kotzbrocken ja ein As. Der arme Präsident. Kaum ist der Kalte Krieg beendet, bekommt er von Dr. Gnadenlos die Hölle heiß gemacht. Hoffentlich läuft es nicht darauf hinaus, dass Dr. McNamara einen Staatsstreich durchführt, weil er seinen Willen nicht gekriegt hat.”

      “Ich glaube, das müssen wir nicht befürchten”, wiegelte Philip grinsend ab, “denn dass alles auf sein Kommando hört, das funktioniert nur hier und nicht bei der Armee. Die werden ihm was husten.”

      “Danke, Philip, das macht uns jetzt echt Mut”, befand Sally erleichtert.

      Just in diesem Moment wurde die Tür zum Flur geöffnet, und Thomas kam von seinem Termin zurück. Er begrüßte Philip kurz, nahm ihn mit in sein Büro und schloss die Tür. Normalerweise hätte der eine Kollege dem anderen einen Kaffee oder zumindest ein Wasser angeboten, aber Kaffee kam bei Thomas eh nicht in Frage, weil er Kaffee hasste und es auch als unpassend empfand, wenn jemand in seiner Gegenwart Kaffee trank mit Ausnahme seiner Ehefrau. Bei der Schreibtischarbeit duldete er ferner überhaupt kein Getränk, weil man das ja irrtümlich hätte umstoßen können und dabei die Unterlagen verschmutzt worden wären.

      Das mit den Getränken war überhaupt ein spezielles Thema bei Thomas. Er trank so gut wie nie Alkohol, nur wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ, war er bereit, ein Glas mitzutrinken. Ganz besonders hasste er hochprozentige alkoholische Getränke, und von Rum wurde ihm so schlecht, dass er sich davon übergeben musste. Vielleicht rührte seine Abneigung gegen Alkohol auch daher, dass die Bezeichnung “Rum” in Amerika nicht nur für diese spezielle Spirituose, sondern auch für alkoholische Getränke im Allgemeinen stand. Na ja, und von Rum wurde ihm ja schlecht. Kaffee war ebenfalls ein Getränk auf seiner roten Liste. Bisher hatte niemand herausbekommen, warum er Kaffee derart verabscheute, aber seine Abneigung gegen dieses Getränk war fast schon krankhaft. So sehr er Kaffee hasste, so sehr liebte er Tee, und zwar schwarzen Tee. In Ausnahmefällen trank er auch Kräutertee, zum Beispiel, wenn er krank war. Aber grundsätzlich trank er schwarzen Tee ohne Milch und ohne Zucker.

       Thomas bot Philip jetzt also Platz an und setzte sich in seinen ledernen Chefsessel ihm gegenüber. Weil der Richter seinen Kollegen für einige Zeit wortlos ansah, wurde es dem langsam mulmig zumute, weil er nicht wusste, wie er das Verhalten des launischen Juristen deuten sollte. Aber was der dann vorbrachte, war für Philip der größte Triumph und fürchterlichste Schock zugleich.

      “Philip”, begann Thomas, und seine Augen funkelten gefährlich, “heute ist ein historischer Tag. Das wird eine Sternstunde in der Bekämpfung des international organisierten Verbrechens und dort ganz speziell bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Philip, ich habe heute ganz unscheinbar per Post von einem Informanten aus Washington Dokumente bekommen, mit denen ich die ganze Organisation von Drogenbaronen vernichten kann. Sie kennen ja meine beiden ‘Lieblingsfeinde’, Miguel Ramírez und Samuel J. Barclay, diese miesen kleinen Ratten. Gegen Ramírez habe ich so eindeutige Beweise in der Hand, dass ich ihn