Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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habe halt nur erwähnt, dass Sie derart plötzlich nach Venezuela reisen wollen. Es hat nichts mit dem Dreizehnten zu tun. Ich halte das wirklich für einen dummen Aberglauben mit der Dreizehn, die Pech bringen soll.”

      “Da bin ich aber beruhigt”, befand Thomas immer noch ziemlich aufgebracht, “und ich werde Ihnen zudem noch beweisen, dass die Dreizehn kein Pech bringt.”

      Aber dann schoss der Richter plötzlich mit dem Oberkörper vor, stemmte die Fäuste an der vorderen Schreibtischkante auf, kniff die Augen zusammen und fauchte: “Ich werde sie alle kriegen, Philip! Alle! Kein Einziger von diesen Schwei­nehunden wird mir entrinnen! Ich mach’ sie fertig! Die haben lange genug gedacht, dass ich nichts gegen sie machen kann. Ausgelacht haben sie mich. Aber das ist jetzt vorbei. Wer zuletzt lacht, lacht am Besten. Wie ich schon sagte, Philip: Ich werde sie alle einzeln an die Wand nageln und verrotten lassen! Und ich werde ein Messingschild daneben anbringen lassen: Erlegt von Dr. Thomas McNamara. Das wird der schönste Tag in meinem Leben! Und dieser Tag ist nicht mehr fern! Das wird mein größter Triumph, Philip, und Sie werden daran teilhaben!”

      Philip war seinerseits ein bisschen zurückgewichen, als sein Kollege auf ihn wie ein Tiger mit gefletschten Zähnen zugeschossen kam. Etwas erschreckt murmelte er: “Ja, natürlich, das wird es wohl, Thomas...”

      “Ich dachte mir, dass Sie davon etwas benommen sein würden, Philip, aber das macht nichts. Sowas erlebt man nicht alle Tage”, ließ sich der Richter vernehmen.

      “Gewiss nicht”, erwiderte Philip und verdrehte innerlich die Augen.

      Der glaubt das wirklich, was er da sagt, dachte Philip, der hält sich für unverwundbar.

      Thomas hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt und ließ sich zufrieden in seinen Sessel fallen. Er lächelte verschmitzt und hatte ein Bein lässig über das andere geschlagen.

      “Ich sehe, Sie sind immer noch baff, Philip!”, bemerkte er mit sichtlicher Genugtuung, “na ja, ich kann verstehen, dass Sie das erst mal verkraften müssen. Schlafen Sie einfach eine Nacht darüber, und morgen bereden wir die Details.”

      Sprach’s und machte eine Handbewegung wie “und nun hebe dich hinweg, mein Knappe”.

      Philip stand auch gehorsam auf und wandte sich zum Gehen.

      “Okay, dann bis morgen, Thomas. Obwohl, halt, wir gehen doch zu dem Empfang beim Bürgermeister?!”

      “Ja, sicher. Wir treffen uns um 16.00 Uhr bei mir und gehen gemeinsam hin. Ach ja, und, Philip, kein Sterbenswort zu irgendjemandem. Auch nicht zu den Sekretärinnen. Weder zu Ihrer noch zu meinen. Je weniger Leute davon wissen, desto weniger können sich verplappern und von unseren Gegnern ausgefragt werden. Sie wissen schon, was ich meine?!”

      “Gewiss!”, antwortete Philip ergeben und verließ das Büro.

      Er schlich wie betäubt durch das Vorzimmer von Thomas’ Büro und murmelte nur leise vor sich hin: “Er hat den Verstand verloren. Sally hatte Recht! Er hat tatsächlich den Verstand verloren!”

      Er verließ das Vorzimmer, ohne die beiden verblüfft dreinschauenden Sekretärinnen noch eines Blickes zu würdigen, was ganz untypisch für ihn war. Denn normalerweise hatte er immer noch ein paar freundliche Worte für sie parat oder einen Scherz.

       Alldieweil rief Thomas seine Tante Laetitia an. Die hatte nämlich noch Kontakt zu ihrem anderen Neffen und somit auch dessen Adresse. Schließlich musste er ja wissen, wie er Jeremiah erreichen konnte, und außerdem wäre es sehr peinlich für ihn geworden, wenn er noch nicht einmal hätte sagen können, in welchem Ort der jüngere Bruder wohnte.

      Laetitia war extrem erstaunt, als Thomas nun von ihr diese Information haben wollte.

      “Wieso willst du das von mir wissen?”, wunderte sich Laetitia.

      “Ich wüsste nicht, was dich das angeht”, murrte Thomas, “wieso kann ich nicht einfach diese Information haben?!”

      “Lieber Thomas”, entgegnete Laetitia zuckersüß, “ich bin deine Tante, nicht deine Sklavin, und von daher geht es mich sehr wohl etwas an, warum du jetzt urplötzlich die Adresse deines jüngeren Bruders haben willst, mit dem du im Prinzip dein Leben lang Streit hattest und den du seit zehn Jahren aus Überzeugung ignorierst. Wobei es eigentlich schon an ein Wunder grenzt, dass du weißt, dass ich mit ihm noch Kontakt habe, mal ganz abgesehen davon, dass du deswegen nicht auch schon den Kontakt zu mir abgebrochen hast. Also reiß dich gefälligst zusammen, und schnauz mich nicht an.”

      “Ja, schon gut”, nahm sich Thomas zurück, “na ja, es... es ist mir ehrlich gesagt ein bisschen peinlich. Wahrscheinlich war ich deshalb auch etwas... wie soll ich sagen... forsch...”

      Du alter Lügner, du, dachte die Tante, dir soll etwas peinlich sein? Da lachen ja die Hühner. Ich bin mal gespannt, welche Erklärung du mir dafür präsentierst.

      “Ja, also”, setzte Thomas erneut an, “ich, nun ja, ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich schon, wie du sehr richtig bemerkt hast, mit Jeremiah im Streit liege. Ich... nun ja, ich denke, das ist nicht gut...”

      “Nicht gut?!”, unterbrach ihn die Tante und zog die Augenbrauen hoch.

      “Na ja, nicht gut halt”, murmelte Thomas und gab sich zer­knirscht, “ich... ich hatte letztens so etwas in meiner täglichen Bibellese, wo es darum geht, dass man nicht einen auf fromm machen soll, wenn man im Streit mit seinem Bruder liegt und so.” (Liebe Leserin, lieber Leser: Dieser Roman war ursprünglich nur als gedrucktes Buch veröffentlicht und enthielt eine Anzahl von Fußnoten. Weil das bei einem e-book aus technischen Gründen nicht funktioniert, erscheinen die Informationen jetzt in Klammern hinter dem Fließtext. Dies ist der Inhalt der ersten Fußnote: Die Bibel, Neues Testament, abgekürzt NT, Evangelium nach Matthäus, Kap. 5, Verse 23 u. 24. – Sie werden diesen Hinweis, an welcher Stelle der entsprechende Inhalt in der Bibel nachzulesen ist, wiederholt finden. Wenn Sie möchten, geben Sie die Information einfach bei einer Suchmaschine ein oder schlagen Sie sie nach.).

      Aber in Wirklichkeit dachte er: Wenn Jesus Jeremiah gekannt hätte, hätte er eine Ausnahme gemacht

      Oh, dachte Laetitia, mein älterer Neffe hat schon gemerkt, dass es ein Neues Testament gibt. Er hat sich tatsächlich schon bis zum fünften Kapitel des ersten Buches desselben vorgearbeitet. Oder liest er vielleicht nur Stichproben? Das hätte Logik, weil nämlich genau in den Versen vorher davon gesprochen wird, dass man nicht zornig auf seinen Bruder sein soll, denn dann erwartet einen das Gericht. Und wenn man zu seinem Bruder “Du Idiot!” sagt, erwartet einen das Oberste Gericht, allerdings nicht als Oberster Richter, sondern als Angeklagter. Ob Thomas da vielleicht was missverstanden hat, wo er doch alles daran setzt, dass eben jenes Gericht ihn rufen soll? Aber eins hat er mit Sicherheit noch nicht bemerkt, obwohl das genau in dem Vers vor der Sache mit dem “einen auf fromm machen” steht, nämlich dass denjenigen, der seinen Bruder verflucht, das Feuer der Hölle erwartet (Die Bibel, NT, Evangelium nach Matthäus, Kap. 5, Vers 22). Aber vielleicht ist Thomas ja auch ein Racheengel erschienen und hat ihm den Kopf gewaschen.

      “Na, das freut mich aber zu hören, dass du deine Meinung geändert hast”, befand Tante Laetitia.

      “Ja... ja, ich denke, es wird langsam mal Zeit, diesen blöden Streit aus der Welt zu schaffen. Vielleicht war ja alles nur ein Missverständnis, und ich habe etwas überreagiert.”

      Missverständnis? dachte die Tante, überreagiert? Ich muss schon sagen, einerseits freut es mich, alter Junge, dass du auf einmal andere Töne an­schlägst, aber andererseits ist mir nicht wohl dabei, weil mir nicht klar ist, woher dein Sinneswandel rührt.

      “Okay, dann werde ich dieser Versöhnungsaktion nicht im Wege stehen”, erwiderte Laetitia jovial, “ich hole nur eben mein Adress­buch.”

      Kurze Zeit später war sie wieder am Apparat.

      “Also”, meinte sie, “Jerry wohnt in San Juan de la Galdonas... hast du das?”

      “Ja. Ich nehme an, das ist die Stadt?”

      “Genau.”